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Kultur: WirmüssendraußenbleibenWarum Wolfgang Wagner in Bayreuth am Leinenzwang festhält

Aha, die Hunde sind also weg. Verscheucht vom Bayreuther Oberbürgermeister.

Aha, die Hunde sind also weg. Verscheucht vom Bayreuther Oberbürgermeister. Auf dem Festspielgelände, befand Dieter Mronz, hätten die Plastik- Neufundländer, die Ottmar Hörl in einer 800er-Auflage anfertigen ließ, nichts zu suchen. Dabei fanden die allermeisten Besucher des Opernfestivals Gefallen an den Vierbeinern, mit denen der Künstler Richard Wagners Hundebegeisterung in Erinnerung ruft. Professor Hörl, der als nächstes Kunststoffeulen nach Athen tragen will, fügte sich der Anweisung aus dem Rathaus, und der „Nordbayerische Kurier“ fragte süffisant: „Wen die wohl gestört haben?“ Uns nicht, ließ Festivalchef Wolfgang Wagner seinen Pressesprecher verkünden. Dringenden Bedarf an Wachhunden gibt es auf dem Grünen Hügel in der Tat nicht. Bissig kann Wolfgang Wagner schließlich selber sein.

Und treu. John Tomlinson beispielsweise singt seit 1988 bei den Festspielen. Er war hier ein großartiger Wotan, später gab er dem bösen Hagen in der „Götterdämmerung“ scharfkantiges Profil. Für Claus Guths Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ hat Wolfgang Wagner Tomlinson noch einmal besetzt, als Titelheld. Schauspielerisch kann der Brite die Rolle ausfüllen, wenn er zum großen Monolog aus der Kulisse taumelt: ein Verzweifelter, Zerrissener, der vor Erschöpfung fast über das Geländer der Bühnen-Freitreppe zu stürzen droht. Stimmlich aber geht die mörderische Partie weit über seine Kräfte. Für emphatisch geschlagene Melodiebögen reicht der Atem nicht mehr. Zu oft muss der Bassist sich in Sprechgesang flüchten, Spitzentöne erreicht er nur mit Not.

Immerhin ist John Tomlinson ein Sängerdarsteller mit Charakter. Was man von den übrigen Mitwirkenden der diesjährigen „Holländer“-Wiederaufnahme nicht wirklich behaupten kann: Alfons Eberz brüllt den Erik wie ein Hamburger Marktschreier, Adrienne Dugger singt die Senta immerhin technisch einwandfrei, Jaakko Ryhänen ist ein solider Daland, Uta Priew eine zuverlässige Mary. Interesse für die Figuren aber wecken diese Interpreten nicht. So zieht sich die kürzeste aller Wagneropern unangenehm in die Länge, auch weil Marc Albrecht nach einer energetischen Ouvertüre bei der Tempowahl auf Schlingerkurs gerät.

Sollten die suboptimalen Besetzungen dieses Jahres – beim „Ring“ ragte allein Evelyn Herlitzius’ Brünnhilde heraus – ein erneutes Lamento über das Aussterben der Wagnerstimmen auslösen? Oder liegt es vielleicht doch am Bayreuther Leinenzwang, wenn hier derzeit nicht die allererste Garde auftritt? Wolfgang Wagner sieht seine Künstler gerne „bei Fuß“, Aufmucken wird mit Liebesentzug bestraft. Leittiere, die ihr Rudel mit lautem Gebell zusammenhalten wollen, sind zwar irgendwie rührend, doch in diesen Tagen, wo selbst Dirigenten mehr Demokratie wagen wollen, auch unzeitgemäß.

Noch sind die Bayreuther Zahlen picobello – 464985 Nachfragen gab es 2004 bei 53900 zu vergebenden Tickets –, doch die progressive Konkurrenz rüstet bereits zum Angriff auf den Grünen Hügel: In Baden-Baden war in dieser Saison bereits ein „Ring“ aus St. Petersburg zu sehen, diese Woche präsentiert Kent Nagano dort seine Sicht auf den „Parsifal“ (mit Stars wie Matti Salminen, Thomas Hampson und Waltraud Meier), und noch im August wagen sich Simon Rattle und das Orchestra of the Age of Enlightenment ans „Rheingold“. Auf Originalinstrumenten. Wau!

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