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Kultur: Wir sind ein Volk: Hans-Martin Blitz über den deutschen Nationalgeist

Wohl keiner von denen, die in Leipzig 1990 "Wir sind ein Volk" riefen, wollte damit Friedrich Carl Mosers Schrift "Von dem deutschen Nationalgeist" (1765) zitieren, die so beginnt. So wenig wie Gustav Heinemann seinem Glaubensbruder Ulrich von Hutten widersprechen wollte, als er 1968 formulierte, er liebe nicht den Staat, sondern seine Frau.

Wohl keiner von denen, die in Leipzig 1990 "Wir sind ein Volk" riefen, wollte damit Friedrich Carl Mosers Schrift "Von dem deutschen Nationalgeist" (1765) zitieren, die so beginnt. So wenig wie Gustav Heinemann seinem Glaubensbruder Ulrich von Hutten widersprechen wollte, als er 1968 formulierte, er liebe nicht den Staat, sondern seine Frau. Hutten sah das anders; in seinem "Arminius" (1520) vergleicht er "die Liebe zur Ehefrau mit der Liebe zum Vaterland, um die Zweite der ersten überzuordnen."

Mit solchen Quellenstudien zum deutschen Nationalgeist konfrontiert der Historiker und Germanist Hans-Martin Blitz den Leser. Je nachdem, wie man seine Funde dreht und wendet, kann man sie als Beitrag zur "Patriotismus-Forschung", zur Geschichte des "modernen Nationalismus" oder als "Rekonstruktion eines frühen Vaterlandsdiskurses" lesen; nicht einmal der Klappentext des Verlags kann sich da entscheiden. In jedem Fall ist die Freiburger Dissertation von Hans-Martin Blitz so fundiert, dass das Hamburger Institut für Sozialforschung ihre 400 Seiten über den Campus hinaus verbreiten möchte und in einer schönen Ausgabe vorgelegt hat.

Nationalsozialismus, Nationalismus, ja sogar Patriotismus ohne politisch korrekten Zusatz ("Verfassungspatriotismus") sind in deutschen Diskussionen immer mit Tendenz, wenn nicht mit Ressentiment besetzt. Wie verführerisch das für Kurzschlüsse aller Art sein kann, hat kein Geringerer als Georg Lukacs bewiesen, der als "Zerstörung der Vernunft" auf geradem Weg Nietzsche für Hitler verantwortlich machen wollte.

Nationalismus vor dem Nationalismus

So undifferenziert ist Hans-Martin Blitz nicht. Schon deshalb, weil er die "hohe Zeit" des deutschen Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert ausspart und nur dessen Vorgeschichte vom 16. bis ins 18. Jahrhundert beleuchtet, den unter Historikern so genannten "Nationalismus vor dem Nationalismus". Also den Nationsbegriff des Humanismus, das Auseinander treten von "Reich" und "Nation", den frühen "Sprachpatriotismus" als Quelle für Kultur politischen Chauvinismus", Franzosenfeindschaft und Germanen Kult in der deutschen Barockdichtung und Vorklassik, oder den preußisch-deutschen Patriotismus Friedrichs im siebenjährigen Krieg. Sind wir Nationalisten, wenn wir schreiben: des Großen? Eine der wenigen Fragen, die Blitz nicht beantwortet.

Eindeutig fällt seine Antwort auf die oft zu hörende These aus, der Beginn des modernen Nationalismus sei mit 1789, der französischen Revolution, exakt zu datieren. Er befindet sich da in guter und internationaler Gesellschaft, wenn die Frage nach dem Beginn des Nationalismus auf dem Frankfurter Historikertag 1998 als "die große ungelöste Debatte der Nationalismusforschung" bezeichnet wurde und auch der polnische Historiker Benedykt Ziegara "eine Reihe von Argumenten für die These vom mittelalterlichen Ursprung der Nation" vorlegte.

Verwirrendes Vaterland

Blitz findet in drei Jahrhunderten Nationalismus vor dem Nationalismus ein "verwirrendes Nebeneinander von regionalem Herkunftsstolz, Landes- und Reichspatriotismus, rückwärts gewandten Stilisierungen Germaniens und zukunftsgerichteten, imaginären Konstruktionen der Nation unter ein und dem selben Begriff des Vaterlands". Daher ist 1789 für ihn nicht das Geburtsjahr des modernen Nationalismus, sondern der Beginn einer "Ausarbeitung und Neugewichtung lange vorhandener Funktionszusammenhänge. Der Vaterlandsdiskurs und mit ihm der Nationsbegriff erfuhr dann die Vereinheitlichung, Politisierung und Popularisierung, die Historiker wiederholt als modernen, säkularen und massenhaften Nationalismus kategorisiert haben".

Das gilt nicht nur für Deutschland, so dass man das Buch nicht als Klageschrift wider den ewigen deutschen Nationalismus lesen sollte. Diese Versuchung liegt nur so nahe, weil das Buch nicht komparatistisch die Entwicklung und gegenseitige Bedingung der europäischen Nationalismen beschreibt, sondern sich auf Deutschland konzentriert. Aber das ist kein Mangel, wenn nur jeder vor seiner Tür kehrt.

Hans-Martin Blitz: Aus Liebe zum Vaterland. Die de

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