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Kultur: Wo ist der Nachfolger von Ulrich Eckhardt?

Sein Programm prägt seit Jahrzehnten die Berliner Kultur. Ende 2000 hört er endgültig aufRüdiger Schaper Wenn das keine Nachricht ist: Eckhardt hört auf.

Sein Programm prägt seit Jahrzehnten die Berliner Kultur. Ende 2000 hört er endgültig aufRüdiger Schaper

Wenn das keine Nachricht ist: Eckhardt hört auf. Er hat sich erklärt. In sechzehn Monaten ist Schluss, endgültig. Das ist eine Nachricht mit weitreichenden Konsequenzen - und wiederum auch nicht. Noch nicht. Weil Eckhardt seinen Entschluss in der Ferienzeit verkündet hat, haben es viele gar nicht mitbekommen. Und viele glauben nicht daran. "Man hat es noch nicht realisiert, dass ich aufhöre", sagt Ulrich Eckhardt in seiner charakteristischen Art, die man als autokratische Bescheidenheit beschreiben kann: "Der Augenblick ist günstig. Mit dem Wechsel der Zeit kommt der Wechsel der Person." Das Understatement ist an Selbstbewusstsein nicht zu überbieten.

Budapester Straße, am Zoo. Hier sitzt ein mächtiger Mann - wenn Macht als souveränes, planvolles und reflektiertes Handeln zu verstehen ist. Hier befindet sich das kulturelle Machtzentrum Berlins, und der abgeblätterte Charme der westlichen City, die sich nun auch in eine Baustellengegend verwandelt, wirkt wie eine Tarnung für diesen Mann und seinen Apparat. Er steuert auf einen Rekord zu, der einzigartig ist im europäischen Kulturgeschäft. Wenn Ulrich Eckhardt Ende Dezember 2000 sein Amt verlässt, dann wird der heute 65-Jährige 27 Jahre lang Intendant der Berliner Festspiele gewesen sein.

Wäre er ein Großwildjäger, so könnte Eckhardt sich schöne Trophäen ins Zimmer hängen. Acht Berliner Kultursenatoren und sieben Regierende Bürgermeister sind bis jetzt an ihm vorübergezogen, und manches Mal hätte er sich stärkere Partner in der Politik gewünscht. Doch ist er gut gefahren mit den schwankenden Gestalten, die seit 1973, seit Eckhardts Amtsantritt, in dieser Stadt zu Kultursenatoren ernannt worden sind. Stets war er ihnen gedanklich voraus, wurde mit schöner Regelmäßigkeit als Ideengeber und intellektueller Maître de plaisir herangezogen, wenn Berlin etwas zu feiern hatte, vom Stadtjubiläum im Jahre 1987 bis zum Millennium. Und wenn West-Berlin tatsächlich einmal die Insel der Seligen war für den Kulturbetrieb, war Ulrich Eckhardt der Zauberer Prospero, wie in Shakespeares Alterswerk "Der Sturm". Man hat ihn oft als heimlichen Kultursenator bezeichnet - ein Missverständnis. Denn er war stets der regierende Kulturmeister Eckhardt; ein eigenartiges Berliner Phänomen. Nur in dieser Stadt existiert so viel Umbruch, so viel Kontinuität und Stillstand nebeneinander.

Anders als Götz Friedrich, den man nach bald zwanzig Jahren gleichsam aus der Deutschen Oper heraustragen muss, klebt Eckhardt nicht an seinem Amt. Vielmehr hat es den Anschein, als klebten die Festspiele an ihm. Deshalb auch kommt die Diskussion über den Nachfolger, wenn überhaupt, nur schleppend in Gang. Die Entscheidung liegt beim Aufsichtsrat der Festspiele GmbH, der paritätisch besetzt ist mit Vertretern des Landes Berlin und des Bundes. Michael Naumann, der Bundesbeauftragte für Kultur, und Berlins Kultursenator Peter Radunski stehen vor einer gewaltigen Aufgabe. Die Besetzung des Festspiel-Intendanz ist eine Premiere, eine erste Prüfung für die Zusammenarbeit Berlins mit dem Bund, der nun nicht mehr in Bonn, sondern in Berlin sitzt. Und die Frist ist denkbar knapp. Doch die Behörden legen keine Eile an den Tag. Der Einzige, der intensiv über die Zeit nach Eckhardt nachzudenken scheint, heißt - Ulrich Eckhardt. Er besitzt Hauptstadterfahrung. Bevor er damals nach Berlin kam, war er Kulturreferent in Bonn.

