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Kultur: Wodka, Schnittchen, Ave Maria

„Friedhofsfest“, eine Revue rund um den Tod im Hebbel am Ufer

Der Wiener Zentralfriedhof liegt entgegen seines Namens nicht im Herzen der Stadt, sondern ab vom Schuss. Noch vor zwanzig Jahren war dieser Gottesacker ein Sonderjagdgebiet, weshalb man an manchen Grabsteinen nach wie vor die Spuren scharfer Munition bewundern kann. „Es ist besser, wenn auf dem Friedhof nicht geschossen wird“, bemerkt der Schauspieler Gundars Abolins dazu lakonisch, und fährt fort mit seiner kleinen Bestattungskunde. Erzählt von betrunkenen Leichenkutschern, denen die Särge vom Gefährt purzelten, und von der Idee eines findigen Ingenieurs, die Toten per Leichenpneumopost durch unterirdische Gänge direkt auf die letzte Ruhestätte zu katapultieren. Berichtet von gestohlenen Schädeln der großen Köpfe, etwa des Walzerkönigs Strauß, auch von Telefonnummern, die im Blumenbeet des Grabes stecken – „welche Vorwahl hat der Himmel?“ Und auf der Leinwand hinter ihm werden all diese jenseitigen und abseitigen Anekdoten von stimmungsvollen Dias der Zentralfriedhofs-Idylle illustriert. Wundern muss einen hier nichts, der Tod ist ein Wiener, und die Wiener haben ihren eigenen Schmäh.

In Lettland hingegen sagen sie Frau Tod. Und überhaupt pflegt man ein ziemlich ungezwungenes Flirt-Verhältnis zur werten Schnitterin. Einmal im Jahr versammeln sich die Letten picknickend zwischen geschmückten Gräbern und lassen die Toten hochleben. Eine Feier mit Gottesdienst und Selbstgebranntem, auf der die Verwandtschaft oder die gesamte Dorfgemeinde zusammenfindet und auch schon mal Ehen angebahnt werden. Klingt fremd für uns, aber vermutlich lernt man ein Volk am besten durch die Küche und auf dem Friedhof kennen.

Seit Jahren hat der lettische Regisseur Alvis Hermanis mit dem Ensemble des Neuen Theaters Riga, das er seit 1997 leitet, Brauchtumsforschung in seiner Heimat betrieben. Hat beispielsweise in „Long Life“ den Umgang mit den Alten beleuchtet und für die „Lettischen Geschichten“ Alltagsschicksale auf den Straßen Rigas aufspüren lassen. „Kapusvetki – Friedhofsfest“ heißt der Abend, der diesen Zyklus nun beschließt. Nach dem Wiener Prolog geht er über zur Bestattungskultur im baltischen Land, zu liebevoller Grabpflege und verpönten Plastikblumen. Seine 13 Schauspieler haben selbst Geschichten rund ums Sterben gesammelt und eigens Instrumente gelernt, nun sitzen sie als Begräbnis-Blaskapelle mit Trompete und Tuba bewehrt im Halbrund und stimmen zwischen den Erzählungen Pastorales und Pop an. Man spielt, was der Tote gern mochte, da muss nicht Trübsal geblasen werden, das kann auch „Yesterday“ von den Beatles sein. Nur leider ersetzt heute immer öfter der Synthesizer die Friedhofs-Combo. Man sollte eigentlich eine staatliche Kampagne gegen die Konserve starten, sagt einer: „Liebe Letten, einmal im Leben braucht ihr Live-Musik!“

Bei Wodka, Schnittchen und „Ave Maria“ tragen Hermanis’ Spieler Erzählungen von heute und gestern zusammen, Politisches und Persönliches, Makabres und Munteres. Sie trauern Sowjetzeiten nach, als der Rubel für Grabmusikanten noch rollte und das Friedhofsfest säkular ablief, mit Poemen statt Psalmen, berichten von Selbstmördern, dem verstorbenen Gatten oder vom Kurs für Grabredner in Riga. Das alles lässt Hermanis im Angesicht der Ewigkeit gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Und verbildlicht es im Hintergrund mit den wunderbaren Schwarzweiß-Fotografien, die Martins Grauds auf lettischen Friedhöfen eingefangen hat, lichte Augenblicke ohne Sentimentalität. Sittenbilder statt Folklore. Sicher, der Abend hat ein paar Längen, aber Hermanis – im deutschsprachigen Theater ein vielgefragter Regisseur – besitzt ein enormes Talent dafür, Geschichten aus Privatsammlungen zu universellen Panoramen zu fügen.

Gen Ende wechselt das Stück ins Farbenfrohe, nach Mexiko, wo man den „Dia de los Muertos“ feiert, ein rauschendes Fest mit Schädelchen aus Zuckerguss. Komm, süßer Tod.Patrick Wildermann

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