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Kultur: Worte und Paten

Vier Jahre Bundeskulturpolitik mit Michael Naumann und Julian Nida-Rümelin: Was haben sie angerichtet? Und was richten sie aus?

Von Christiane Peitz

Der erste Kulturstaatsminister-Witz ging so: „Was ist ein Naumann? Ein Naumann ist die kürzeste Entfernung zwischen einem Statement und seinem Dementi.“ Am Wahlabend des 27. September 1998 stand hinter dem strahlenden Sieger Gerhard Schröder dessen Gattin – und Michael Naumann. Kulturminister sollte er werden, wurde dann doch „nur“ Kulturstaatsminister, und fortan hatte Deutschland viele neue Debatten.

Die erste drehte sich weniger um das Amt mit dem umständlichen n – „Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien“ – als um den Amtsinhaber. Die Nation diskutierte, ob der Verleger aus New York und ehemalige Rowohlt-Chef ein Paradiesvogel oder ein Kulturpapst sei, Schattenkabinettsmitglied oder Lichtgestalt, „linker Wilhelminist“ oder harmlose Witzfigur. „Holocaust, Hollywood, Hohenzollern“: Frank Schirrmacher mokierte sich in der „FAZ“ über Naumanns dezidierte Meinung in Sachen Mahnmal, Filmexport und Berliner Stadtschloss. Da leistete sich ein Quereinsteiger doch tatsächlich eine Haltung zu kulturellen Fragen und äußerte sie öffentlich! Das war neu.

Ob beargwöhnt oder belächelt: Naumanns Selbstbewusstsein und Streitlust ist es zu verdanken, dass die mal dämonisierende, mal komödiantische Begleitmusik zur Installierung einer offiziellen Bundeskulturpolitik rasch verstummte. Die kürzeste Entfernung zwischen einem Statement und seinem Dementi? Die Fundamentalkritiker schweigen längst. Und im jetzigen Wahlkampf melden sich unentwegt Künstler und Kulturfunktionäre zu Wort, die an die Unverzichtbarkeit des Staatsministeriums gemahnen. Egal, wer am 22. September gewinnt.

Vier Jahre sozialdemokratische Kulturpolitik: Das sind vier Jahre Ordnungspolitik (Stiftungsrecht, Urheberrecht, Buchpreisbindung, Vertriebenenkultur, Künstlersozialversicherung, Hauptstadtkulturvertrag) und vier Jahre Bundeskulturausschuss: nach drei Jahrzehnten endlich wieder ein parlamentarisches Gremium anstelle von Ministerial- und Regierungsratsvoten. Und, ja doch, vier Jahre erregte Debatte: über Zentralismus und Föderalismus, Glanz und Elend der Hauptstadtkultur, Bundeskulturstiftung mit oder ohne Länderbeteiligung. Vier Jahre, die sich Naumann und sein Nachfolger Julian Nida-Rümelin teilten, weil der ehemalige Journalist Naumann Ende 2000 als Chefredakteur zur „Zeit“ gewechselt war.

Ein Job, zwei Temperamente: Naumann war der „Now-Man“; der Münchner Kulturreferent Nida-Rümelin setzte das Werk des Impresarios mit ruhiger Hand fort. Dem Entertainer folgte der Philosoph, dem wortgewaltigen Kommunikator der bedächtige Diplomat. Erst der „Kulturstaatsdjango“ („SZ“) mit „brillanter Anschubhysterisierung“ („FAZ“), dann ein Mann, der die Mühen der Ebenen auf sich nahm. Schimpfte Peter Sloterdijk bei Nida-Rümelins Ernennung noch, da werde ein Genie durch „leistungsbereites Mittelmaß“ ersetzt, wird eben dessen Leistung inzwischen gewürdigt: die Beharrlichkeit, Verbindlichkeit und nicht zuletzt das unbürokratische Krisenmanagement NidaRümelins in Zeiten der Flutkatastrophe.

Zugegeben: Der Unterhaltungswert von Kulturstaatsminister-Reden ist mit dem Personalwechsel gesunken. Dafür stieg deren Verlässlichkeit. Naumann und Nida-Rümelin: keine schlechte Kombination. Präsenz und Repräsentanz sind gesichert. Der Staatsminister im Kanzleramt: Frühstücksdirektor und Festival-Zampano, Fürsprecher, Kulturkomplize. Aber kann er außer mit guten Worten mit seinem winzigen Budget auch etwas ausrichten? 967 Millionen Euro stehen 2002 zur Verfügung: etwa 1/2 Prozent des Bundesetats und knapp 10 Prozent der gesamten Kulturförderung von Gemeinden, Ländern und Bund. Auf dem europäischen Parkett spielt die geringe Summe keine Rolle. In der Kohl-Ära mussten die ausländischen Kulturkollegen in Brüssel mit 16 – keineswegs einmütigen – Ländervertretern verhandeln. Seit 1998 haben sie einen deutschen Ansprechpartner als tatkräftigen Mitstreiter beim Kampf um den Erhalt nationaler Kulturförderung in Zeiten des offenen Wettbewerbs.

