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Kultur: Wir wollen hier rein!

Künstler als Hausbesetzer: Was geschieht, wenn die Kultur die Ruinen der deutschen Zeitgeschichte bespielt? Immer mehr Projekte entstehen für den Palast der Republik. Lauter umstrittene Pläne, trotz bereitwilliger Sponsoren

Das schönste an Berlin sind, jedenfalls unter avantgardistischen Gesichtspunkten, nicht die kühl glänzenden Neubauten, sondern die Ruinen. Waren es nach der Wende die illegalen Clubs in Abrisshäusern, die dem Techno einen gebührenden Rahmen boten oder im Tacheles seltsame Kunstaktionen ermöglichten, ist es jetzt eine symbolisch hoch aufgeladene Ruine, die Künstler für ihre Projekte nutzen wollen. Von den Sophiensälen bis zur Staatsoper und der Architektengruppe Urban Catalysts, vom Technoclub WMF bis zum Technikmuseum reicht die Allianz, die den asbestsanierten, zum Abriss freigegebenen Palast der Republik für kurze Zeit bespielen und damit als Ort neu definieren will.

Die Führungen durch das ausgeschlachtete Gebäude, die der von diesen Institutionen getragene Verein Zwischen Palast Nutzung vergangenen Monat veranstaltete, waren der erste größere Versuch, den nach der Asbestsanierung bis auf die rohen Betonwände ausgeschlachteten Palast der Öffentlichkeit neu zugänglich zu machen. Es wurde ein enormer Erfolg, die etwa 5000 Karten waren in wenigen Stunden ausverkauft.

Das funktionslos gewordene, nicht mehr zur Selbstfeier eines Staates brauchbare Palastgebäude entwickelt eine eigene Faszinationskraft. In ihr nur DDR-Nostalgie zu vermuten, würde die Ambivalenzen verkennen, die von der Ruine des einstigen Repräsentationsbaus ausgehen. Denn was die Besucher dort sahen, eignet sich kaum für wohlige Sentimentalität: ein bis auf ein Skelett aus Stahlträgern und Betonböden entkerntes Gebäude, düsteres Überbleibsel deutscher Geschichte, in dem sich nicht nur die DDR, sondern auch ihre Vorgeschichte abgelagert zu haben scheint.

Wer durch die riesigen Hallen mit ihren mehrstöckigen Galerien und Durchblicken über die gesamte Gebäudefläche geht, wer in den marmornen Treppenhäuser in die Höhe steigt, hat unwillkürlich das Gefühl, eines der schroffen Gemälde Anselm Kiefers zu betreten: Ein apokalyptischer Ort, der etwas von einem zerstörten Bunker hat, eine Endmoräne, an der die Bewegung der Geschichte wie eingefroren still steht. Einen „Ort, dem das Ende unübersehbar eingeschrieben ist - und der genau daraus sein Schweben bezieht“, nennt Adrienne Goehler, die Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds und eine der prominenten Fans der Zwischennutzung, den Palast.

Kein Wunder, dass die unterschiedlichsten Künstler von diesem Gebäude fasziniert sind. Sasha Waltz, deren wichtigste Inszenierungen sich immer dezidiert mit den Aufführungsorten auseinander gesetzt haben, vom Jüdischen Museum bis zur Apsis der Schaubühne, würde hier gerne ein Tanzstück entwickeln. Volksbühnen-Chef Frank Castorf denkt darüber nach, seine Züricher Inszenierung „Berlin Alexanderplatz“ in den Palast zu verpflanzen. Und die Performancekünstlerin Marina Abramovic, Spezialistin für seelische wie körperliche Extremzustände, will im Auftrag der Staatsoper Unter den Linden ein zeitgenössisches Musiktheaterprojekt im Palast realisieren.

Für alle diese Unternehmungen wäre das Gebäude weit mehr als der schick morbide Rahmen oder gar nur „der schrillste Schuppen im Land“, wie Antje Vollmer als Gegnerin der Ruinen-Bespielung polemisch mutmaßt. Jedes einzelne der Projekte kann auf seine Weise Tiefenbohrungen auf vermintem Gelände vornehmen. Von Symbolpolitik oder einer Verklärung der DDR-Vergangenheit wären solche Unternehmungen denkbar weit entfernt. Nicht um kuschelige Gewissheiten geht es, auch nicht nur um den bloßen Event in einer angesagten Location, sondern um die Neudefinition eines symbolisch aufgeladenen, übercodierten Ortes – um Gespensteraustreibung und Geisterbeschwörung in einem.

Mieter ja, aber bitte nur kurz

Event und Party, Medienrummel und Sensationsgier der Szene samt ihrer kommerziellen Beiboote könnten so zu einer Berliner Mischung gerinnen, die die Grenzen zwischen Subkultur und Staatsoper, Nachtleben und avancierter Kunst locker ignoriert. Während der WMF Club im Keller die nächsten Techno-Evolutionen vorantreibt, könnten zwei Stockwerke höher Musiker der Staatsoper radikal neues Musiktheater erproben.

Ob es soweit kommt, steht noch in den Sternen. Finanzieren lässt sich die notwendige Infrastruktur, von Sicherheitsmaßnahmen bis zu Beleuchtung und sanitären Anlagen, nur über private Sponsoren. Das Studio Urban Catalyst, eine Architektenforschungsgruppe der Technischen Universität, kalkuliert dafür etwa 1,2 Millionen Euro. Verglichen mit den 80 Millionen Euro, die allein die ebenfalls von privaten Geldgebern zu finanzierende Fassade des wiederaufgebauten Stadtschlosses kosten wird, ist das eine bescheidene Summe.

