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Kultur: Wir wollten Sammler - und bekamen Touristen

Die Euphorie ist verflogen, es fehlt ein Signal aus der KulturpolitikAlexander Tolnay Im Mittelalter siedelten sich die Zünfte stets nebeneinander im selben Stadtviertel an. Zahlreiche Gerber- und Kupfergassen in deutschen Städten zeugen davon.

Die Euphorie ist verflogen, es fehlt ein Signal aus der KulturpolitikAlexander Tolnay

Im Mittelalter siedelten sich die Zünfte stets nebeneinander im selben Stadtviertel an. Zahlreiche Gerber- und Kupfergassen in deutschen Städten zeugen davon. Was in den orientalischen Souks noch heute üblich ist, verschwand in unseren Breiten gänzlich und wurde durch amerikanische Vorbilder ersetzt, durch die beliebten Shopping Malls etwa - alles unter einem Dach. Ein einziger Berufsstand blieb der Tradition jedoch treu: Der Zweckverband von Künstlern, Kunstvermittlern und anderen Gefolgsleuten, die zusammen den so genannten Kunstbetrieb bilden, entfaltet unverändert seine Aktivitäten innerhalb engbegrenzter Territorien. So war es früher im Pariser Rive Gauche oder im New Yorker SoHo-Viertel, nicht anderes ist es heute in Berlin-Mitte.

Der lange Weg nach Mitte

Die Geschichte des Aufstiegs der ehemaligen Spandauer Vorstadt zum international akklamierten Kunstviertel begann nach der Wiedervereinigung vor zehn Jahren. Doch bereits zu DDR-Zeiten befanden sich hier die mutigsten unter den Galerien, die auch nicht angepassten Künstlern ein Forum boten. Nach dem Mauerfall halfen die unsicheren Besitzverhältnisse und das halb-ruinöse Ambiente, das einen Neuanfang suggerierte, einer nomadisierenden Kulturkarawane aus Künstlern, Galeristen, Musikern und sonstigen Lebenskünstlern, hier ansässig zu werden und das "Bermuda-Dreieck" zwischen Rosenthaler, Oranienburger und Auguststraße zu erschließen. Im Jahre 2000 scheint die Euphorie des Neuanfangs nachgelassen zu haben. Ökonomischen Gewinn verbuchen die Wenigsten. Galeristen erwarten potente Käufer und bekamen amüsierwütige "Rundgang"-Touristen.

Im Gegensatz zu manchen Kassandra-Rufen, die angesichts der wachsenden Zahl der Nobelkneipen und "Kunstboutiquen" den kulturellen Untergang des Bezirks beklagen, betrachte ich diese Entwicklung gelassener und als normale Begleiterscheinung des Umbruchs und Wachstums. Kommerzielle Unternehmen sollten nicht unbedingt als Feinde der zeitgenössischen Kunst, sondern als potenzielle Partner für die Prosperität im Viertel begrüßt werden. Trotz der anhaltenden wirtschaftlichen Misere wächst langsam auch in Berlin eine neue kauffreudige Sammlerschicht heran.

Was heute tatsächlich fehlt, ist eine Perspektive für die Entwicklung zum Kunststandort, eine Vision, die auf einer breiteren Basis als der Spaß- und Jugendkultur operiert, und die endlich einmal inhaltliche Schwerpunkte setzt. Dazu wird nicht nur eine verfeinerte "Software" benötigt, sondern auch eine zusätzliche anspruchsvolle "Hardware". Zum Beispiel in Form einer wiedereröffneten Staatlichen Kunsthalle in der Schinkel-Ruine St. Elisabeth an der Invalidenstraße. Ein preisgünstiger Konzeptentwurf hierfür liegt seit einem Jahr den zuständigen Gremien vor. Welch großartiges und erweitertes Kunstdreieck könnte da im Zentrum Berlins entstehen, zwischen Hamburger Bahnhof, der Museumsinsel (mit Bundeskunsthalle im Stadtschloss?) und einer künftigen Berliner Kunsthalle.

Wie in vielen Bereichen der Zukunftsplanung und -entwicklung ist auch hier die Kulturpolitik gefordert. Sie kann zwar in Zeiten knapper Kassen nicht alle diese Aufgaben allein bewältigen, jedoch auf vielfältige Weise wertvolle Unterstützung leisten, sei es nur mit neuen Konzepten für Schwerpunkte oder Umstrukturierungen. Dazu gehört die Einsicht, dass nicht nur ein gesellschaftlicher Bedarf nach Unterhaltung besteht, sondern auch nach Reflexion und Orientierung. Die neue Kultursenatorin könnte hier erstmals wichtige Weichen stellen.

Schinkels Ruine als Kunst-Heimat

Das Stadtviertel Mitte besitzt Potenzial genug, um für die Kunstszene als attraktive Drehscheibe zu gelten. Seine Anziehungskraft ist ungebrochen. Die Mischung aus vitalem, noch nicht absorbiertem Underground und etablierten und temporären Formen der Kunstpraxis sowie einer institutionell verankerten Repräsentationskultur birgt die Chance, in ihrer Angebotsvielfalt für jung und alt gleichermaßen attraktiv zu sein. Ich sehe die erste Stufe des Ausbaus der Kunst-SimCity als abgeschlossen an. Jetzt ist es Zeit für das "next level".Der Autor ist Direktor des Neuen Berliner Kunstvereins, der heute um 19 Uhr ein Gespräch über "Kunst in Berlin-Mitte 2000" mit Stefan Hirsig (Künstler), Rolf Hoffmann (Sammler), Gabriele Horn (Referentin für Kunst in der Senatsverwaltung) und Gerd Harry Lybke (Galerist) veranstaltet. Gleichzeitig werden erstmals die erweiterten Räume in der Chausseestraße 128/129 vorgestellt

Alexander Tolnay

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