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Kultur: Wir Wundenkinder

Die Geschichte des amerikanischen Hochstaplers Frank Abagnale ist für Steven Spielberg mehr als nur eine Gaunerkomödie. Er hat mit „Catch me if you can“ ein federleichtes Genrestück gedreht – und sein Lebensthema von der verlorenen Familie nicht vergessen

Alle reden von Frank Abagnale jr., dem amerikanischen Schwindler und Hochstapler, dem Felix Krull und Junghauptmann von Köpenick der sechziger Jahre. Reden wir zur Abwechslung mal von Frank Abagnale sr., dem kleinen Ladenbesitzer in Schwierigkeiten, dem Filou und Stehaufmännchen, dem das Finanzamt langsam das Lachen und das Leben ruiniert. Denn mit Frank Abagnale sr. und seiner lebenslustigen, verwöhnungsbedürftigen Frau hat der ganze Schwindel ja angefangen. Genauer: mit ihrer Scheidung. Mit dem Zwang für den 16-jährigen Frank jr., sich zu entscheiden: Bei wem willst du denn nun leben, bei mir oder bei mir? Bei keinem von euch beiden.

Frank reißt aus, fortan eine Art Waise. Waisen brauchen Eltern, und seien es Ersatzeltern. Waisen brauchen Familien, und seien es Ersatzfamilien. Scheidungswaisen machen sich aus einem kaputten Puzzle ein Ganzes, lebenslang, und sehen an den Lücken vorbei. Also nimmt sich Frank vom Vater die Stärken (den Charme, das Durchhaltevermögen) und versucht, um dessen Schattenseiten (die Schulden, den Bankrott, den sozialen Abstieg) herumzukommen. Mit der Mutter verbindet ihn wohl am ehesten eine freundlich maskierte Kaltblütigkeit – ein Wesenszug, der ihn immer wieder aus kniffligen Situationen retten wird. So zelebriert er fünf Jahre lang ein Leben von Fake zu Fake und hat mit Anfang Zwanzig schon fast alles hinter sich. Fortan ist sein Leben ein Witz, aber ein guter.

Schon richtig, Steven Spielbergs „Catch me if you can“ ist eine Gaunerkomödie. Man kann sich darin ganz köstlich über die verrückte Karriere eines jungen Mannes amüsieren, vom falschen Copiloten über den falschen Arzt zum falschen Anwalt bis zum eindeutig nützlichen Menschen; aber eigentlich – und erst das macht diesen Film so meisterlich federleicht – geht es auch hier vor allem um die ewig melancholische Spielbergsche Obsession: dass alle gefühlsbegabten Wesen Waisen sind auf diesem Planeten -– zugereiste (wie der extraterrestrische Kobold in „E.T.“), übriggebliebene (wie der menschgewordene kindliche Roboter in „A.I.“) oder erwachsen gewordene (wie Tom Cruise, die Vater– und Familienwaise in „Minority Report"). Nur dass Spielberg sich nun, auf der lässigen Höhe seiner Könnerschaft, aus der fernen und immer näheren Zukunft zielstrebig zurücktastet in die alltäglich verfügbare Wirklichkeit. Gerade so, als hätte die einstige Scheidungswaise Spielberg selbst ein ganzes Leben gebraucht, um die fantastischen Kulissen um das sehr unfantastische Eigentliche beiseite zu stellen.

Derlei Wahrhaftigkeitsbedürfnissen darf man beim entspannten Besichtigen von „Catch me if you can" nachsinnen, und zugleich ist der Film der schönste Schwindel der Welt. Denn kein 16-jähriger Ausreißer scheffelt in fünf Jahren aus seinen Scheckbetrügereien zahllose Dollarmillionen, nur um – „Paps, ich hol uns alles zurück“ – die erst gedemütigte und dann auseinander gelaufene Familie wieder zusammenzubringen. Kein junger Mann, der bei Sinnen ist, stellt seinem Vater ein Cadillac-Cabrio vor die Tür – eine demütigende Liebesgabe, die der schon deshalb nicht annehmen darf, weil die Steuerbehörden ihn dann endgültig in den Knast schicken könnten. So hat denn auch der echte Frank Abagnale jr., auf dessen Lebensbericht der Film basiert, das Geld lieber zum Fenster rausgeworfen, um der Damenwelt zu imponieren, spätere Hochzeit grundsätzlich ausgeschlossen.

