zum Hauptinhalt

Kultur: Wohin Gen wir?: Speed und Valium für die digitalen Nervenstränge - Andere Techniken, andere Codes, andere Kommunikation

Nicht oft verwandeln sich wissenschaftliche Theorien in Perlen für den Zitatenschatz. Mit prägnanten Slogans wie "Das Medium ist die Botschaft" oder "Das globale Dorf" - als "Globalisierung" aktueller denn je - brachte der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan 1962 auf den Begriff, was heute beileibe nicht mehr die Medienwissenschaft allein beschäftigt.

Nicht oft verwandeln sich wissenschaftliche Theorien in Perlen für den Zitatenschatz. Mit prägnanten Slogans wie "Das Medium ist die Botschaft" oder "Das globale Dorf" - als "Globalisierung" aktueller denn je - brachte der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan 1962 auf den Begriff, was heute beileibe nicht mehr die Medienwissenschaft allein beschäftigt. Er war mit seinem Buch "Die Gutenberg Galaxis" nicht der erste, der in seinem "Opus Magnum der nachindustriellen Revolution" (Dietmar Kamper) das Lesezeitalter am Ende sah. Er war aber wohl einer der ersten Theoretiker, der das audiovisuelle Tamtam nicht zum Ende der abendländischen Kultur erklärte.

Im Gegenteil: Er sah die neuen Techniken als Ergänzung des menschlichen Körpers - prophetisch angesichts heutiger "Biotechnologie". So wie das Auto den Bewegungsapparat erweitert habe, sei das Fernsehen eine - durchaus lustvolle - Verstärkung für Auge und Ohr. Der Wissenschaftler, der da der Massenkultur das Wort redete und sich auch in seinen Schriften wie ein Pop-Künstler gab, zog Kritik von links, wo man gegen die "Kulturindustrie" zu Felde zog,ebenso auf sich wie die der konventionellen empirischen Forschung. Noch heute schreibt Elisabeth Noelle-Neumann ihren Studenten ins "Fischer-Lexikon der Publizistik", McLuhan habe nicht bedacht, dass das Auge des Betrachters über den Umweg von Kamera, Schnitt und Redaktion ferngelenkt werde. Eine Kritik, die angesichts interaktiv zu steuernder Kameras im digitalen Fernsehen oder im Internet nicht mehr so recht passt.

Es war ein Schüler McLuhans, Neil Postman, dem ein weiterer, dauerhafter, diesmal aber kulturpessimistisch gefärbter Aphorismus gelang. Mit seiner Streitschrift "Wir amüsieren uns zu Tode" wider die totale Unterhaltung und die Diktatur der Bilder trug Postman 1985 hier zu Lande Eulen nach Athen, war doch soeben das Privatfernsehen gestartet, das die TV-Nation um "Tutti-Frutti"-Nackte, "Dauerwerbesendungen" und Krawall-Talks bereicherte.

Postman übernahm McLuhans Analyse, der Weg, auf dem ein Medium Informationen transportiert, sei prägend für Bewusstsein und Wahrnehmung. Er kam jedoch zu einem weniger sinnesfreudigen Schluss. Sah McLuhan in den anarchisch gestreuten Reizen - im Gegensatz zum "linearen" Eindruck beim Lesen - Befreiung von Normen, beklagt Postman deren Verlust: Das Simultane, Allgegenwärtige, Beliebige, das unaufhörliche Stakkato der Bilder, so argumentiert er durchaus plausibel, bedingten auf Dauer den Verlust von Erziehung, Werten, Moral, Zeit und Sinn. Nicht mehr die Welt, sondern das Zerrbild von ihr, gelte dem Zuschauer als authentisch. So emphatisch Postman hier aufgenommen wurde, so wenig scheint er bewirkt zu haben. Während er 1985 den Einfluss des Fernsehens auf die deutsche Kultur noch für gering hielt, weil er sich hier ins Frühstadium des US-TV zurückversetzt sah, klang seine Einschätzung 15 Jahre später während eines Besuches anlässlich des Gutenberg-Jubiläums schon düsterer. Ein TV-Kulturschock ereilt ihn nun nicht mehr: Hier ginge es eher "noch bunter und verrückter her als zu Hause", befand der Professor aus New York.

Aufstand der Zeichen

Während Postman die Sinnkrise etwa über "Medienerziehung" zu bewältigen hofft, McLuhan das Ende der linearen Wahrnehmung begrüsste, immerhin aber an neue Möglichkeiten des Menschen durch offensiven Umgang mit den Medientechniken glaubte, sahen französische Denker wie Jean Baudrillard, Sinn, etwa von Politik, Diskurs oder Revolte im medialen Terror untergegangen und jegliche Realität nur noch als dessen Simulation.

Alles wird zum Medium und will dechiffriert werden: Statt "geografischer Ort", schrieb Baudrillard 1978 in "Kool Killer oder Aufstand der Zeichen", sei die Stadt von heute nurmehr ein urbanes "Vieleck aus Zeichen, Medien und Codes". Soziale Rebellion knüpfte er nicht mehr an sinnstiftende Ideologien, sondern an den "intensiven kollektiven Austausch" unter "Clans, Gangs und Ethnien". Ihr Kommunikationsmittel: flüchtige Graffiti. Heute ließe sich dies als das unausgesetzte Gemurmel der Internet-Gemeinde lesen, das etwa zu den Protesten gegen den Welthandelsgipfel in Seattle führte. Diese subversive Kraft der vernetzten Welt, die Individuen unabhängig von Institutionen und Autoritäten miteinander durch Informationsaustausch verkoppelt, erkannte relativ früh ein ähnlich radikaler Denker, Vilém Flusser. Im "Digitalen Schein", wie Flusser seine Beschreibung des Umbruchs von der linear-kausalen Welt zum algorithmischen Zahlenuniversum nannte, schien der Sinn zurückgekehrt.

Während Flusser aber auch besorgte Szenarien entwarf vom Menschen, der durch "Kabel und ähnliche Nervenstränge mit künstlichen Intelligenzen dialogisiert", überwiegt bei jüngeren Generationen von Medientheoretikern die Begeisterung über die grenzenlosen Möglichkeiten der digitalisierten Welt, in der sie aber einen kaum übertreffen dürften: Bill Gates, der die Software-Abhängigkeit des Menschen bis ins Gemüsefach des Kühlschranks propagiert, nimmt in seinem jüngsten Werk "Digitales Business" die McLuhansche Metapher von der Körperlichkeit wieder auf.

Während dieser eher an den kreativen Sponti dachte, hatte Gates den von der totalen Digitalisierung zu überzeugenden Manager im Sinn, "als mir schlagartig der Begriff für das neue Konzept einfiel: das digitale Nervensystem". Eine Schaltzentrale, die künftig noch exakter als das herkömmliche Netzwerk jeden Betrieb steuern soll. Die Botschaft des Mediums, welche Rückkopplungseffekte etwa das künstliche beim natürlichen Nervensystem auslöst, ist für Gates kein Thema. "Meistern Sie die Fakten", "Seien Sie als erster am Markt" - die virtuelle Revolution kommt in der handfesten Sprache der Pioniere des Industriezeitalters wie Ford oder Carnegie daher, die bisweilen einen hoffnungsvollen jungen Mann beiseite nahmen und ihm ihr Rezept zum Reichwerden verrieten. Wo ist der Neil Postman für virtuell gedopte Manager, der Gates stoppt: "Wir optimieren uns zu Tode"?

Michael Burucker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false