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Kultur: Wolf Jobst Siedler: Dieser Klassizismus - eine Klasse für sich

Die Selbstkrönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich morgen vor dreihundert Jahren hat uns ein Preußenjahr beschert. Bemerkenswerterweise werden die Jubiläumsaktivitäten begrenzt auf Berlin und Brandenburg.

Die Selbstkrönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich morgen vor dreihundert Jahren hat uns ein Preußenjahr beschert. Bemerkenswerterweise werden die Jubiläumsaktivitäten begrenzt auf Berlin und Brandenburg. Eine der beiden großen Ausstellungen richtet sich darauf, das Jahr 1701 in europäischer Perspektive zu zeigen, die andere auf die brandenburgische Geschichte - und die ist viel älter als Preußen. Viele Städte und Regionen, die einmal zu Preußen gehörten, Magdeburg oder Kassel oder das Rheinland, werden von diesem Preußenjahr kaum etwas mitbekommen. Herr Siedler, wie empfinden Sie, ein Berliner Preuße, dieses Preußenbild?

Gilt ein solcher Schwund, ein solcher Rückzug ins Regionale, nicht auch anderswo in Deutschland? Preußen ist eine Erinnerung geworden, eine grandiose Erinnerung, aber mehr ist es nicht. Doch Gedächtnischarakter hat alle Geschichte an sich, die preußische im besonderen.

Womit setzen wir uns dann "auseinander" wie das die übliche Jubiläums-Praxis ist -,wenn das so ist? Ein domestiziertes Preußen, ein Preußen, dem die Zähne gezogen wurden oder dem sie ausgefallen sind?

Nun, in der preußischen Geschichte gibt es doch Ereignisse und Personen, Konstellationen und Szenen, die noch immer gegenwärtig sind. Sie hat bedeutende Köpfe hervorgebracht, Charaktere und Leistungen, die zum geistigen Haushalt der Deutschen gehören.

An wen denken Sie dabei?

Beispielsweise an diesen Kurfürsten, der sich vor dreihundert Jahren in Königsberg die Krone selbst aufs Haupt setzte. Er baute in Berlin, das damals ganze 56 000 Einwohner hatte, das Berliner Stadtschloss, über dessen Wiederherstellung wir seit langem streiten. Ein kühner Schritt, denn das ging weit über die Hofburg in Wien und die französischen Schlösser hinaus. Und er lenkte den Blick über Brandenburg hinaus.

Woher kam diese Entschlossenheit? Sie drückt sich ja in gewisser Weise auch darin aus, dass die Krönung eine etwas exzentrische Rangerhöhung war - nur in Ostpreussen, außerhalb der Grenzen des Reiches, war sie möglich.

Es war sicher auch Geltungsdrang - Friedrich war ein barocker Fürst. Und ihm lag daran, das seltsam zerstückelte Land zusammenzufügen. Aber vor allem meldete sich damit ein Staat auf der europäischen Bühne, der eine Rolle spielen wollte und sie dann ja auch gut zweihundert Jahre gespielt hat.

War es auch eine neue Art Staat? Man hat Preußen ja oft ein Kunstgebilde genannt.

In der Tat, ein Staat ohne eigenes Volk und auf einem zerrissenen Territorium, eine Herrschaft nur aus Krone, Militär und Beamtenschaft, aber in einer bestimmten Epoche der europäischen Geschichte war das eine politische Innovation. Hatte Österreich seinen Charme, Sachsen seine Eleganz und Bayern seine Urwüchsigkeit, so war Preußen damals der modernste Staat, in ganz Europa. Das gibt ihm seinen historischen Rang.

Heute erscheint diese historische Größe uns vornehmlich in der Fall-Linie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz - fast die einzige Institution, in der sich der Name noch erhält -, also als kulturelles Phänomen. Und der Blick der Welt fällt auf das Weltkulturerbe der Berlin-Potsdamer Schlösser und Gärten.

