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Kultur: Wo das Leben spielt

Berliner Kindertheater: Grips mit „Schwarzweißlila“ und Atze mit „Kletter-Ida“

Die neue Schule ist bei Lila auf Anhieb durchgefallen. Obwohl sie wahrscheinlich noch nie in ihrem knapp zehnjährigen Leben außerhalb Deutschlands unterwegs war, hat der engagierte Klassenlehrer sie wegen ihrer dunklen Hautfarbe freudestrahlend als „neue kleine Afrikanerin“ vorgestellt. Die Mitschülerinnen drängeln sich darum, ihr in die tollen Haare zu fassen. Und der Basecap-Träger Dennis (Roland Wolf) sucht brennend nach einem Vorwand, Lila zu besuchen, weil er schon immer mal einen „echten afrikanischen Stammeshäuptling“ kennenlernen wollte und offenbar der Meinung ist, Lilas Vater könnte diesen Wunsch befriedigen.

Es ist weniger der dumpfe Ausländerhass rechtsradikaler Geisteszwerge, der in Volker Schmidts Kindertheaterstück „Schwarzweißlila“ verhandelt wird, als vielmehr die stabile Klischeewelt derer, die sich für ziemlich freigeistig und aufgeklärt halten. Der 31-jährige Dramatiker, der für seine Arbeit mit dem vom uraufführenden Grips-Theater und der Gasag ausgelobten „Berliner Kindertheaterpreis 2007“ ausgezeichnet wurde, trifft einen neuralgischen Punkt jeder tolerant sich wähnenden Gesellschaft und stellt die Frage nach der Akzeptanz des anderen in seinen besten Momenten tiefenscharf und in weithin besetzbaren Zusammenhängen.

Für Lila, die Dela Gakpo bei Yüksel Yolcus Uraufführung in der Schiller-Theater-Werkstatt mit kindlicher Frühemanzipiertheit spielt, führt der Umzug in die neue Stadt zu einer Identitätskrise: Weil die Mutter sich hartnäckig weigert, über Lilas Vater zu sprechen, der schon vor ihrer Geburt in seine Heimat Gambia zurückgekehrt ist, startet das Mädchen nun ein Nachforschungsprogramm auf eigene Faust. Das führt sie unter anderem zum gambischen Flüchtling Basuro (Adolphos Sowah) ins Asylbewerberheim, zum handfesten Kfz-Mechaniker Manfred und zu Bahnschaffnern, an denen der Trend zum anti-autoritären Erziehungsmodell anscheinend erfolgreich vorbeigegangen ist.

Leider führt es sie auch zu einigen knirschenden Stellen im dramatischen Gebälk. Dass Lilas Mutter (Katja Götz) aus einem verhältnismäßig banalen Anlass plötzlich ihrer Tochter gegenüber herausplatzt, ob sie sich eigentlich vorstellen könne, wie schwer man es hierzulande mit einem dunkelhäutigen Kind habe, wirkt eher unwahrscheinlich als erhellend. Ebenso wie die Tatsache, dass Dennis’ mit kabarettistischer Überdeutlichkeit ausländerfeindlicher Vater (Christian Giese) den Asylbewerber zum glorreichen Finale auf einmal im Auto mitnehmen möchte. In diesen Momenten wird der eigentlich differenzierte Blick, den man hier aufs Sujet zu werfen sucht, wieder unnötig verengt. Christine Wahl

Wieder am 6. 10. und 8./9.10.

Im Grunde ist die Krankenkasse an allem schuld: Nur weil das böse Unternehmen sich weigert, die kostspielige Operation von Idas krankem Vater zu übernehmen, sieht das Mädchen sich gezwungen, auf anderem Wege 200 000 Euro aufzutreiben. Aus purer Verzweiflung beschließt die 12-Jährige, deren Leidenschaft das Klettern ist, in jene Bank einzubrechen, für die ihre Mutter als Sicherheitschefin das Alarm-System entworfen hat, und den Tresor in dreißig Metern Höhe zu knacken. Die rührende Enteignungsgeschichte entstammt dem erfolgreichen dänischen Jugendfilm „Kletter-Ida“, den das Weddinger Kindermusiktheater Atze jetzt unter donnerndem Beifall auf die Bühne gebracht hat.

Technisch auf der Höhe mit Videobeamer und Überwachungsmonitoren, befeuert vom Live-Soundtrack der Musiker Thomas Lotz und Stephan Hoppe, erzählt Regisseur Matthias Witting einen schnörkellos-spannenden Theater-Krimi. Oft ist es fürchterlich, wenn Erwachsene Kinder spielen, nicht hier: Johanna K. Gast als Ida sowie Christian Rodenberg und Tobias Grabowski als verknallte Freundes-Komplizen sind unverstellt witzig. Ebenso gut: Simone Witte als Mutter, Felix Spiess und Thomas Sutter (Autor der Bühnenfassung) als depperte Wachleute sowie Thomas Lotz in der Rolle des Bankdirektors, der den Kindern die Marktwirtschaft erklärt. Kitschig ist nicht mal das Happy-End. Zum Schluss heißt es: „Diese Geschichte ist so wahr, wie das Leben gerecht ist.“ Patrick Wildermann

Wieder am 2. 10. und 13.-16. 10.

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