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Kultur: Wodka, Sex, Wodka

Der Moskauer Bürgermeister hat sie verboten. Doch in Berlin wird die Ska-Band Leningrad gefeiert

Moskau, ein Abend vor gar nicht langer Zeit. Im Nachtklub „Totschka“ füllt sich die Bühne mit Blasinstrumenten. Mit reichlich Blasinstrumenten. Ein gutes Dutzend Musiker gruppiert sich zu einer Art lebender Skulptur aus goldglänzendem Blech und schwitzenden Leibern, dann tritt ein unrasierter Mittdreißiger im Unterhemd ans Mikrofon. Sergej Schnurow, Sänger, Texter und Mastermind der Ska-Kapelle „Leningrad“, räuspert sich und brüllt ins Publikum: „Euer Bürgermeister sagt, er will hier keine dreckigen Wörter hören. Wenn er den Stecker zieht, müsst Ihr weitersingen!“

Was das Publikum freilich auch ohne Aufforderung getan hätte. Als Schnurow nach den ersten Tuba-Akkorden den ersten saftigen Fluch loslässt, stimmt die gesamte Halle ein, und was der Sänger seinem Publikum im Folgenden um die Ohren haut, könnte man als eine Art Enzyklopädie des russischen „Mat“ bezeichnen – jenes unflätigen Vokabulars, das in seiner Komplexität so etwas wie eine eigenständige Sprache ist. Manche mögen so was. Andere nicht. Moskaus Bürgermeister Jurij Luschkow etwa findet die Texte der Petersburger Ska-Band so unerträglich, dass er kurzerhand eine Auftrittssperre für Moskau verhängte.

Ein Hauptstadtverbot, das allerdings regelmäßig unterlaufen wird. Und ohnehin schwer durchzusetzen ist bei einer Band, die in Russland zu den erfolgreichsten überhaupt gehört – obwohl Leningrad in der weitgehend von russischsprachigem Plastikpop dominierten Musikszene eine absolute Außenseiterstellung einnehmen. Statt weichgespülter R’n’B-Balladen spielen sie hemdsärmligen Ska. Statt schicker Turnschuhe tragen sie verschwitzte Unterhemden. Und vor allem handeln ihre Texte nicht davon, wie es ist, mit Papas Kreditkarte auf der Suche nach exotischer Zerstreuung durch die Welt zu reisen – sondern wie man sich mit drei Rubel in der Tasche von einem Tag zum nächsten hangelt. Von dreckstarrenden Kommunalwohnungen in öden Vorstadtvierteln. Vom Leid des russischen Arbeitnehmers, und am ausgiebigsten wohl von den Freuden des russischen Feierabends – als da wären: Wodka, Sex, Wodka.

Das Fluchen ist bei Texten dieser Art eher Programm als Stilmittel, wie Schnurow auf dem neuen Leningrad-Album „Hleb“ ironisch erläutert: „Die guten Onkels von der Polizei fluchen nie / Und zocken einen auch nie ab, genau wie die Abgeordneten / Die Rentner bekommen pünktlich ihre Renten / Und alleinstehenden Müttern hilft die Regierung / Warum also sollten sie fluchen?“ Meist stellt Schnurow die Zumutungen des postsowjetischen Alltags ins Zentrum seiner Texte, auch wenn er nur an wenigen Stellen explizit politisch wird. Eher versucht er, nationalen Symbolen die eigene lakonische Lesart aufzudrücken: Im Stück „Flagge“ etwa sucht ein verprügelter Held mit blutverschmierten Fingern Trost bei einer „Blauen“ – womit die blau etikettierte Flasche einer russischen Billigbiermarke gemeint ist. Endgültige Erleichterung verschafft ihm aber erst der „Weiße“, den sein Kumpel mitbringt – sprich: Wodka. Schnurows Fazit: „Das ganze Leben ist gestreift wie die russische Flagge / Von Rot zu Blau, von Blau zu Weiß.“

Vielen Russen ist eine nicht ganz saubere Welt mit Wiedererkennungswert lieber als ein sauerstoffarmer Planet Putin. Und deshalb gelingt Leningrad das, was im gesellschaftlich zersplitterten Russland der Jetzt-Zeit sonst kaum eine Band schafft: Sie werden von Intelligenzija und Proletariat gleichermaßen geliebt, bei ihren Konzerten verbrüdern sich Schweißer und Studenten, Machos und Metrosexuelle, Dachdecker und Dandys.

Längst reicht der Ruhm der Band über die Landesgrenzen hinaus. In Berlin spielen die Petersburger regelmäßig vor ausverkauften Hallen (für das heutige Konzert im SO 36 gibt es allerdings noch Karten an der Abendkasse). Und zum ersten Mal ist jetzt ein Leningrad-Album parallel zur russischen Veröffentlichung auch in Deutschland erschienen – was dem Berliner Plattenlabel Eastblok Music zu verdanken ist. Gegründet wurde es von einem Moskauer und einem Mecklenburger: Alexander Kasparov und Armin Siebert hatten zuvor jahrelang für ein Major-Label westliche Bands nach Russland exportiert und waren es irgendwann leid, dass der Kulturaustausch nur in die eine Richtung funktionierte. „Dazu kam das Gefühl, dass die Leute hier Lust auf Musik aus dem Osten haben“, sagt Siebert. „Man sieht es ja bei Wladimir Kaminers Russendisko: Sobald Leningrad gespielt wird, ist die Tanzfläche voll. Aber wenn die Leute dann fragen, wo es das zu kaufen gibt, konnte Kaminer bisher nur mit den Schultern zucken.“

Schon vor anderthalb Jahren, als Siebert und Kasparov Eastblok Music aus der Taufe hoben, wollten sie in erster Linie Leningrad ein Forum verschaffen. Es dauerte allerdings eine Weile, bis sich Sänger Schnurow davon überzeugen ließ, dass deutsche Hörer mit seiner Musik überhaupt etwas anfangen könnten. Umgesetzt wurden deshalb zunächst ein paar andere Projekte: Siebert und Kasparov veröffentlichten die Kompilationen „Balkanbeats“ und „Cafe Sputnik“ und brachten zudem mit „Songs of the Orange Revolution“ eine Sammlung jener Lieder auf den Markt, die vor zwei Jahren den Demonstranten auf dem Kiewer Platz der Unabhängigkeit einheizten. Das Konzept sei bisher gut aufgegangen, sagt Siebert, der sich jetzt von der Leningrad-Veröffentlichung den Durchbruch zu den schwarzen Zahlen erhofft. Die Zielgruppe? „Slawophile, aber auch Leute, die einfach nur neugierig auf Neues sind. Die es leidenschaftlich mögen und ein bisschen durchgeknallt.“

Das Leningrad-Album „Hleb“ ist bei Eastblok/Indigo erschienen. Heute Abend spielt die Band im SO 36 (Oranienstraße 190), Einlass ab 20 Uhr.

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