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Kultur: Wir sprechen, was wir sind

Der meistzitierte Außenseiter der Welt hat Geburtstag.Am 7.

Der meistzitierte Außenseiter der Welt hat Geburtstag.Am 7.Dezember 1928 wurde Avram Noam Chomsky als Sohn russischer Auswanderer geboren, die Eltern Lehrer, der Vater zudem Verfasser gewichtiger Studien des Hebräischen.Mit noch nicht 30 Jahren hatte Chomsky seine zentrale Einsicht formuliert, die die Linguistik und das Verständnis der Natur des menschlichen Geistes revolutionierte.200 Jahren Sprachwissenschaft wird dabei kühl und selbstbewußt widersprochen: Die Menschen erwerben die Sprache nicht neu als einen ihnen fremden Gegenstand aufgrund einer unspezifischen Lernfähigkeit, sondern die sprachlichen Grundstrukturen, eine Universalgrammatik, sind ihnen angeboren.

Chomskys Sprachanalysen weisen dabei die Richtung, wie auch andere geistige Leistungen der Menschen auf angeborene Fundamente hin untersucht werden können, denn die Sprache ist der "Spiegel des Geistes".Mit seiner Arbeit hat Chomsky an verschollene Traditionen des 17.Jahrhunderts und der klassischen Aufklärung angeknüpft, die bei den Menschen differenzierte Vermögen als Grundlage ihrer reichen geistigen Welt wirken sahen.Er rüttelt damit frech an der selbstgewissen herrschenden Meinung der philosophischen Anthropologie der letzten zwei Jahrhunderte, die die Menschen über sonstige weltanschauliche Grenzen hinweg einträchtig als beliebig formbare Masse den Prägekräften von Geschichte und Gesellschaft ausgeliefert sieht.

Chomsky ist unbestritten eine Größe der wissenschaftlichen Landschaft dieses Jahrhunderts, von einigen mutig in eine Reihe mit Galilei, Newton oder Einstein gestellt.Widerstand, Unverständnis, Kopfschütteln gewichtiger Häupter erzeugt sein Rückgriff auf die menschliche Natur aber weiterhin.Philosophen der empiristischen Tradition, der klassischen Moderne und Postmoderne erscheint die menschliche Natur nämlich ein Begriff zu sein, der mit Recht in der Mottenkiste der Theorie lagerte und dort gründlich zerfressen wurde.

Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit hat Chomsky noch eine weitere Leistung vollbracht.Er ist zum weltbekannten, radikalen Kritiker der Großmachtpolitik der USA geworden, abgetan als verbohrter Nestbeschmutzer von den einen, geschätzt als kluger Analytiker von den anderen.Im hellen Napalmschein des Vietnamkrieges begann seine öffentliche Tätigkeit und hält bis heute in mehr als zwanzig politischen Büchern, unzähligen Artikeln und Vorträgen an.Unbeliebt machte er sich durch seine akribisch recherchierten Analysen des Krieges der USA in Südostasien, ihrer Rolle bei der blutigen Annektion von Ost-Timor, bei der Stützung von Gewaltregimen in Mittelamerika und ihrer Politik im Nahen Osten.Mit wachsender Neugier hat er sich zudem der moralischen Bemäntelung von staatlichen Gewalttaten durch Medien und Intellektuelle zugewandt.

Politische und moralische Glaubwürdigkeit seiner Analysen beruhen auf einer bei Intellektuellen dieses Jahrhunderts seltenen Tugend: Chomsky ist auf keinem Auge blind.Denn erstens verlor er nie die Qualitäten der amerikanischen Gesellschaft aus dem Auge, die nach seiner Meinung die wahrscheinlich freiste auf dieser Erde ist.Und zweitens flocht er nie apologetische Lorbeerkränze für autoritäre Unterdrückungssysteme im sozialistischen Gewand.Der real existierende Sozialismus mit seinem korrupten geistigen Umfeld wurde so unnachgiebig kritisiert wie illegitime Herrschaftssysteme anderswo.Aber der Schwerpunkt seiner Arbeit lag doch bei der Kritik der Politik der USA.Denn nach einer immer wieder verteidigten Maxime der politischen Rationalität will Chomsky sich da als unbequemer Staatsbürger engagieren, wo vielleicht Wirkung zu erzielen ist: im eigenen, mächtigen Land.

MATTHIAS MAHLMANN

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