Kleines Amt, große außenpolitische Wirkung – nicht zuletzt bei den kniffligen Beutekunst-Verhandlungen. Wie sieht es innenpolitisch aus? Beispiel Filmförderung: Nachdem Naumann beim „Bündnis für den Film“ manch feines Porzellan im Clinch zwischen Produzenten und TV-Sendern zerschlagen hatte, machte Nida-Rümelin sich ans Kitten. Inzwischen darf die Branche auf eine Novellierung des Filmfördergesetzes zugunsten der Stärkung der Kreativen zumindest hoffen. Einerseits. Andererseits: Dem eigentlichen Problem der konkurrierenden Länderförderungen inklusive Wanderzirkus der Filmteams, Bürokratiedschungel und Gremienfilz – dieser faulen Frucht des Föderalismus kann auch ein Kulturstaatsminister nur eins entgegensetzen: einen Fördertopf mehr. Und die wohlklingende Rede vom Kino als wertvolles Kulturgut.

Der Kulturbeauftragte: ein Minister mit beschränkter Wirkung. Die lobenswerten Gesetzesinitiativen – sei es zum Urheberrecht oder zur Reform der Besteuerung ausländischer Künstler – wären womöglich auch ohne seine Mitsprache realisiert worden. Größer ist die Wirkung allerdings, wenn er Feuerwehr spielt: etwa in Berlin, mit schlagzeilenträchtigen Folgen. Heinz Berggruen will seine Gemäldesammlung der verarmten Hauptstadt vermachen? Der Bund spendiert stolze 200 Millionen Mark. Daniel Barenboim droht der Staatsoper den Rücken zu kehren? Kanzler und Staatsminister überweisen eben jene 3 Millionen Mark, die der Maestro für seine Staatskapelle fordert.

Der Bund als Mäzen: Bundeskulturförderung sei ein Akt der Willkür, hieß es angesichts der Berggruen- und Barenboim-Hilfsaktion vor zwei Jahren. Auch der Hauptstadtkulturvertrag trägt Züge einer Zufallsoperation. Seit Jüdisches Museum, Festspiele, Haus der Kulturen der Welt und Gropiusbau in alleiniger Verantwortung des Bundes liegen, fragt mancher nach. Warum nicht auch noch die Topographie des Terrors? Oder die Staatsoper Unter den Linden, der größte Klotz am Bein des Berliner Kultursenators?

Auch die Personalpolitik der Staatminister hat Furore gemacht. Auf Naumanns Konto gehen die Ernennungen bei Berlins wichtigsten Kulturinstitutionen, darunter Klaus-Dieter Lehmann als Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Joachim Sartorius als Festspiele- und Dieter Kosslick als Berlinale-Direktor. Und Nida-Rümelin berief Hortensia Völckers und Alexander Fahrenholz an die Spitze der Bundeskulturstiftung.

Von wegen Ordnungspolitik. Spätestens seit der Stiftungsgründung im März 2002, bei der die resistente Kulturstiftung der Länder leider doch nicht mit ins Boot kam, und erst recht seit dem Gerangel um die Bund-Länderbeteiligung bei der Preußen- Stiftung samt Museumsinsel-Finanzierung ist klar, wie viel da noch in Unordnung ist. Die Chance zu sortieren wurde bislang nicht ergriffen. Es geht ja nicht nur um die Hauptstadtkultur, sondern ebenso um den Auf- und Ausbau in den neuen Ländern (um die sich vor allem Nida-Rümelin verdient gemacht hat), um die Stiftung Weimarer Klassik, das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das Bauhaus Dessau, die Münchner Pinakothek, Bayreuth oder Wörlitz. Statt zu klären, was Ländersache, was nationale Angelegenheit ist und wo auch künftig mischfinanziert werden soll, liefern sich die Protagonisten seit vier Jahren lieber amüsante oder bitterböse Scharmützel.

Unvergessen Hans Zehetmairs Verdikt vom „Blattgold auf der Pickelhaube“ und Naumanns Replik von den „Seufzern hinter bayerischen Butzenscheiben“. Unvergessen auch die Drohung der Länder, aus der Preußen-Stiftung auszusteigen, als Berlin in diesem Frühjahr seinen Verpflichtungen bei der Museumsinsel-Sanierung nicht nachkommen konnte, bis der Bund erneut aushalf.

Ein Masterplan Kultur erfordert Berserkerarbeit. Über viele Jahre. Der Reichtum der deutschen Kulturlandschaft ist nur zu bewahren, wenn Länderfürsten und Bundespolitiker sich endlich zusammenraufen. Ein solcher Masterplan ist ungleich dringlicher als die Förderung interdisziplinärer Projekte, junger Kunst und multikulturellen Kulturaustauschs – also all das, worum sich die Bundeskulturstiftung unter Leitung von Hortensia Völckers verdient machen möchte.

Bei der Opposition sind als Kultur-Kandiaten übrigens Berlins CDU-Vorsitzender Christoph Stölzl, Baden-Württembergs Kultusministerin Anette Schavan und Norbert Lammert, kulturpolitischer Sprecher der Christdemokraten, im Gespräch. Egal, wer am 22. September gewinnt: Bundeskultur muss mehr sein als ein Hilfsfonds samt Sonntagsrede, mehr als Spielwiese des Geistes in der Skylobby des Kanzleramts. Naumann und Nida-Rümelin ist es zu verdanken, dass die Kulturnation zumindest ahnt: Wer die Kultur wirklich meint, wird ihren Politikern mehr Macht geben müssen – und sei es in einem Kulturministerium.

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