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Kultur: Wortflieger, Papiertiger

„Weltklang“ am Potsdamer Platz eröffnet das Berliner Poesiefestival

Den Dichtern hätte nichts Besseres passieren können als der strömende Regen. Der Potsdamer Platz, den sie am Samstag Abend in babylonische Wortklänge hüllen wollten, wo indische Gutturale, chinesische Palatale, isländische Os und türkische Üs eine Weltkarte der Phonetik ins Abendrot hätten hieven sollen, stand unter Wasser. Man zog ins Kesselhaus der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg, statt einiger tausend Schaulustiger zogen einige hundert Interessierte mit und das Schönste war: Die Dichter durften auf einer gewöhnlichen Empore die Münder spitzen, statt in den aseptischen, weißen Bühnenkasten am Potsdamer Platz zu krabbeln wie Versuchstierchen ins Labor.

Die hinterhofschummrige Atmosphäre im Kesselhaus und die Nähe zwischen Dichtern und Hörern verwandelten die drei Lyrik-Stunden in ein kurzes Schauspiel mit zehn Akten. Die geplant ungeplante Dramaturgie des Abends hätte es besser kaum treffen können, denn gleich zu Beginn schickte sie zwei Dichter aufs Feld, die den dramatischen Konflikt des Abends eröffneten. Man könnte ihn den der Körper-Lyriker gegen die Kopf-Lyriker nennen. Lebogang Mashile, die 27-jährige Südafrikanerin, Filmschauspielerin und Frauenrechtlerin, begann den Wettstreit mit wippenden Hüften. Ihre Verse vom „Traum“ eingewebt „in des Lebens Saum“ schraubten sich wie gerappte Predigten durch den Raum. Fast jedes Wort modellierte sie so selbstgewiss mit Armen und Händen nach, als sei jede ihrer Muskeln die Wahrheitsgarantie ihrer Sätze. Körperkunst als Willenskraft. Adam Zagajewski, der zweifelnde Kopfmensch der polnischen Literatur und entschiedene Nicht-Schauspieler, antwortete mit trockenhumoriger Ironie und pries dagegen seinen Gedankenträger: das Papier. Nach den rasenden Rhythmen schien seine Lust am Abstrakten so gestiegen, dass er vor jeder Lesung die genauen Seitenangaben seiner Gedichte in der deutschen „Weltklang“-Anthologie hervorhob wie einen Ehrentitel. Statt Klang zu modellieren, genoss er es, seinen elegischen, tonlosen Singsang noch etwas elegischer und tonloser sprechen zu lassen: „Was aber ist meine Arbeit-/ lange reglos warten,/ Zettel wenden, geduldig meditieren“. Er nannte verzweifelt „lange Nachmittage, wenn die Poesie/ verschwand“, und sogleich hallten Mashiles zweifelsfreie Lebenslieder zurück, die solches Verschwinden nie kannten. Sie sind sicher „gewickelt in wippende Rhythmen“.

So öffnete sich das große Spannungsfeld und munter ordneten sich die folgenden acht Dichter darüber, nicht ohne Grenzverletzungen, versteht sich. Performer und Anti-Performer. Diejenigen, die sich der teuflischen Schönheit des Mediums überließen: der Stimme zum Beispiel, wie die ostsibirische Kehlkopfgesangsartistin Sainkho Namtchylak, die schrammende, tropfende, ächzende, roboterhafte Klangbilder in die Luft zeichnete. Oder wie die Taiwanesin Hsia Yü, die rätselhafte Selbstbeschreibungen aus Konsonanten entstehen ließ, aus m, f und gs, als schwimme ihr Körper – bewegungslos bewegt – durch ein gefrorenes Buchstaben-Aquarium.

Dagegen hatten es die skeptischen Papier-Dichter der Inhalts-Lyrik schwer, denn sie hatten nicht nur die Bühne zum Gegner, sondern plötzlich auch die Sprachbarrieren. Die leisen, feinen, politischen Verse der türkischen Menschenrechtlerin Gülten Akin oder des Inders Jayanta Mahapatra verhallten ohne Andockmöglichkeit im fremden Klang. Der König des Abends aber konnte über allen Lagern seinen verschmitzten Wortwitz funkeln lassen: Peter Rühmkorf, der alte, junge, abgeklärte, bübische Wortverdreher, dem kein Papier zu trocken und kein lautmalerischer Hochseilakt zu gefährlich ist, nippte gelassen am Rotweinglas: „Wer von so hoch zu Boden blickt,/ der sieht nur Verarmtes/Verirrtes./Ich sage: Wer Lyrik schreibt, ist verrückt/ wer sie für wahr nimmt, wird es“.

Alle Dichter treten in einzelnen „Poesiegesprächen“ diese Woche noch einmal auf; tägl. ab 17 Uhr, Info: www.literaturwerkstatt.org

Doris Meierhenrich

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