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Kultur: Wolle auf der Brust

Tanzfestival Venedig: Triumph für Stephen Petronio

Von Sandra Luzina

Ein Tanzfestival allein dem Thema „Beauty“ zu widmen – das traut sich wohl nur Ismael Ivo. Der in Berlin lebende afrobrasilianische Choreograf kuratiert zum vierten Mal das Internationale Tanzfestival in Venedig, das im Rahmen der Biennale veranstaltet wird. Die Choreografen, die Ivo eingeladen hat, darunter Wayne McGregor und Susanne Linke, sind über jeden Verdacht erhaben, nur Gefälliges, gar Museales abzuliefern. In Zusammenarbeit mit Musikern, Designern und Lichtkünstlern schaffen sie eine oft eigenwillige Vision von Schönheit – und bewegen sich dabei zwischen mythischem Chaos und der Zerrissenheit der Gegenwart.

Frédéric Flamand und das Ballet National de Marseille beziehen sich in „Métamorphoses“ auf Ovid. Zum visuellen Ereignis wird die Aufführung durch das Bühnen- und Kostümbild der Campana-Brüder. Die Brasilianer sind berühmt für ihr ökologisches Design, das auf dem Prinzip des Material-Recyclings basiert. Hier sind es Schnüre, Schlaufen und Drähte aus Plastik und Metall, die die Körper wie Netze oder Panzer umschließen oder sie wie Blütenblätter und -Fäden umspielen. Sie lassen Perseus, Medusa und die Heliaden wie hybride Kreaturen erscheinen, halb Natur, halb Kultur, und machen so die Idee der Verwandlung augenfällig.

Zum Triumph wird der Auftritt der Stephen Petronio Dance Company aus New York. Petronio, der schon als herausragender Tänzer bei Trisha Brown alle Blicke auf sich zog, macht auch als Choreograf Furore. Die Ästhetik des Postmodern Dance verknüpfte er mit dem gender blur, dem Unterlaufen von Geschlechterdifferenzen. „Mein Beitrag zur Kunst ist Sex“, bekräftigt der 52-Jährige im Interview. Dass er früher als Provokateur und Bad Boy galt, amüsiert ihn.

In „Beauty and the Brut“ zeigt sich Petronio von seiner komödiantischen Seite. Ein ungehobelter Ami versucht, ein schöne Französin am Strand zu verführen. Benjamin Cho hat für die acht Tänzer ein Beachwear von augenzwinkernder Extravaganz entworfen. Die Männer, die hier das Alpha-Tier mimen dürfen, tragen statt Brusthaar ein ansehnliches Wollfell, den leicht versnobten Frauen verleiht Petronio lässige Grazie.

„Bloom“ erzählt dagegen von Unschuld und Erwachen – Petronio im Schatten junger Mädchenblüte! Rufus Wainwright singt das Lux aeterna. Zu „Hope is a Thing with Feathers“ gewinnt der Tanz geradezu hymnische Qualitäten. In „This is the Story of a Girl in a Word“ ist es dann die betörende Stimme von Antony Hegarty, die die Stücke zusammenhält. Die Queer-Ikone singt von Transformation, bei Petronio wird daraus ein Spiel mit der sexuellen Ambiguität, überaus poetisch. Stephen Petronios neues Programm ist eine Huldigung an das Weibliche – ob es sich nun im Körper einer Frau oder eines Mann steckt.

Bis 29. Juni, Infos: www.labiennale.org

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