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Kultur: Wir sind verloren

Die Welt lässt sich nicht mehr retten: Stephen Emmotts provokantes Buch „10 Milliarden“.

Ob Sätze, die ganz allein auf einer Seite stehen, größere Wirkkraft entfalten als solche in einem herkömmlichen Fließtextverbund? Zum Beispiel ein Satz wie „Millionen von Arten leben auf unserer Erde“, der auf einer linken Seite steht und dann auf der nebenstehenden mit einem anderen korrespondiert: „Nur eine beherrscht sie. Wir.“ Oder: „Unser Wasserproblem wird unweigerlich sehr unangenehme Folgen für die Landwirtschaft, unsere Gesundheit und die Ökosysteme haben.“

Stephen Emmott, britischer Klimaforscher, Oxford-Professor und wissenschaftlicher Leiter eines Microsoft-Labors, hat sich ganz bewusst dafür entschieden, in seinem Buch „Zehn Milliarden“ nur mit wenigen Worten und Sätzen zu operieren (und dazu mit beeindruckenden Fotos und ein paar Diagrammen). Er will schockieren, er will seine Leser aus ihrer Lethargie reißen. Denn er ist überzeugt, dass „wir die Situation, in der wir uns jetzt befinden, mit Fug und Recht einen Notfall nennen können – einen beispiellosen Notfall planetarischen Ausmaßes.“ Deshalb ist sein Buch betont alarmistisch gehalten, es soll ein Weckruf sein, inklusive des plakativen Titels. Zehn Milliarden Menschen wird die Weltbevölkerung aller Voraussicht nach spätestens Ende dieses Jahrhunderts betragen, im Vergleich zu den sieben Milliarden, die es jetzt sind, und den erst drei Milliarden, die es vor 50 Jahren waren. Von dieser Zahl ausgehend, buchstabiert Emmott dann die drängendsten Probleme des Planeten durch.

Immer mehr Menschen auf der Erde benötigen immer mehr Wasser und immer mehr Nahrung, und dieses Wasser und diese Nahrung müssen irgendwo herkommen. Was zum Beispiel zur Folge hat, dass noch mehr Anbauflächen benötigt werden und noch mehr Wald diesen landwirtschaftlich genutzten Flächen zum Opfer fällt. Und dass auch der Wasserverbrauch weiter steigt, denn, so Emmott: „Erschütternderweise werden 70 Prozent des auf der Erde verfügbaren Trinkwassers für die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen verwendet.“

Das Wasser und die Nahrung müssen natürlich transportiert werden, und auch die vielen Millionen und Milliarden Menschen mehr wollen sich in der Welt bewegen, weshalb der Güter- und Personenverkehr weiter zunehmen wird, was wiederum zusammen mit der erhöhten Nahrungsmittelproduktion die Treibhausgasemissionen verstärkt und den Klimawandel beschleunigt. Und immer so weiter – ein Schlechtes führt zum schlechten anderen. Emmott scheut sich dabei nicht, sich zu wiederholen. Jeder seiner Sätze soll treffen, soll nachhaltige Wirkung entfalten, so wie es Emmott schon einmal am Theater erfolgreich durchexerziert hat: Das Buch „Zehn Milliarden“ basiert auf dem Theaterstück „10 Billion“, das der Wissenschaftler vergangenes Jahr am Royal Court Theatre in London zur Aufführung brachte und das nach der Premiere ständig ausverkauft war. Darin rezitierte Emmott nichts anderes als Fakten über Fakten zur Katastrophe des Planeten; Fakten, die nun auch in seinem Buch zuhauf zu finden sind. Zum Beispiel, dass für die Produktion eines Baumwollschlafanzugs 9000 Liter Wasser benötigt werden; für die einer Tasse Kaffee, bevor sie gekocht wird, sage und schreibe 100 Liter Wasser; und für die Herstellung einer 1-Liter-Plastikflasche (in die dann ein Liter Wasser kommt) auch schon vier Liter Wasser. Will heißen: „Wir konsumieren Wasser genau wie Nahrungsmittel in einem Ausmaß, das völlig untragbar ist.“

Man muss diesen Zahlen, so wie sie dastehen, einfach glauben. Das ist ein Problem dieses Buches, und im britischen „Guardian“ ist Emmott auch schon eine Reihe von Fehlern nachgewiesen und überhaupt unwissenschaftliches Arbeiten vorgeworfen worden, nicht zuletzt weil er sich bei zahlreichen anderen Publikationen bedient hat. Andererseits sind Klimawandel und Treibhauseffekt inzwischen unbestreitbare Tatsachen, das Bevölkerungswachstum, das Artensterben, der absehbare Wassermangel, das Nutzbarmachen von immer mehr Landoberfläche des Planeten und nicht zuletzt das damit im Zusammenhang stehenden „Land Grabbing“ inklusive der Spekulation damit. Insofern darf man Emmott schon vertrauen.

Problematischer wird es, wenn Emmott auch neuen Arten von Energiegewinnung wie Solar- oder Windkraftenergie keinen großen Wert beimisst. Und er überhaupt nur wenig Lösungsansätze zum Abwenden der Katastrophe anzubieten hat. Die Politik ist für ihn ein Teil des Problems, nicht der Lösung, was nach unzähligen Klimagipfeln und anderen Treffen nachzuvollziehen ist. Und dann fordert Emmott: „Wir müssen unseren Konsum reduzieren. Deutlich.“ Und auch mit den Ressourcen der Welt sollen wir viel sparsamer umgehen. Mit dem „Wir“ meint er die westliche Welt, die Bewohner der Nordhalbkugel. Denn andererseits gibt es „anderswo drei Milliarden Menschen, für die es derzeit lebenswichtig wäre, mehr zu konsumieren, vor allem mehr Wasser, mehr Nahrungsmittel und mehr Energie.“

Da steckt natürlich ein Widerspruch drin, beides lässt sich nicht ohne weiteres auseinanderdividieren; und Konsumreduktion und Ressourcenschonung ist natürlich schön und gut gesagt, auch, dass wir „irgendetwas Radikales tun“ müssen. Bloß was soll das, wenn Emmott doch so sicher um die Vergeblichkeit solcher Appelle weiß?  „Ich glaube, alles wird einfach so weitergehen wie bisher. Business as usual.“ Und: „Ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten.“ Tja, könnte man sagen, dann mal los, dem Untergang entgegen, der kommt unweigerlich. Stephen Emmott will natürlich provozieren. Es scheint für ihn zwar fünf nach zwölf zu sein, doch die Hoffnung auf vielleicht tatsächlich radikale Kehrtwenden hat er – sonst hätte er dieses Buch gar nicht geschrieben. Aber, dafür muss man kein Prophet sein, „Zehn Milliarden“ wird sicher bejahend und nickend zur Kenntnis genommen – und dann machen wirklich alle weiter wie immer. Gerrit Bartels

Stephen Emmott

10 Milliarden.

Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Suhrkamp,

Berlin 2013.

204 Seiten, 14,95 €.

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