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Kultur: Wunderwerke

Zum Tod des Autors und Kritikers Harald Fricke

Am schönsten war es, mit Harald Fricke nach getaner Arbeit in der „taz“-Redaktion noch ein Bier zu trinken. Die Anspannung des Tages fiel zwar keineswegs von ihm ab, doch sprach er nun ausgiebig und frei flottierend über all das, was im redaktionellen Alltag durchaus zu kurz kommen konnte: über die Kunst von Mark Brandenburg oder Raymond Pettibon, über Minimal-Techno, das „Funkenmariechen“ Janet Jackson oder Larry Clark. Erhellend, lehrreich war das oft, verblüffend allemal: kaum ein Gebiet, auf dem er sich nicht auskannte. Und je randständiger und kaputter, desto interessanter, ohne dass Fricke die Interaktionen der Hochkultur mit dem Underground je vernachlässigt oder von snobistisch subkultureller Warte auf den Mainstream geschaut hätte.

Fricke, 1963 geboren, studierter Philosoph und Komparatist, war seit 1993 taz-Kunstredakteur, später Redakteur für besondere Aufgaben. Er schrieb über Kunst, junge, unbekannte Kunst zumal, die viel später dann in Großausstellungen gefeiert wurde, aber genauso kenntnisreich über Popmusik, Film, Popkultur überhaupt. Er war Generalist. Und um seiner Texte willen las ich die „taz“, lange bevor ich sein Kollege wurde.

Geschah es, dass unsereins ihm nicht mehr folgen konnte, er sich in zeitungsfernen Theoriegebäuden bewegte, so erstaunte umso mehr die Klarheit und Konzentration seiner Texte: Die sind präzise, auf den Punkt gebracht, kleine Wunderwerke in Stil und Form. Und hellsichtig, hintergründig witzig, sanft kritisch; nie ungerecht, immer um ein Verstehen des Gegenstandes bemüht. Das viele Lob dafür nahm Fricke oft ungerührt zur Kenntnis – Vorbild zu sein, bewundert zu werden, obwohl genau das ihm widerfuhr, lag ihm nicht. Auch verfiel er nie der Kulturjournalistenkrankheit, sich nicht mehr recht begeistern zu können, weil alles schon mal dagewesen war. Viel lieber entzündete er sich täglich neu. Das hatte auch was Obsessives – legendär ist seine komplette Soulplatten-Sammlung –, aber genauso viel Liebenswertes, rührend Verspieltes, Kindsköpfiges. Am Mittwoch ist Harald Fricke in Berlin 44-jährig an einer Krebserkrankung gestorben. Gerrit Bartels

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