Zu den militärischen Bravourstücken Friedrich des Großen kommen in der Tat sehr bald die geistig-kulturellen. Der kecken Selbstbehauptung Preußens als Militärmacht folgt ein geistiger Avantgardismus, erst in Gestalt der trockenen Vernünftigkeit seiner Staatsorganisation, dann einer auf Zwecke gerichteten Aufklärung und als Rechtsstaat, schließlich in einer erstaunlichen kulturellen Blüte. Plötzlich besaß dieses kleine Preußen einen großen geistigen Entwurf eines Staates. Aus der Niederlage gegen Napoleon erhebt es sich in einer beispielhaften Reformzeit. Es bringt den preußischen Klassizismus hervor. Da marschierte Preußen an der Spitze Europas.

Worin besteht dieser Klassizismus?

Erst war die Skulptur Preußens da, Rauch und Schadow. Jeder kennt heute das Friedrich II.-Denkmal Unter den Linden und die Prinzessinen-Gruppe, aber kaum jemand realisiert, was für einen Durchbruch sie bedeuteten. Dann die Architektur. Knobelsdorff mit seinem Opernhaus Unter den Linden war noch übliches europäisches Spätbarock. Mit Schinkel aber wurde die preußische Architektur unverwechselbar und zum Leitbild für ein dreiviertel Jahrhundert. Und ganz zum Schluss triumphiert hier mit Menzel und Liebermann auch noch die Malerei.

Muss man nicht hinzufügen, dass wissenschaftliche und wirtschaftliche Bravourstücke hinzutreten? Von Preußen aus gewinnt Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts eine wenigstens partielle Weltbedeutung.

Schon recht, nur sollten wir nicht alle Gestalten für Preußen annektieren, die eigentlich Deutsche sind. Die preußischen Reformer Stein und Hardenberg kamen aus Hessen und Hannover, Hegel, der preußische Staatsphilosoph, war Württemberger, und die meisten, die die preußische Industrialisierung getragen haben, sind auch keine Preußen gewesen. Aber selbst das zeigt eine der Stärken dieses Staates: Er besaß eine große Kraft der Anverwandlung. Preußen wurde das Modernisierungs- und Dynamisierungszentrum Deutschlands.

Zu den Merkwürdigkeiten im Umgang mit Preußen gehört, dass man darüber kaum sprechen kann, ohne dass sich das Bedürfnis nach einer Entmythologisierung meldet. Es ist etwas nicht ganz Geheures um Preußen und seine Geschichte. "Preußen ohne Legende" war schon der Titel des Buches von Sebastian Haffner, mit der er 1977 das Interesse wieder auf Preußen lenkte. Selbst der Kritik, ja der Ablehnung Preußens ist meist noch Bewunderung beigemischt und der Zustimmung fast immer eine gewisse Distanz.

Geht einem das nicht auch bei anderen grossen Staaten so? Ist Frankreich Napoleon? Jede Epoche sucht sich ihre Vergangenheit.

Ist aber nicht doch bei Preußen das Maß seiner Widersprüchlichkeiten größer? Sein Bild schwankt zwischen dem Militarismus und dem Geist der Aufklärung, der Redlichkeit des pietistischen Preußens und dem Reserveoffiziers-Kult. Dazu gehört ja auch noch, dass der "Tag von Potsdam", an dem sich das Dritte Reich mit Preußens Attributen ausstaffiert hat - aber sich auch ausstaffieren konnte! -, mit dem Widerstand des 20.Juli 1944 sozusagen das gleiche Planquadrat teilt: die Residenz- und Garnisonsstadt Potsdam?

Gegenfrage: Wie hätten wir um 1800, 1850, 1900 über Preußen geredet? Es ist die Geschichte selbst, ihr Fortschreiten, ihre Wendungen und Brüche, die die Fragen an die Vergangenheit aufwerfen. Auch die Frage, was denn wirklich preußisch war. Das Erscheinen Preußens auf der Bühne der Geschichte ist ja so überraschend wie sein plötzliches Verschwinden. Ich würde Preussens große Zeit auf wenig mehr als ein Jahrhundert veranschlagen - von 1740 bis 1870. Nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs verschwindet Preußen. Man kennt die rührende Szene, als am Abend vor der Kaiser-Proklamation 1871 Wilhelm I. zu Bismarck sagt: "Heute ist mein unglücklichster Tag, jetzt wird mein altes Preußen zu Grabe getragten". Alles, was dem neuen Reich seinen Charakter und sein Gewicht gab, entzog sich Preußens Lebensgefühl, ja, untergrub es: von den Stahlwerken Krupps in Essen bis zur Marine-Begeisterung Wilhelm II.

