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Wulff-Affäre: Die mit dem Wulff heulen

Wer die Macht hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das Internet ist voller Wulff-Witze, die Affäre inspiriert die Netzgemeinde zu Pointen und Fakes jedweder Art. Über die Funktion des politischen Witzes in Skandal- und Krisenzeiten der Demokratie.

„Liebling, ich habe die Würde des Amtes geschrumpft.“ Das Internet ist voll von Wulff-Witzen, allein die auf den Präsidenten gedrehten Filmtitel sind Legion. Von „Einer flog über das Eigenheim“ über „Jäger des verlorenen Anrufs“ und „ABeowulff“ bis zu „Ich weiß, was du letzten Sommer gekriegt hast“ sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. „Hallo Kai, hier ist der Christian“: Die von WDR 5 gefakete Mailbox-Nachricht für „Bild“-Chef Kai Diekmann, „Titanic“-Postkarten, fingierte Facebook-Seiten, bitterböse Cartoons und das neue Verb „wulffen“: Eine Lawine ist losgetreten. Ein Phänomen, mit dem sich auch seriöse Nachrichtensendungen befassen.

Wer die Macht hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Schon Catull belustigte sich über Caesar. Der Spott gehört seit Alters her zur Politik, als scharfe Waffe der Demokratie ebenso wie als Instrument zur Selbstermächtigung der Bürger in Diktaturen: ein Selbstheilungsmittel mit kathartischer Wirkung. Liebling, ich habe die Würde des Amtes geschrumpft? Dann holt sich der Wähler die Würde eben zurück und reagiert auf die Respektlosigkeit, mit der ausgerechnet der Bundespräsident der Meinungs- und Pressefreiheit begegnet, seinerseits mit Häme. Der soll die Grundrechte schützen? Schützen wir sie besser vor ihm.

Wir sind der Souverän, wir sind das Volk, deshalb sind wir so frech. Man erschrickt vor der klaffenden Lücke zwischen dem ranghöchsten Amt im Staate und der unsouveränen Person, die es innehat, und füllt die Distanz mit gewitzten Interventionen. „Die Würde des Amtes klingt immer mehr nach Konjunktiv“, twittert der Schriftsteller Peter Glaser. Oder: „ ,Ganz oben!’ Günter Wallraff ist Christian Wulff“. Der Eigenheim-Kredit, das biedere Eigenheim selber, der Präsident als Grundstücksverpächter für eine Tanke in Westerkappeln, die Mailbox-Wutattacke, es wirkt alles so kleinkariert, eines Großen nicht würdig. Falsches Format: Der Witz macht das Unangemessene kenntlich, die Fallhöhe, von der aus da einer stürzen könnte.

No jokes with names. Die gute alte Regel ist mit den „Wulff im Schafspelz“-Pointen außer Kraft gesetzt. Nicht nur die Zote, auch der gewöhnliche Witz ist triebgesteuert, wie Sigmund Freud in „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ bemerkte. Wie kann man nur so dämlich sein und dem „Bild“-Chef auf Band brüllen oder dem Landtag einen Kredit verschweigen! Das kann doch nicht wahr sein: Der Gedanke an einen Präsidenten, der derart peinliche Dinge tut, ist unerträglich. Da ist der Wulff-Witz als Aggressionsabfuhr immer noch besser als Fremdschämen. Bloß der Lustgewinn ist geschmälert, weil die Zahl der Witzfiguren in Deutschlands politischer Klasse zunimmt. Guttenberg, Rösler, Lindner, da blamiert sich bald eine ganze Generation.

Così fan tutte: Wulff hätte sich nur George Clooneys „Iden des März“ im Kino anschauen müssen, um zu wissen, was jeder Politikberater als ehernen Grundsatz verinnerlicht hat. Als Präsident kannst du die Nation belügen, betrügen und Kriege anzetteln – nur die Praktikantin darfst du nicht vögeln. Das heißt, Schweinereien im großen Stil sind kein Problem in den oberen Etagen, es sind die (vermeintlich) kleinen Fehltritte, über die Kaiser und Könige stolpern.

