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Klanglabor Peking. Shao Yanpeng alias Dead J ist einer der bekanntesten Elektromusiker Chinas.

© Haus der Kulturen der Welt

Worldtronic-Festival: Kraut süß-sauer

Elektronische Musik aus China: Das Berliner Worldtronics-Festival gibt einen Szene-Einblick.

Die Idee war waghalsig: Dimitri Hegemann, Betreiber des Berliner Technotempels Tresor, wollte vor ein paar Jahren eine Filiale in Peking eröffnen. Dort hätten unter anderem Berliner DJs aufgelegt und umgekehrt sollte irgendwann etwas aus der chinesischen Szene zurück nach Berlin sickern. Geplant war nicht weniger als eine Techno-Achse Berlin–Peking. „Die Location in Peking war bereits klar, das Konzept stand, aber Geld und Sponsoren fehlten am Ende“, sagt Markus M. Schneider, der seit rund fünf Jahren in Peking lebt und mit der Entwicklung des Projekts beauftragt war.

Nun hat er immerhin für das Haus der Kulturen der Welt, im Rahmen des sechsten Worldtronics-Festivals, den heutigen Abend mit dem Titel „Sinotronics – Modern China is too complicated“ kuratiert. Er gibt einen Einblick in die Szene der elektronischen Musik in China. Tresor-tauglichen Techno sollte man bei dieser Veranstaltung nicht erwarten. Mit Acts wie White+, Yan Yulong oder Duck Fight Goose kommen eher experimentell und elektro-akustisch ausgerichtete Acts nach Berlin. Einzig Dead J, einer der bekanntesten Elektronik-Acts Chinas, der im HKW gemeinsam mit dem Berliner DJ und Produzenten Efdemin auftreten wird, steht für eine clubmusikalische Richtung – allerdings für Clubmusik der etwas abstrakteren Art. Ende der nuller Jahre war Dead J schon einmal in Berlin und hat die einstündige Dokumentation „Date“ über die hiesige elektronische Musikszene gedreht. Sie war in China zu sehen und läuft beim „Sinotronics“-Abend im Foyer der Kongresshalle als Loop.

Die viel mit Effektgeräten arbeitenden, offensichtlich auch von Drone- und Minimal Music beeinflussten Musiker, die für das Festival in Berlin ausgesucht wurden, „entsprechen eher der Szene, die man hier findet“, meint Schneider. „Die Musiker treffen sich ähnlich wie beim Jazz zu gemeinsamen Jamsessions. Das Equipment dieser Acts, das eindeutig aus dem Rock kommt, wird verwendet, um etwas zu machen, das in Richtung Krautrock geht. Die Musik ist elektronisch, kommt aber nicht aus einer elektronischen Tradition, sondern aus der Rockecke.“ In China gibt es keine elektronische Tradition, „die Geschichte der elektronischen Musik in China ist im Grunde eine ungeschriebene“, sagt Schneider und ergänzt: „Im Elektronikbereich reden wir in China von ein paar hundert Leuten – inklusive Publikum.“

Den Bruch, den die elektronische Musik im Westen mit der althergebrachten Rock- und Punkkultur gesucht hat, gab es in China nie in einer vergleichbaren Form. Denn erst seit Ende der achtziger Jahre bahnte sich dort so etwas wie Popkultur überhaupt erst an. Dann ging es rasend schnell. Eine Rock- und Punkszene entstand schließlich in den Neunzigern, „da wurde herausgeschrien, was es herauszuschreien galt“, so Schneider, der 1992 in Berlin die Galerie Niklas & Hoffmann mitgegründet hat und seit letztem Jahr das Netzwerk Metrowaves zur Förderung elektronischer Musik in China betreibt.

Die Entwicklung von Rock und Punk, die vor den ersten Experimenten mit elektronischer Musik stattfand, lässt sich auch einfach so erklären: „Schlagzeug, Bass, Gitarre waren da, beziehungsweise leicht verfügbar zu machen. Elektronische Musik dagegen war weniger einfach zu adaptieren, weil das ganze Studioequipment nicht vorhanden war.“ Schneider glaubt, dass sich deswegen in China Formen elektronischer Musik entwickelt haben, die an das erinnern, was man bei uns Postrock nennt. Also Rock, der sich mehr an Kraftwerk als an den Rolling Stones orientiert. Interessanterweise sind die von Schneider eingeladenen Künstler damit ganz nah am derzeit erneut aktuellen Trend in der westlichen Popmusik, bei dem Bands wie Animal Collective versuchen, Elektronik und Rock eng zusammenzuführen.

Allerdings wird man nach dem „Sinotronics“-Abend nicht mit dem guten Gefühl nach Hause gehen können, nun zu wissen, wie elektronische Musik aus China tatsächlich klingt. Schon vor drei Jahren veröffentlichte das westliche Avantgardelabel Sub Rosa „An Anthology of Chinese Experimental Music“, auf der auch Dead J vertreten ist. Vier lange CDs waren nötig, um einigermaßen einen Überblick über das breite Angebot an Musik jenseits des Mainstreams in China zu verschaffen. „Die Noise- und Experimentalszene ist klein und halbwegs überschaubar“, so Markus M. Schneider, was auch daran liege, dass es kaum Räume für Auftritte gäbe, nicht einmal in Peking.

„Gleichzeitig aber ist die Musiklandschaft in China extrem divers und dadurch wieder schwer zu überschauen.“ Hinzu kommen große regionale Unterschiede: „Die Pekinger Szene ist eindeutig rocklastiger als die in Schanghai, die die größte und interessanteste Szene darstellt. Sie ist stark von Ausländern beeinflusst, von Leuten, die dort eine Bar haben oder kuratorisch arbeiten. In Schanghai ist die Musik mehr auf Unterhaltung ausgerichtet als in Peking. Zwischen diesen Szenen und Hongkong gibt es praktisch keine Verbindungen.“

Dass es nun für eine Handvoll Musiker einmal rausgeht aus ihren Biotopen in Schanghai und Peking, hält Schneider für extrem wichtig. Er betont die Signalwirkung, die „Sinotronics“ haben kann. „Die Festivaleinladung nach Berlin sagt der Szene in China, dass man tatsächlich auch einmal in Europa auftreten kann, in Berlin, und irgendwann vielleicht in New York.“ Außerdem soll in Berlin sogar chinesische Musikgeschichte geschrieben werden. Yan Yulong und White+ aus Peking werden sich zusammentun mit Duck Fight Goose aus Schanghai und erstmals gemeinsam als Supergruppe der chinesischen Experimentalelektronik unter dem Projektnamen White Goose auftreten.

Haus der Kulturen der Welt, bis 1. Dezember, „Sinotronics“: Donnerstag, 29. November, 20 Uhr. Infos: www.hkw.de

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