zum Hauptinhalt

Kultur: Wir sind wieder wer

Triumphale Rückkehr: The Who spielen in Berlin und kündigen ihr erstes Album seit 24 Jahren an

Ein Splittern und Bersten und Pfeifen. Pete Townshend verdreht seinen Körper, drückt die Beine durch, steht vornübergebeugt und schüttelt nie gehörte Töne aus seiner Gitarre. Roger Daltreys Gesang ist vom rauen Skandieren in ein abstraktes Stöhnen übergegangen. Die Lightshow explodiert in Rot, Blau, Lila. Und dann lässt Townshend – eine der berühmtesten Gesten der Rockgeschichte – seine Windmühlenarme kreisen. Im Krach die Katharsis zu entdecken, die eigenen Songs in Einzelteile zu zerlegen und daraus etwas Neues zu erschaffen: Das war schon immer die Kunst von The Who. Beim Konzert in der Berliner Arena zelebriert die Band – Townshend und Daltrey sind die überlebenden Originalmitglieder – ihren Hit „Anyway, Anyhow, Anywhere“ als sechsminütige Lärm-Oper. Es ist großartig.

The Who waren die wüsteste Gruppe der britischen Beat-Ära, berüchtigt dafür, dass sie ihre Auftritte mit dem Zerschmettern der Instrumente beendeten. Als sie 1967 von der BBC ins Studio eingeladen wurden, um ein paar Songs fürs Radio zu spielen, fragte der Moderator Townshend, wie teuer das Equipment gewesen sei, das sie bislang zerstört hätten. „Mindestens 6000 Pfund“, antwortete der Gitarrist, und weil der BBC-Mann wissen wollte, was das solle, fuhr er fort: „Anfangs wollten wir unsere Show nur etwas aufregender aussehen lassen. Das hat so gut funktioniert, dass wir bis heute einfach nicht mit dem Zerstören aufhören konnten.“ Dann sagt, zu hören auf einem CD-Mitschnitt, der Moderator den Who-Titel „Happy Jack“ an und witzelt: „Bitte nichts kaputtmachen!“

In der Arena geht nichts kaputt an diesem Abend, aber die Atmosphäre ist von Anfang an mit Energie aufgeladen. Pete Townshend, inzwischen 61 Jahre alt, erscheint in weißem T-Shirt und schwarzer Hose auf der Bühne, ein drahtiger Schlaks, in dessen Stirnglatze sich das weiße Scheinwerferlicht spiegelt. Roger Daltrey, 62, trägt sein Touristenhemd über der Hose, das Mikrofon mit dem zur Schlaufe gewundenen Kabel hält er wie ein Schlagerstar. Sie spielen „Can’t Explain“, „The Seeker“, „The Kids Are Alright“, in wuchtigen, mitunter solistisch ausfransenden Versionen.

„Who Are You“, Spätwerk aus dem Jahr 1978, wird zum Aufhänger eines Call-and-Response-Spiels mit dem Publikum. Townshend fragt „Who Are You Berlin?“, die Fans antworten mit „Who, Who, Who“-Chören, die fortan immer wieder als Indianergeheul durch die dreiviertelvolle, angenehm klimatisierte Halle branden. Townshend strahlt, bedankt sich mit Umarmungsgesten und erzählt vom ersten Who-Konzert in Berlin 1966. Townshend und Daltrey agieren an der Rampe, die Band hält sich im Hintergrund. Zu ihr gehören Bassist Pino Palladino, Keyboarder John „Rabbit“ Bundrick, Gitarrist Simon Townshend – Petes Bruder – und der Drummer Zak Starkey, überaus begabter Sohn von Ringo Starr.

Daltrey stottert sich, ein ewiger Twen, durch die Aufmüpfigkeits-Hymne „My Generation“. Die Ballade „Behind Blue Eyes“, vor zwei Jahren erfolgreich von Limp Bizkit gecovert, wird in bestechendem Kopfstimmengesang dargeboten. Bisweilen versandet der Blues im Gerumpel, Daltrey versagt schon mal die Stimme. Als „Weltpremiere“ präsentieren die Herren ein Stück aus der Minioper „Wire & Glass“, die am 21. Juli als Single erscheinen soll. Townshend verarbeitet darin seine Faszination für moderne Kommunikationstechnologien, der Song „Endless Wire“ ist dem Internet-Pionier Vint Cerf gewidmet: „He’d turn us into music / He’d show us to our portals.“ Für den Herbst ist ein neues Who-Album angekündigt, das erste seit 24 Jahren.

Für die Band markiert die Tournee einen Neubeginn, für Townshend soll es eine Wiederauferstehung sein. Im Januar 2003 war er verhaftet worden, weil er Kinder-Pornografie aus dem Internet heruntergeladen hatte. Er behauptete, für seine Autobiografie recherchiert zu haben, und deutete an, als Kind selber Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. „Der Krieg riss Grenzen ein“, erzählte er in einem seiner raren Interviews. „Viele Kinder, die aus den Großstädten aufs Land evakuiert wurden, sind missbraucht worden. Ein oder zwei Jahre bevor der Krieg endete, galt es plötzlich als gewiss, dass wir verlieren würden. Und die Erwachsenen, die Macht hatten über diese wunderschönen Kinder, begannen, sie zu missbrauchen. Sie dachten, das Ende der Welt stünde vor der Tür.“

Roger Daltrey und Pete Townshend galten lange Zeit als Widersacher. Der gelernte Blechschweißer Daltrey steht für das proletarische Element des britischen Pop, der ehemalige Kunststudent Townshend für hochfliegende Visionen. Die von Daltrey gegründete Skiffle-Band The Detours war erfolglos, bis Townshend in die Truppe einstieg und daraus The Who formte. Er schrieb über hundert Songs für die Band, Daltrey fiel mehr mit seinem kraftvollen Gesangsstil, den prachtvollen Locken und, zu Beginn der Siebzigerjahre, immer schrilleren Bühnenkostümen auf.

Der Tod ihrer Mitstreiter – Schlagzeuger Keith Moon starb 1978, Bassist John Entwistle 2002 an den Folgen von Drogen-Missbrauch – versöhnte die Querköpfe miteinander. „Meine Beziehung zu Roger war nie besser“, sagt Townshend heute. „Er respektiert meine Unfähigkeit, in der Realität zu leben.“

Pluckernd irrlichtern Keyboard-Akkorde durch den Saal, dann stampfen Klavier, Bass und Schlagzeug los. „Baba O’Riley“ aus dem Album „Who’s Next“, mit dem die Band 1971 an den Kunstrock ihrer Oper „Tommy“ anzuknüpfen versuchte, eignet sich hervorragend zum Fäuste-Recken, Headbangen und Bierbecher-Schwenken. Daltrey kreischt, Trotz in der Stimme, „I don’t need to fight / To prove I’m right!“, triumphiert „Yeah, Yeah, Yeah!“ und beginnt ein Solo auf seiner Mundharmonika, die die auf der Platte vorhandene Geige ersetzt. Großes Rock’n’Roll-Theater. Als erste Zugabe spielen die Who „Substitute“, den Song, der die Wirklichkeit als eine Konstruktion aus Lug und Trug entlarvt: „I look pretty tall but my heels are high“, nachher auch noch „Pinball Wizard“.

Als „shit hole“, Mistloch, hat Pete Townshend Berlin und die Arena durchaus anerkennend in einer Ansage bezeichnet. The Who setzen ihre Tour in Europa und den USA fort. Im nächsten Jahr wollen sie wiederkommen. Versprochen.

Zur Startseite