Während in Bayreuth und in Salzburg wilde Kämpfe um die zukünftige Ausrichtung der Festivals ausgetragen werden und nachdem Berlin ein halbes Jahr lang eine chaotische Suche nach dem neuen Intendanten des Deutschen Theaters erlebt hat, bleibt es um die Festspiele ruhig. Als stünde wenig oder gar nichts auf dem Spiel. Als ginge es nun nicht um eine grundsätzliche Wahl. Die Festspiele mit dem Theatertreffen, den Festwochen und der Berlinale (da wird für Moritz de Hadeln auch bald ein Nachfolger gebraucht) sind ein Symbol Berlins - der Kirchturm in diesem großen Weltdorf. Dass man glaubt, es werde sich zu gegebener Zeit schon ein geeigneter Nachfolger finden, liegt auch im Wesen der Berliner Festspiele begründet. "Diese Firma", sagt Eckhardt, "ist nicht dazu da, irgendetwas zu konservieren." Der Intendant der Festspiele muss kein Wagner-Revolutionär, kein "Jedermann"-Bewahrer sein, sondern ein Erfinder. Das Gerücht, Gerard Mortier interessiere sich für die Festspiele in Berlin und Eckhardt, von Hause aus Musiker und Jurist, könnte im Wechsel Mortiers Posten in Salzburg übernehmen, war nur von kurzer Dauer. Eckhardt jedenfalls hat lächelnd abgewinkt.

Der Wandel bleibt die Konstante. Die Festspiele haben sich seit den fünfziger Jahren nach den politischen Erfordernissen immer wieder neu definiert - als Schaufenster des Westens im Kalten Krieg und Kompensationsmaschine für die West-Berliner, als kultureller Faktor in der Phase der Entspannungspolitik, als Brücke nach Osten und als Agentur des internationalen Kulturaustauschs. Was aber sollen die Berliner Festspiele kompensieren, in Gang setzen, repräsentieren, da Berlin die Hauptstadtgeschäfte übernimmt? Wird die Firma Eckhardt Nachf. überhaupt noch gebraucht? Was wird aus den Festwochen, die in wenigen Tagen (mit dem Gesamtwerk Gustav Mahlers und jungem osteuropäischem Theater) zum 49. Mal über die Bühne gehen? In diesen Überlegungen steckt die prinzipielle Frage: Wie sieht Berlins Kulturlandschaft nach dem Jahr 2000 aus?

Ulrich Eckhardt steht im Zenit seiner Laufbahn, und wenn er in diesem Augenblick sachlich, doch messerscharf das Konzept des von dem früheren Kultursenator Volker Hassemer geführten Werbeclubs "Partner für Berlin" als "unberlinisch und kontraproduktiv" kritisiert, dann wird schon deutlich, wie er sich die neue Kulturpolitik in der Hauptstadt nicht vorstellt und was seine Befürchtungen sind - dass die Stadt glatt- und plattgeredet wird mit Hochglanzgeschichten. Eckhardt ist kein Feind von Marketing und Unterhaltung, aber ein vehementer Verfechter künstlerischer Verantwortung für die Gesellschaft: "Kultur ist mehr denn je ein wesentlicher Faktor für das politische Denken und Handeln." Er will sich aus der Diskussion über seine Nachfolge heraushalten. Und stellt doch klar, wie er diese hochpolitische Angelegenheit geregelt haben möchte. Ein großer Integrator müsse der neue Intendant sein; Eckhardt sähe am liebsten eine Frau auf seinem Stuhl. Er ist auch ganz entschieden der Meinung, dass Berlin sich viel zu lange schon mit sich selbst beschäftige. Berlin als internationales Kulturzentrum: Eckhardts Beschreibung läuft haargenau auf Nele Hertling hinaus. Doch die Intendantin des Hebbel-Theaters wird mit Eckhardt zusammen in den Ruhestand gehen.

Erst jetzt, gegen Ende seiner Ära, wird das Eckhardtsche System der sanften, stetigen und unaufhaltsamen Einflussnahme auf die Berliner Kulturpolitik plastisch erkennbar - wie es zugegangen ist, dass ein Kulturmanager (so nennt sich Eckhardt selbst) zur Institution und der von ihm über eine Menschengeneration geführte Betrieb zur Schaltzentrale wurde. Nur ein Beispiel von vielen: Thomas Ostermeier, der neue Chef der Schaubühne, hat erste Regieerfahrungen gemacht in einer Koproduktion der Festspiele mit der Schauspielschule "Ernst Busch". Sagt Eckhardt. Das Haus der Kulturen der Welt, das in diesen Tagen sein zehnjähriges Bestehen feiert, ist einmal hervorgegangen aus dem außereuropäischen "Horizonte-Festival der Weltkulturen" aus dem Hause Eckhardt. Oder eben auch das Hebbel-Theater: ein Kind des Jahres 1988, als West-Berlin Europäische Kulturstadt war. Damals allerdings spielte Eckhardt einmal nicht die erste Geige, was an dem Prinzip nichts ändert. Von den Festivals gehen Impulse aus, neue Institute werden geschaffen, leere Häuser wieder mit Leben gefüllt.