Früher war es der Job des Hofnarren, die Mächtigen durch den Kakao zu ziehen. Er war der Außenseiter, der nicht zur feinen Gesellschaft gehörte und sich auf seiner exzentrischen Position Frechheiten erlauben durfte. Heute ist diese Lizenz allen erteilt, längst hat die Mediengesellschaft den Job des Narren übernommen. Der Spott fungiert dabei als Korrektiv gegen Machtanmaßung und -besessenheit. Und spätestens seit Karl Kraus und Tucholsky gehört die Satire zum Wesen der Demokratie und muss immer neu verteidigt werden, zum Beispiel im Streit um die Mohammed-Karikaturen.

Lachen ist gesund - auch Helmut Kohl als Birne.

Lachen ist nicht nur gesund, es steckt auch an. Wer Witze erzählt, stärkt das Kollektiv. Das Lachen grenzt den Verlachten aus (es sei denn, er beherrscht die Kunst der Selbstironie) und fördert das Gemeinschaftsgefühl. Zu den namentlich bekannten Wulff-Bloggern und -Satirikern gesellt sich der große Chor der anonymen Spötter. Das hat der Spott mit dem Gerücht gemeinsam: Er kennt kein Copyright. Etymologisch leitet er sich von der gleichen Wortwurzel ab wie das Spucken. Man macht einen lächerlich, der ernst genommen gehört, man stellt ihn bloß. Neben dem Moment der Selbstreinigung steckt darin immer auch eine Prise Verachtung.

So ist der Spott von Natur aus böse, beißend, verletzend. Wie der Witz ist er politisch unkorrekt und sprengt moralische Grenzen. Das Lachen über den Wulff-Witz entzündet sich aber zugleich am kollektiven Wissen um diese Grenzen. Die Varianten des Spotts heißen Sarkasmus, Polemik, Parodie, Blasphemie (wenn Gott Mist baut) und Ironie. Seine Steigerung ist der Hohn, der dem Opfer die letzte Ehre abschneidet. Darauf verstehen sich die ätzenden jokes der Briten, aber auch die spitzen, oft investigativen Federn in Frankreich, wie im aktuellen Comicband „Sarkozy et les riches“ über das Amigo-Netzwerk von Monsieur le Président in den Hinterzimmern der Grande Nation.

Der politische Witz in Nachkriegsdeutschland zeichnete sich eher durch Gemütlichkeit aus. Die „Pardon“-LP mit den Rede-Pannen von Bundespräsident Heinrich Lübke (wobei „Meine Damen und Herren, liebe Neger“ bis heute nicht verbürgt ist), Kohl als Birne – das war die Bonner Republik. Die Regel, dass im Parlament nicht gepöbelt wird, hat SPD-Meisterspötter Herbert Wehner bekanntlich gerne gebrochen, mit CDU-Namensdrehern wie Todenhöfer/Hodentöter oder Wohlrabe/Übelkrähe. „Jetzt ist die Stunde der Wahrheit“: Den flammenden Appell von Oppositionsführer Helmut Kohl parierte Wehner lapidar mit „Jetzt ist Mittag“. Der Kantinenhumor kam an. Die 68er fanden einen Schlager singenden Außenminister auf der Postkutsche zwar lächerlich, aber der Rest der Nation sang mit bei Walter Scheels „Hoch auf dem gelben Wagen“. Die Platte schaffte es Anfang 1974 auf Platz 5 der Charts, noch im gleichen Jahr wurde Scheel Bundespräsident. Er vereint Humor und Würde, hieß es.

Kürzlich sorgte sich der Alt-Präsident um das Ansehen seines früheren Amts. „Sitten und Gebräuche haben sich seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland leider auch in der Politik sehr geändert,“ meinte Scheel zur Wulff-Affäre. Dabei war die Schadenfreude schon immer so typisch deutsch, dass andere Sprachen den Begriff im Original übernommen haben. Aber es stimmt schon, jetzt ist Berliner Republik, jetzt ist Internetzeit, und im Kino laufen Fantasyfilme. „Bis(s) zum Ende der Amtszeit“ gehört zu den Favoriten der Twitter-Gemeinde.

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