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Kultur: Wütend warten auf den Patriarchen „Das Muschelessen“ in der Vaganten-Bühne

Nur der Vater weiß, wie eine richtige Familie beschaffen sein muss. Er ist das Kraft- und Befehlszentrum.

Nur der Vater weiß, wie eine richtige Familie beschaffen sein muss. Er ist das Kraft- und Befehlszentrum. Frau, Tochter, Sohn haben sich widerspruchslos unterzuordnen. Und wenn der Patriarch von einer Dienstreise zurückkommt, gibt es eine Art Krönungsmesse: „Das Muschelessen“. Birgit Vanderbeke hat eine Erzählung über dieses Festmahl geschrieben, in einer Theaterfassung von Lars Vogel kam das 1990 entstandene poetische Kabinettstück jetzt auf die Vaganten-Bühne. Es ist ein eigentümlicher Theatertext. Die drei Abhängigen reden wohl abwechselnd, haben aber nur einen Ausgangs- und Bezugspunkt. Alles dreht sich um die Befindlichkeiten gegenüber dem erwarteten Vater. Jedes Erinnern an die Begebenheiten ihres Seins und Werdens, das sich während des Wartens Bahn bricht, bezieht sich auf diesen in Naturwissenschaft vernarrten Logiker voller aschgrauer Alltäglichkeit. Der Allesbestimmer hat Frau und Kinder in die Knie gezwungen und aus dem Leben herausgeworfen. Nur weil er nicht da ist – und vielleicht für immer wegbleibt – kommen Wahrheiten ans Licht. Ein Gerichtsverfahren findet statt, ohne den Angeklagten.

Vanderbeke legt im dreistimmigen Monolog Schicht um Schicht einer diffusen, niederdrückenden Angst bloß. Sie lässt eine Entmenschlichung offenbar werden, die ganz allmählich beginnt und dann immer bedrohlicher fortschreitet. Muscheln überall auf dem Bühnenboden, verdorben wie die „Familie“. Regisseurin Bettina Rehm begegnet dem kargen, schmucklosen, aber streng durchkomponierten Text selbstbewusst. Sie übersetzt ihn in Bilder, in hochgeladene szenische Vorgänge. Ihre Darsteller – Eva Mannschott, Julia Sontag, Florian Rast – stellen sich zunächst mit Affenmasken auf Stühlen und Hockern zur Schau. Im Bühnenbild von Julia Hattstein versuchen die Darsteller mit trotziger Verwandlungskunst ein Käfig-Dasein vorzuzeigen, das jeden anders packt und aus der Normalität wirft. Angestrengtheiten in der Bildersuche, den Kostümwechseln, den Bewegungsfolgen allerdings bleiben spürbar, der Zugang zur eigenartigen Geschichte öffnet sich nur mühsam. Kafkas Brief an den Vater, im Programmzettel abgedruckt, steht wie ein Menetekel über dem Abend. Christoph Funke

wieder am 17., 18., 19. Oktober

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