Eigentümer des Palastes ist die Bundesrepublik Deutschland, bewirtschaftet wird er von der Bundesvermögensverwaltung. „Grundsätzlich haben wir nichts dagegen, ihn an den Verein Palastzwischennutzung zu vermieten“, sagt Manfred Reuß, der zuständige Beamte. „Uns ist jeder Mieter recht – Hauptsache, wir verdienen Geld.“ Im Augenblick kostet die Palastruine allerdings nur, Geld für die BSR und für Sicherheitsmaßnahmen, für Absperrungen und Personal: etwa 100000 Euro im Jahr. Diese Summe würde Manfred Reuß gerne einsparen. Das Problem sei nur, dass der Verein „bisher noch kein Finanzierungskonzept vorgelegt hat“. Weil Sponsoren sich aber erst vertraglich binden, wenn das Vorhaben als Ganzes gesichert ist, ist der Mietvertrag die Voraussetzung für eine erfolgreiche Akquise von Geldern. Eine Patt-Situation: Ohne Mietvertrag keine Finanzierung, ohne Finanzierungskonzept kein Mietvertrag.

Dazu kommt, dass Reuß Mietverträge höchstens über ein halbes Jahr abschließen will. Schließlich hat der Bundestag im Juni 2002 beschlossen, dass der Palast abgerissen und an seiner Stelle das Stadtschloss neu gebaut wird. Den Initiatoren der Palast-Bespielung ist ein Mietvertrag über sechs Monate allerdings entschieden zu kurz. „Die Umbauten lohnen sich nur, wenn wir drei Jahre im Palast bleiben können“, sagt Amelie Deuflhardt, als Chefin der Sophiensäle eine der Initiatoren der Palast-Bespielung. Angesichts der ungeklärten Finanzierung des Schlossbaus ist mit einem Baubeginn vor 2006 jedoch ohnehin nicht zu rechnen. Weshalb kann man die Ruine bis dahin nicht der Kunst zur Verfügung stellen?

Im Fall einer Bespielung über drei Sommer, also 2004 bis 2006 geht, Deuflhardt davon aus, dass die nötigen Sponsorengelder relativ leicht aufzutreiben sind. Ein prominenter Ort wie die von der Kunstszene belebte Palast-Ruine ist für viele Unternehmen gewiss attraktiv. Vielleicht sogar zu attraktiv. Die Chance für die Kultur birgt auch eine Gefahr: Ein aggressiv auftretendes Marketing kann den Reiz des Ortes im Nu entwerten. Ein mit Logos gepflasterter Palast bedeutete weniger eine produktive Vermischung als vielmehr die kommerzielle Besetzung öffentlichen Raumes. Und das ist in etwa das Gegenteil dessen, was der Verein Palastzwischennutzung will.

Werbung ja, aber bitte diskret

„Zwei Dinge sind mit uns nicht zu machen“, sagt Geschäftsführer Stefan Rethfeld: „DDR-Nostalgie und Kommerzialisierung.“ Also: Keine riesige Nike-Werbung an der Fassade – das zuständige Bezirksamt Mitte würde das ohnehin nicht erlauben. Keine Langnese-Parties und Werbesäulen für Trend-Getränke, keine Werbe-Banner von Lifestyle-Konzernen und keine Hostessen, die Gratisproben von Zigaretten verteilen. Weil Imagetransfer immer in beide Richtungen funktioniert, werden die provisorischen Palast-Betreiber ihre potenziellen Partner aus der Wirtschaft sehr genau auswählen wollen. Bei Nike zum Beispiel, dem Modekonzern, der seine Schuhe in asiatischen Sweatshops billig herstellen lässt, könnte eine Allianz auch rufschädigend wirken. Dezent auftretende Großsponsoren wie etwa Banken dürften nachhaltiger vom Image des Palastes profitieren als Markenartikler, die ihre Logos dem öffentlichen Bewusstsein massiv einprägen wollen. Wobei das dezente Auftreten der Konzerne nicht auf höfliche Zurückhaltung hinausläuft, sondern im Gegenteil auf besonders elegante und damit wirkungsvolle Werbung zielt. So könnte der Palast nicht nur zum künstlerischen Experimentierfeld werden, sondern auch neue Formen des Sponsorings erproben, der Zusammenarbeit zwischen Subventionskultur und frei finanzierten Projekten, der berühmten Privat-Public-Partnerships. Der Charme einer Palast-„Besetzung“ liegt gerade darin, öffentlichen Raum temporär mit Kunst zu besetzen – und das teilweise mit Hilfe der Privatwirtschaft zu finanzieren.

Der Dirigent Christian von Borries, in Berlin durch seine „Musikmissbrauch“-Reihe bekannt, möchte im Volkskammersaal eine radikal verfremdete Wagner-Oper aufführen. Auch er weiß um die Ambivalenz solcher Kooperationen mit der Privatwirtschaft. Bei der Präsentatition des Projekts stellte die Agentur „Partner für Berlin“, die die Zwischennutzung unterstützt, ein Plakat mit den Logos der vielen Partnerfirmen auf, von Schering bis Daimler. Christian von Borries reagierte darauf mit einer simplen historischen Assoziation und erinnerte an das letzte Logo, das im Palast hing. Es war das Symbol der DDR.

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