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Kultur: Wohlklang am Abgrund

KLASSIK 1

Es wird eng für die Berliner Symphoniker : Nur das Abgeordnetenhaus kann das abwicklungsbedrohte Orchester noch retten. Aber wie spielen Musiker, denen die Sorge um die eigene Zukunft auf die Seele drückt? Können sie beispielsweise der schönheitstrunkenen Romantik von Brahms’ Haydn-Variationen überhaupt noch trauen? Laufen sie nicht eher Gefahr, in der Melancholie von Schumanns Klavierkonzert oder der Schwermut von Sibelius’ Siebter stecken zu bleiben?

Doch beim Sonntagnachmittagskonzert in der Philharmonie zeigt sich bald, dass die Musiker und ihr Chef Lior Shambadal die Existenzsorgen im Foyer gelassen haben, wo immer noch Unterschriften für den Erhalt des Orchesters gesammelt werden: Genüsslich rollt Shambadal schon den bunten Märchenteppich von Griegs „Sigurd Jorsalfar“-Stücken aus, ohne große Verweilneigung und Tiefgründelei macht er die Brahmssche Variationsfolge zur munteren Miniaturenparade. Wo die Politik enttäuscht, spendet die Musik Zuversicht – und der dritte Satz des Schumann-Klavierkonzerts mit dem draufgängerischen Freddy Kempf klingt so überschwänglich, als seien die Symphoniker gerade gerettet worden. Überraschend licht ist dieses Schumann-Bild, das der 25-jährige Brite mit klarem Ton und Lisztschem Glamour entwirft. Ein Optimismus, der offenbar ansteckend ist: Selbst der Sibelius-Sinfonie, deren schwerelose Klangwolken deutlich über ihren technischen Möglichkeiten liegen (und deren selbsterneuernde Energiekreisläufe auch Shambadal nicht herausarbeitet), trotzen die Musiker eine beachtliche Ausdrucksdichte ab. Nicht nur die Hoffnung, auch die Musik stirbt zum Glück erst ganz zuletzt.

Jörg Königsdorf

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