Aber etwas macht, dass man diesem erfundenen Vater-Sohn-Verhältnis fast mehr trauen mag als jedweder Vatersohn-Wirklichkeit: der gemeinsame, jeglichen Generationskonflikt negierende Glaube daran, dass man alles schafft, wenn man nur unablässig in Bewegung bleibt. Ganz am Anfang gibt der Vater, bei einer Ehrung im Rotary-Club, sein Credo von der „zweiten Maus“ zu besten: die Geschichte der in den Milchtopf gefallenen Maus, die eben nicht ertrinkt wieihre Nachbarin, sondern so lange zappelt, bis die Milch zu Butter geworden ist. Dabei beglaubigen weder Vater noch Sohn dieses uramerikanische Märchen: Der Vater steigt trotz aller Mühen vom selbstständigen Unternehmer zum bejammernswerten Briefträger ab, und der Sohn wird gerade nicht übers Tellerwaschen zum Millionär.

Die Moral von der Geschicht’: Spielberg spielt sie – anders in seinen letzten ins Finale eher ächzenden Filmen – verblüffend locker über die Bande. Es ist der Ersatzvater, der den amerikanischen Tüchtigkeitstraum doch noch wahr werden lässt. Carl Hanratty heißt der FBI-Mann, der mit einem Trupp ausgesucht tumber Polizisten trotz demütigender Rückschläge so lange strampelt, bis Frank denn doch im Gefängnis landet. Nur ist aus dem Jäger – auch Hanratty wird als Lebenswaise gezeichnet: als geschiedener Workoholic mit in der Ferne heranwachsender Tochter – unversehens fast ein Bewunderer und aus dem gejagten Wild ein Schützling geworden.

„Catch me if you can" lässt das alles wunderbar ineinander laufen: die uralte Kino-Story vom Häscher, der sein Opfer nur fangen kann, wenn er es begreift; die sich gegen alle Entfremdung der Lebensverhältnisse auflehnende Vater-Sohn-Geschichte, ein echter Tragödienstoff; das Sittenbild schließlich der mit verspielter Sorgfalt nacherfundenen sechziger Jahre, von den schaufensterpuppenhaften PanAm-Stewardessen bis zu romantisch verjazzten Poolpartys mit den Bikinis von dunnemals. Tom Hanks lässt dabei den immer wieder gelackmeierten Polizisten so unwiderstehlich erscheinen wie Christopher Walken den alten Frank, der selbst als Loser die Abenteuer seines Sohnes noch mit ermunterndem Augenfunkeln begleitet.

Das schauspielerische Ereignis des Films aber ist Leonardo DiCaprio: Der mittlerweile 28-Jährige gibt das fünfzehnjährige Bübchen ebenso sicher wie den perfekten, fast alterslosen Blender, den coolen Spieler ebenso wie den verletzbaren, verwundeten jungen Mann, wofür manchmal eine Geste, ein Abblenden des Blicks genügt. Nach dem bombastischen „Titanic“-Unternehmen und dem unsäglichen „The Beach“ ist nun erst eigentlich die Geburt eines großen Schauspielers zu feiern. Oder vielmehr seine Wiedergeburt: Schon in „Gilbert Grape“ hatte er – damals selber so jung wie sein kecker Hochstapler Frank Abagnale – das Rest-Ensemble fast in Grund und Boden gespielt.

Alles ist Schwindel, sagte Steven Spielberg schon immer zwischen den Bildern – und im Älterwerden fügt er nun leise hinzu: auch die Familie, ohne die wir nun mal nicht sein können. Die Lüge als das einzig Wahre: Selten haben wir diesen schwarzen Befund schöner leuchten sehen.

Ab Donnerstag in 25 Berliner Kinos; Originalfassung im Babylon, Cinemaxx Potsdamer Platz und Cinestar Sony Center

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