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Der Wu-Tang Clan live in Berlin.

© Davids

Wu-Tang Clan live in Berlin: Die stumpfen Schwerter der Pummel-Samurais

Der legendäre New Yorker Wu-Tang Clan gab in der Berliner Arena ein enttäuschendes Konzert und arbeitet weiter daran, sein Erbe zu verspielen.

Im Jahr 2015 ein Konzert vom Wu-Tang Clan zu besuchen heißt, sich auf lange Wu-Wartezweiten und Wu-Enttäuschungen einzustellen. Die legendäre Rap-Crew aus Staten Island hat zwar ein neues Album und ist auf großer Tour, doch das darf man nicht mit einem Comeback verwechseln. „Wie kann Hip-Hop sterben, wenn Wu-Tang doch ewig ist?“ lautet eine der vielen selbstewussten Weisheiten des Clans. Aber Hip-Hop geht es gut, nur Wu-Tang kränkelt sehr. Das ist die Diagnose nach dem Konzert in der Berliner Arena.

Tatsächlich ist noch nicht einmal der ganze Clan gekommen. Wie bei allen Konzerten in Europa fehlen RZA, Method Man und Raekwon – also so etwas wie der Kopf, die Faust und der Magen der Gruppe. Es stehen nur sieben Mitglieder auf der Bühne – vielleicht sogar ein Vorteil, sonst wären sie noch übereinander gestolpert oder noch öfter ins Wort gefallen. Die Aufregung, jetzt tatsächlich den Wu-Tang Clan live zu sehen, verwandelt sich kurz in einen Schock, als sieben Männer deutlich über 40 auf die Bühne kommen und kurz orientierungslos schauen. Von den Rap-Samurais, mit denen das Publikum aufgewachsen ist, sind sie weit entfernt. „Du Pummel in deinem Pseudo-Wu-Wear erinnerst irgendwie ganz stark an Winnie der Pubär“ lautet eine Zeile des Hamburger Rap-Duos Eins Zwo, die jetzt tatsächlich den unsterblichen Clan selbst beschreiben könnte.

Vom neuen Album spielt der Wu-Tang Clan keinen einzigen Song

Als Dendemann diese Zeile einst rappte, waren Wu-Tang gerade auf dem Höhepunkt ihrer Kunst. Das Debütalbum „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ von 1993 ist immer noch eins der atmosphärisch dichtesten Rap-Alben. Aus Soul-Samples und Dialogausschnitten aus Kung fu-Filmen bastelte Kopf RZA eine klaustrophobische Soundkulisse, aus der man gar nicht entkommen möchte. Die Wu-Stoner, mit zu viel Bruce Lee im Kopf, saßen im Kreis, reichten die Taschenlampe herum und erzählten sich angeberische Horrorgeschichten.

Das war vor 22 Jahren, also quasi die Hälfte der Lebenszeit von Hip-Hop überhaupt. Inzwischen ist viel passiert – der Clan selbst ist nach einer Handvoll exzellenten Soloalben Ende der Neunziger etwas ins Trudeln geraten, um dann mit dem Tod von Ol' Dirty Bastard 2004 völlig den Kurs zu verlieren. Auch mit Hiphop selbst ist viel passiert, er wurde mehrmals begraben und ist immer wieder aufgestanden. Bei diesem Auftritt tut man lieber so, als wäre es immer noch 1997. Vom neuen Album „A Better Tomorrow“ wird kein einziger Song gespielt, man beschränkt sich auf die ersten zehn Jahre. Es ist eins dieser Konzerte, bei dem „der wahre Geist“ noch einmal aufleben soll – alte Fans, die damals das erste Wu-Album auf Kassette hatten neben 23-Jährigen, die den Text von „The Message“ von Grandmaster Flash mitrappen als der DJ es zur historischen Einstimmung zwischen Biggie und 2Pac spielt.

Der Wu-Tang Clan selbst ist längst Teil dieser Geschichte geworden. Allerdings sind sie seit zehn Jahren damit beschäftigt, ihr Erbe zu verspielen. Denn für Totalästheten sind sie erstaunliche Schluderer. Einzig Ghostface Killah produziert durchgehend interessante und schlüssige Alben, die anderen ertrinken. Der große Coup, das Album „Once Upon a Time in Shaolin“, von dem die einzige physische Kopie für Millionen von Dollar versteigert werden soll, zeigt nur die Brüche in der Band. Zeitweise redeten einige Mitglieder nicht mehr miteinander – auch dass einer der Gründe, warum der Clan auf seinen schon traditionell miserablen Liveshows nicht vollzählig ist.

Ghostface Killah leitete das Publikum an, „Come Together“ zu singen

Auch heute kämpfen die tatsächlich erschienenen Clan-Mitglieder mit der Technik, nennen den Lichtmann sogar „cocksucker“, als der einfach nicht das blaue Licht einschaltet. Für Mikrofontechnik außerhalb des Studios haben sie keinen Bedarf, nur GZA und Inspectah Deck – seit jeher die geheime Trümpfe – und überraschenderweise Masta Killa mit mehreren Freestyles ragen aus dem dumpfigen Soundbrei, der reich an Bass und arm am Rest ist, hervor. Die Beiträge der fehlenden Rapper teilen sich die anderen einfach auf, den Unterschied kann man ja eh nicht hören beim schlechten Sound. In den hinteren Reihen in der eher luftig gefüllten Halle ist fast nichts mehr zu verstehen.

Am Frust des Publikums, den man hinterher auf Facebook und Twitter nachlesen konnte, änderten auch die guten Momente nichts. Der sonst so besonnene GZA machte Fingerpistolen und Ghostface Killah leitete das Publikum an, „Come Together“ von den Beatles zu singen und plötzlich steht Jeru the Damaja auf der Bühne. In solchen Momenten funkelt etwas, und sei es nur Geschichte. Ansonsten gilt bei Wu-Tang 2015: nicht den eigenen Hals muss man schützen, sondern die schönen Erinnerungen daran, wie es früher war.

Fabian Wolff

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