Sonderbar an Preußen ist nicht zuletzt sein Nachleben. 1947 haben es die Siegermächte von der Landkarte gestrichen. Aber immer wenn in der Nachkriegszeit die Gesellschaft auseinanderzudriften schien, wurden die "preußischen Tugenden" beschworen. Ebenso haben sich die Stereotypen des Preußischen gehalten, bis hin zum Folkloristischen: von den "langen Kerls" bis zur Pickelhaube.

Mindestens ebenso interessant scheint mir, dass es niemand wirklich vermisst, selbst seine ehemaligen Bewohner nicht. Als sich Ostpreußen und Westpreußen, Schlesier, Pommern und Neumärker 1944/45 auf den großen Treck nach Westen machten, waren sie noch Preußen. Als sie ankamen, waren es nur noch heimatlose Deutsche, die sich eine neue Heimat zu schaffen suchten.

Immerhin haben Vorbehalte gegen Preußen noch im Streit um die Verlegung der Hauptstadt der Bundesrepublik nach Berlin kräftig mitgemischt. Man befürchtete, der Umzug würde die Bundesrepublik dem preussischen Ungeist aussetzen. Und es ist ja richtig, dass die alte Bundesrepublik auch ein bischen gegen jenes Preussen gegründet worden ist, dass die Alliierten mit ihrem Bann belegten.

Die Polemik gegen Berlin wusste wenig von Berlin und dem untergegangenen Preußen. Alles das, was da eine Rolle gespielt haben mag, gab es nicht mehr, weder das Preußen, das einmal drei Fünftel Deutschlands ausgemacht hat, noch die Metropole.

Vor zwanzig Jahren gab es schon einmal ein Preußenjahr, mit einer Berliner Ausstellung im damals gerade wieder hergestellten Gropius-Bau. Sie gehörten zum Vorbereitungsgremium...

und ich erinnere mich gut, wie misstrauisch das Vorhaben in Teilen der Öffentlichkeit beobachtet wurde, bis es dann zu einem Markstein in der Geschichte der historischen Ausstellungen wurde. Manche fürchteten, das tote Preußen würde aus seinem Grab nach der braven Bundesrepublik greifen.

Andererseits wurde damals auch darüber spekuliert, ob Preussen vielleicht ein Modell für die alte Bundesrepublik sein könnte, weil auch die einen künstlichen Charakter habe. Die DDR dagegen wurde als "rotes Preussen" apostrophiert, weil man glaubte, dort habe sich das preussische Erbe - arm und sparsam - vielleicht besser erhalten als im reichen Westen.

Dabei war die doch eher sächsisch geprägt, nicht nur im Dialekt ...

Zwei Jahrzehnte später ist der Nationalstaat wieder auf dem Plan, das "rote Preussen" hat sich in Luft aufgelöst. Damals schrieben Sie, Deutschland sei nicht Preußen, sondern sich selbst begegnet. Und heute?

Heute begegnet Deutschland dem, was es wohl wirklich ausmacht. Nicht dem Nationalstaat, der immer eher eine westeuropäische Angelegenheit war, sondern einem Bund von Ländern, einer Bundesrepublik im vollen Sinn des Wortes. Niemand hat nach der Wiedervereinigung nach einem Land Preußen gerufen - nur der damalige sowjetische Botschafter fragte mich, weshalb, um alles in der Welt, die Deutschen statt Preußen, das in der Welt ein Begriff sei, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt wieder herstellten, die niemand kenne. Insofern hat es vielleicht seinen tieferen Sinn, dass dieses Preußenjahr eigentlich nur eine Veranstaltung Berlins und Brandenburgs ist. Denn die beiden sind wirklich das, was von Preußen übrig geblieben ist.

War Preußen also nur eine große Episode in der deutschen Geschichte, und sein eigentliches Ende wäre die Selbstverständlichkeit, mit der das wiedervereinigte Deutschland sich ohne Preußen konstituiert hat?

Ja, "Kulturland Brandenburg", wie ein Motto der Preußenjahr-Kampagne lautet, und der Blick auf eine weit entfernte historische Konstellation - das mag, nach so vielen Abschieden, der endgültige Abschied sein.

Die Selbstkrönung des brandenburgischen Kurf&

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