zum Hauptinhalt

Kultur: Wo lebst du denn?

Die neue Frau an der Spitze ist jünger als das Festival selbst: Iris Laufenberg leitet das Berliner Theatertreffen, das ab kommenden Freitag sein 40. Jubiläum feiert. Es soll nicht alles anders werden – aber europäischer.

Von Sandra Luzina

Nächtelang haben sie diskutiert, erinnert sich Iris Laufenberg. 1997 erlebte sie ihr erstes Berliner Theatertreffen, damals nahm sie noch am Forum Junger Bühnenangehöriger teil. „Natürlich haben wir auch geschimpft auf das olle Stadttheater“, aber dann kam der Moment, wo der Rausch einsetzte. Das war auch das Jahr, in dem Laufenberg den Regisseur Christoph Marthaler und seine Ästhetik der Langsamkeit für sich entdeckte.

Christoph Marthaler wird Iris Laufenberg jetzt wiedersehen –und auch andere alte Bekannte: beim Theatertreffen 2003, das am kommenden Freitag eröffnet wird. Pünktlich zum 40. Jubiläum wurde die gebürtige Kölnerin zur neuen künstlerischen Leiterin berufen. Die neue Frau an der Spitze ist jünger als das Festival selbst – und kann doch auf eine lange Theatererfahrung zurückblicken. Die heute 37-Jährige arbeitete als Dramaturgin in Bremen und Bonn, sie wirkte bei Produktionen von Andrej Woron, Johanna Schall, Christina Paulhofer und Barbara Bilabel mit. Und zusammen mit Ursula Ehler und Tankred Dorst gehörte sie der künstlerischen Leitung der Bonner Biennale an, zuletzt 2002.

In der Gegenwartsdramatik kennt sich Laufenberg also bestens aus. Sie weiß, wie man internationale Netzwerke knüpft und ist Festival-trainiert. Für das Berliner Theatertreffen erhofft sie sich neue Impulse, ohne an der bewährten Struktur mit 10 von einer Jury ausgewählten Inszenierungen rütteln zu wollen. Nach außen kommt die Verjüngung in Form neuer Logos daher: Die Lettern „tt03“ prangen in Gold. „Ich hoffe, man spürt den Hauch von Selbstironie,“ sagt die Leiterin. Sie weiß um die andauernden Kontroversen um das Theaterteffen, um die Kraft der alten Rituale und die Juryschelte – und hat sich die Auseinandersetzung mit der Kritik auf die Fahnen geschrieben.

Die Suche nach einem geeigneten Ort für das Foto-Shooting verbinden wir mit einer kleinen Hausbesichtigung. „Ich mag das Gebäude in seiner spröden Schönheit“, sagt sie über das Haus der Festspiele in der Schaperstraße – vor 40 Jahren wurde der Bornemann-Bau mit einer Piscator-Produktion eröffnet. Im Saal probt Peter Zadek „Mutter Courage“: „Da dürfen wir nicht rein, der würde uns rausschmeißen.“ Laufenberg blickt durch die hohen Fenster, bemerkt den blühenden Magnolienbaum im Garten. Sie gehört nicht zu denen, die in einer hermetischen Kunstwelt leben. „Das war einmal. Dass ich langsam weltfremd wurde, ist mir aufgefallen, als ich das erste Mal durch deine Weiterbildung mit change management konfrontiert war und die Begriffe der new economy nicht kannte. Danach betreute ich die Inszenierung von Urs Widmers Manager-Königsdrama ,Top Dogs’ und wusste nicht nur aus Büchern, was gemeint war.“

Wie das Theater die rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen reflektiert, wie es auf politische Krisen reagiert, hat sie bei der Bonner Biennale erfahren. „Sie enstand in einer Zeit, als der Jugoslawienkrieg den Riss durch Europa deutlich machte.“ Dem Festival sei es immerhin gelungen, einen Dialog in Gang zu bringen. Der Europagedanke ist Laufenberg auch in Berlin ein wichtiges Anliegen. So ist es kein Zufall, dass mit Ana Lasic eine Autorin aus Serbien zum Stückemarkt kommt. In „Wo lebst du denn?“ setzt sie sich mit der Generation auseinander, die sich Ende der 90er Jahre mit dem Krieg konfrontiert sah.

Den Stückemarkt – er besteht seit 25 Jahren – hat Iris Laufenberg für andere Länder geöffnet und am deutlichsten verändert. Zusammen mit dem Uraufführungstheater Berlin und dem Internationalen Theaterinstitut Deutschland werden nun junge Autoren gefördert, die noch keinen Verlag haben und keine Uraufführung vorweisen können. Eine neue Jury aus Autoren, Dramaturgen, Regisseuren und Kritikern wählte aus 179 Einsendungen vier deutsche und zwei ausländische Stücke aus. Den Autoren wird dann nach dem Werkstattprinzip ein Mentor und ein Regisseur an die Seite gestellt. Laufenberg ist überzeugt, dass die Jungautoren nach solch einem prominenten Debüts gute Chance auf dem Markt haben haben. Anfragen von Verlagen gibt es jetzt schon.

Die Theaterbegeisterung erwachte schon früh in Iris Laufenberg. Jürgen Flimms Kölner „Faust“-Inszenierung sah sie mit 14 – eine Offenbarung. Als Teenagerin beeindruckten sie vor allem die Heldinnen der Dramenliteratur: „Das Käthchen von Heilbronn“ mit Katharina Thalbach, Schillers „Jungfrau von Orleans“ mit Therese Affolter. Während ihres Studiums in Gießen hat sie sich dann mit allen Theater-„Johannas“ beschäftigt – und ihre Tochter Luzie Johanna genannt.

„Das Theater“, stellt Iris Laufenberg fest, „ist eine hierarchische, patriarchalische Institution.“ Nur wenige Regisseurinnen könnten sich am deutschen Theater behaupten; auch bei der Auswahl des Theatertreffens findet sich Andrea Breth allein unter Männern. Dafür handeln viele Stücke von Frauen, die aufbegehren. Welche Theatertreffen-Heldin ihr besonders nahe ist? „Die Nora vielleicht“, überlegt Laufenberg – sie hat gleich einen doppelten Auftritt. Der Vergleich sei reizvoll. „Die ,Nora’ von Stephan Kimming ist ein Psychokrimi gezogen, und Thomas Ostermeier stellt eher die neurotische Komponente in den Vordergrund, die in der Gesellschaft wiederzufinden ist.“

Was macht Iris Laufenberg, um sich vom Theater zu erholen? „Sport, Sport, Sport,“ sagt sie. Sie geht regelmäßig joggen und reiten. „Alle Jogger kennen das: In Stressphasen, wo sie nicht zum Laufen kommen, bekommt man regelrechte Entzugserscheinungen.“ Theatertreffen, das bedeutet Premieren und Parties, Jubel und Trubel. Iris Laufenberg ist bei bester Laune, über ihre Kondition macht sie sich keine Sorgen. Für die Zuschauer wünscht sie sich etwas anderes. Deren Kondition soll bis zum Ende des Festivals ausgereizt werden. „Die sollen am 19. Mai völlig außer Atem sein.“ Was sie nach der letzten Vorstellungen machen wird, weiß sie schon. „Ich werde mit dem Joggen anfangen und mich im Wald wieder aufbauen.“

40. Theatertreffen Berlin, 2.–18. Mai. Informationen unter www.berlinerfestspiele.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false