Wie gern hätte Eckhardt die Freie Volksbühne vor dem Ruin gerettet; daraus wurde nichts. Aber ein anderes, vom Schicksal und der Politik gebeuteltes Theater ist in den Mittelpunkt der Eckhardtschen Planspiele gerückt - das Schiller-Theater. Mit dem alten Kasten bekommt das System Eckhardt noch einmal neuen Drive, so kurz vor der Abdankung des Meisters. Und wieder ist er den Politikern entscheidend voraus. Eckhardt hat eine Vision. Es klingt ganz harmlos und unscheinbar. Er nennt es "Verstetigung des Festspielgedankens". Es ist ein gewaltiger Plan, und die Politiker sind offensichtlich dankbar, dass ihnen das Nachdenken abgenommen ist.

Eckhardt geht. Eckhardt plant. Nächstes Jahr im September soll es um die Komponisten des 20. Jahrhunderts gehen und 2001, das klingt noch vage, um Europa. Als sicher aber gilt, dass die Berliner Festwochen in diesem September zum letzten Mal in der althergebrachten Form stattfinden. Eckhardt will die Festwochen nicht abschaffen, aber stark verändern. Er sieht sie künftig als "Rahmen zur Selbstdarstellung Berlins am Beginn einer Saison". Das bedeutet: weniger Gastspiele, mehr Berliner Koproduktionen. Und es bedeutet auch, dass der Gastspielbetrieb der Festspiele ausgeweitet wird, über das ganze Jahr. Man will, sagt Ulrich Eckhardt, internationale Schauspiel- und Tanzproduktionen "frisch und aktuell" in Berlin präsentieren, im Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, wann immer es sich ergibt. Und so soll das 1993 geschlossene Schiller-Theater, ehemals Sitz der Staatlichen Schauspielbühnen, nach einer gründlichen technischen Instandsetzung zum Festspiel-Haus der Hauptstadt werden. Der Kreis schließt sich: Am 5. September 1951 haben Theodor Heuss und Ernst Reuter zugleich das Schiller-Theater eingeweiht und die ersten Festwochen eröffnet, mit Beethoven, wie es sich in Deutschland gehört. Das Theatertreffen - und damit auch das Schauspiel - ist an der Bismarckstraße bereits wieder heimisch, und in der nächsten Woche gastiert hier die Merce Cunningham Dance Company, im Rahmen des Internationalen Tanzfestivals, das stets nach einer großen Bühne sucht. Wie Kultursenator Radunski kürzlich meinte, könne ja das lange projektierte Tanzhaus ins Schiller-Theater mit einziehen, und Udo Zimmermann, der kommende Generalintendant der Deutschen Oper Berlin, findet das Schiller auch sehr schön - als Experimentierbühne.

So viel Auftrieb in einem Haus, das vor ein paar Jahren keiner haben wollte. Das ist lustig. Das ist Kulturpolitik. Kein Problem für Ulrich Eckhardt - solange die Festspiele das Management im Schiller-Theater übernehmen. Torsten Maß, Eckhardts Eckermann und ewiger Stellvertreter, wäre dafür sicher ein Kandidat. Stetig währt am längsten: Festwochen wären dann immer, weil Eckhardt einen Verbund mit dem Hebbel-Theater und dem Haus der Kulturen der Welt anstrebt. Von Geld redet er nicht (die Festspiele bekommen 17 Millionen Mark Jahreszuschuss). Aber vom Gropius-Bau. Er könnte sich vorstellen, dass seine Firma diesen riesigen Ausstellungsraum, für den es im Moment weder ein Konzept noch einen Träger gibt, preiswert managen würde, im Verbund mit dem Deutschen Historischen Museum, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Bundeskunsthalle in Bonn. Doch diesmal scheint Eckhardt an seine Grenze vorgestoßen zu sein. Den Zuschlag für den Gropius-Bau wird nach dem Willen von Kultursenator Radunski die Preußen-Stiftung erhalten.

Eckhardt hört auf. Eckhardt expandiert. Er will seine Firma für das 21. Jahrhundert modernisieren. Sein Name verbindet sich mit der Widersprüchlichkeit, die Berlins Kultur und die gesamte Stadt charakterisiert - eine Art rasender Stillstand. Ohne die Festspiele, ohne Grotowski, Brook, Mnouchkine, ohne Preußen-Jahr, Jüdische Lebenswelten, Moskau und Japan wäre Berlin in den vergangenen Jahrzehnten öde und provinziell gewesen, und unter der festen Burg der Festspiele hat sich zeitweise ein Gefühl von Sattheit, Selbstzufriedenheit und Supermarktmentalität breitgemacht. Am Ende wird es noch ein Treppenwitz: Eckhardt geht, Eckhardt hört wirklich auf, und Berlin hat mehr Eckhardt als je zuvor. © 1999

Rüdiger Schaper

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