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Kultur: Wir sind Gott

Thomas Lackmann hört Benedikts Gretchenfragen

Die Frage, wer oder wie er wirklich ist, hat dieser Reisende – für den Boulevard, für seine Schäfchen, für Intellektuelle – beantwortet. Er menschelt: Hand in Hand mit dem Bruder, mit Strohhut, am Familiengrab. Er predigt: wirbt in einer tauben Welt für die Anhörung Gottes. Er argumentiert: für einen Kosmos der Rationalität, in dem der teleologische Gottesbeweis (Weil alles passt, muss es einen Schöpfer geben) und das Bild eines vernünftigen Gottes einander ergänzen. Und er meditiert: über den „innergöttlichen Dialog“, über die Menschwerdung des Gottes, der „seinen Leib aufreißen lässt, ... Einheit mit uns wird ... sich uns mit Fleisch und Blut gibt, seinen Leib in unsere Hände und unser Herz legt“ – die „Hochzeit zwischen Gott und Mensch“. Sensationen? Kein Aspekt, keine Aussage ist neu. Pickt euch den Pontifex heraus, den ihr wollt.

„Dass die Medien verantwortungsvoll genutzt werden“, lautet Benedikts offizielles Gebetsanliegen für den September. Doch auch Verantwortungsträger sind heuer auf die eigenen Reflexe hereingefallen. Im Blick auf die Papst-Party 2005 und im Anschluss an den historischen Auschwitz-Besuch des deutschen Oberhirten hatten sie erwartet, die vermeintliche Massenerweckung und der thrill würden anhalten. So schwankten die Enttäuschten auf der Suche nach dem wahren Fokus zwischen Hofberichtsnaivität und bemühter Kritik, die sich mit angeblich nie da gewesener Inszenierungsperfektion oder Ursachenforschung für den gedämpften Zustrom befasste. Die medialen Planer hatten offenbar den „hermeneutischen Zirkel“ vergessen: dass Heimspiele nicht nur im katholischen Milieu objektiv langweilig sind, da interne Erregung Außenstehenden kaum zu vermitteln ist.

In der antiken Christenheit gab es die Arkandisziplin (arcanum = Geheimnis): Mysterien wie Taufe oder Abendmahl sollten Außenstehende nicht erfahren. Dietrich Bonhoeffer hat in seinen Reflexionen zur säkularen Vermittlung des im Kern geheimnisvollen Evangeliums für solche – anachronistische – Diskretion plädiert. Benedikt XVI. bedient, einerseits, seine globale Medienkirche, mutet dabei Zuhörern auch Widerborstiges zu: wenn er von einem Gott, der ganz anders ist, spricht, von „Sünde“, „Rechtfertigung“, „Ehrfurcht vor dem Heiligen“. Wo der Papst andererseits dem Islam das Gottesbild des vernünftigen Christentums entgegenhält, geht er hinweg über Verbrechen und Mysterien, Geheimnisse des Bösen und des Guten, die zur Kirchengeschichte gehören. Taktik? Arkandisziplin? Es gibt christliches Glaubensgut, das für Muslime wie Juden unvernünftig und blasphemisch klingt; dazu gehören die Trinität, die Inkarnation und die Vergöttlichung der Erlösten: „Hochzeit zwischen Gott und Mensch“.

Der Knallersatz „Wir sind Papst“ funktionierte anno 2005 hintergründig, weil dem Publikum die Alternativen „Monster“ und „Jammerlappen“ präsent waren. „Wir sind Gott“ wäre die radikaltheologische Karrieresteigerung. Der kluge Hirte sagte stattdessen nur: Ohne Wahrnehmung Gottes werde unsere „Beziehung zur Wirklichkeit“ eingeschränkt. „Gott ist da“ – als Mittelpunkt „der Wirklichkeit und unseres eigenen Lebens“, das man nicht verschleudern dürfe. Der Besucher hinterlässt Bayern und Deutschen seine Gretchenfrage: was wirklich ist.

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