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Kultur: Wodka statt Popcorn

In Berlin grassiert das Kinosterben. Jetzt tritt Gabriel Hageni gegen die Multiplexe an: mit russischen Filmen

Am Nordende der Greifenhagener Straße im nördlichen Prenzlauer Berg steht ein unscheinbares Mietshaus. Im Haus rechts davon bietet der „Pianotraum“ Klaviere zum Verkauf. Links daneben bekommt man in einer Kneipe zur „Happy Hour“ einen halben Liter Bier für 1,80 Euro. Und würde diese Kneipe nicht den Namen Café Cinema tragen: Nichts würde darauf hindeuten, dass im Parterre jenes schmucklosen Mietshauses nebenan gerade ein neues Kino eröffnet hat.

Bis vor drei Jahren befand sich hier noch das Kino Nord. Betrieben wurde es von der Yorck-Gruppe, zu der auch das Kino International und das Filmtheater am Friedrichshain gehören. Als jedoch im Dezember 1997 ein paar hundert Meter weiter an der Schönhauser Allee das Cinemaxx Colosseum eröffnete, stand fest: Das Multiplex-Ungeheuer hatte wieder zugeschnappt. Das Nachbarschaftskino würde ihm zum Opfer fallen. Im Januar 2001 war es dann auch so weit. Die Lichter gingen aus, die Stuhlreihen wurden demontiert. Seitdem stand das Kino leer.

Wieso eröffnet ausgerechnet hier ein Kino neu? Warum sollte jemand so verrückt sein und sich dem Ungeheuer sehenden Auges zum Fraß vorwerfen? Die Antwort lautet: weil sich einer was traut und Ideen hat. Gabriel Hageni hat bis vor kurzem Kunstgeschichte studiert. Die Idee hatte der 31 Jahre junge Kinounternehmer, der Russisch spricht und drei Monate in einer Künstlerkolonie in Nowgorod gelebt hat, im vergangenen Sommer. Da hatte er eines Abends in der Nähe seiner sächsischen Heimatstadt Freiberg im Wald eine Leinwand aufgestellt und projizierte den russischen Stummfilm „Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki“ (1924). Als in diese Vorführung von Lew Kuleschows Groteske plötzlich mehr als 130 Leute strömten, war ihm klar: Wenn das in einer sächsischen Kleinstadt funktioniert, dann erst recht in Berlin. Und bedenkt man dann noch, dass in den vergangenen sieben Jahren nur elf russische Filme in die deutschen Kinos kamen – darunter zwei von Sergej Bodrow („Gefangen im Kaukasus“, „Der Kuss des Bären“) und zwei von Alexander Sokurov („Russian Ark“, „Der Moloch“) – dann kann man sich vorstellen, dass Hageni tatsächlich eine Marktlücke füllen könnte.

Als Hageni beschloss, in die Kinoräume einzuziehen, hatte er zwar viele Ideen. Geld hatte er nicht. Hageni musste improvisieren. Bis in die Nacht vor der Eröffnung schraubte er mit seinen Helfern an den Filmprojektoren und nähte an der Leinwand-Kaschierung. Einrichtung und Technik sind wild zusammengewürfelt. Die grauen Projektoren (made in Czechoslovakia) kommen aus einem Kulturclub der NVA-Grenzsoldaten. Die Kinostühle (made in GDR) wurden aus einem Clubkino in Sachsen herangekarrt. Diese Polstersessel lassen sich um die eigene Achse drehen, was eine ukrainische Zuschauerin bei der Eröffnungsfeier mit den sarkastischen Worten kommentierte: „Wenn dir der Film nicht gefällt, kannst du dich immer noch umdrehen.“

An den Wänden des Kinosaals prangen großformatige Fotos von osteuropäischen Filmhäusern aus dem Berliner Museum der unerhörten Dinge. Vor der Leinwand ein ausrangiertes Klavier zur Stummfilm-Begleitung. Und im Foyer hängt an der Decke der Namenspatron: ein blaues Krokodil, gestiftet vom Berliner Künstler Alex Flemming.

Auf ohrenbetäubendes Dolby-Surround, stadionartiges Ansteigen der Sitzreihen, handballfeldgroße Leinwand und Popcorn-Maschinen muss der Besucher hier verzichten. Stattdessen gibt es im Foyer russisches Konfekt, russische Zigaretten, russisches Bier und das bekannte Wässerchen namens Wodka. Das wird die russischsprachigen Berliner sicher freuen. Denn: Hagenis Zielgruppe besteht zwar zur einen Hälfte aus Cineasten und Slawistik-Studenten. Die andere Besucher-Hälfte soll sich aber aus den über 100000 Berlinern zusammensetzen, deren Muttersprache Russisch ist: vorwiegend Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, den Russland-Deutschen und den russischen Juden. Sollte diese Rechnung aufgehen, so braucht Hageni die Multiplex-Konkurrenz nicht zu fürchten.

Es scheint ein gutes Omen zu sein, dass die Kritik angesichts von Andrej Swjaginzews „Die Rückkehr“ gerade begeistert von der Auferstehung des russischen Films spricht. Und vielleicht kann Hageni ja wirklich die cineastischen Beziehungen Berlins zum russischen Film verbessern. Die waren bisher nicht allzu gut, wie eine Notiz von Andrej Tarkowskij belegt. Der große russische Regisseur hatte einst seinem Tagebuch anvertraut: „Berlin ist eine schreckliche Stadt. Ich muss sie so schnell wie möglich verlassen.“

Programm: www.kino-krokodil.de

Julian Hanich

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