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Kultur: Wuppertaler Opernhaus: Brasilien ohne Titel

Brasilien ist ein Traum. Aus gleißendem Licht, wenn Sonnenstrahlen durch windgeschüttelte Palmblätter wirbeln.

Brasilien ist ein Traum. Aus gleißendem Licht, wenn Sonnenstrahlen durch windgeschüttelte Palmblätter wirbeln. Aus Musik. Aus der Liebe zwischen Mann und Frau. Das Brasilien, das Pina Bausch in ihrem jüngsten Tanzabend (wie üblich noch ohne Titel) in Wuppertal entwirft, findet sich auf keinem Globus. Doch als die Truppe im Dezember dort war, muss es auf sie gewirkt haben wie weiland El Dorado auf die Konquistadoren: So viel Stimmung im reichen wie im flachen Sinn war auf der Bausch-Bühne nie. Die zeigt sich anfangs und wieder ganz zum Schluss als kahles, weißes Bühnenrund, die ganze Kälte Europas. Und dann stürzen in diese leere Projektionsfläche auf Boden, Seiten, Rückwand die Bilder sämtlichen Fernwehs: Palmen, badende Indio-Mädchen, fliegende Flamingos. Es sind Video-Projektionen von weiß-grüner Überhelligkeit, eine Orgie aus Bewegung und Licht, die Bühnenbildner Peter Pabst in ununterbrochenem Strom über die Bühne ergießt. Und mit diesem schwankenden und stürzenden Raum, mit den Fahrten und Schwenks und Zooms der Kamera wetteifern die Tänzer. Gehoben und getrieben von einer Musik, die den Rhythmus von Samba und Rumba und die Melancholie des Fado in sich trägt, aber die Leichtigkeit des Pop und die Härte des Techno besitzt.

Marion Cito hat den Frauen fließende Kleider von üppiger Eleganz geschenkt, Regina Advento gar präsentiert sich im Goldgewand. Die Leichtigkeit, die Pina Bauschs Choreografien in den letzten Jahren gewannen, ist hier auf ihrem Höhepunkt angelangt, die Entwicklung weg vom Theatralen, vom Sprechen, vom Geschichten Erzählen wieder hin zum Tanz ist fast an ihr Ende gelangt. Nur wenige Szenen noch, in denen das Publikum angesprochen wird, in denen das Liebesritual komisch veralbert wird.

Es mag programmatisch sein, wenn Julie Shanahan allein nach vorn kommt und bekennt: "Ich wollte nicht sprechen, aber ich muss." Auch die großen schreitenden Ensemble-Tänze sind fort, eine wildes Solo löst das andere ab, hart geschnitten mit Duos von ähnlicher Heftigkeit. Getanzt wird nah am Körper und oft nah am Boden, ohne dass die Schönheit und das Gelingen am Ende zurückgenommen oder von Gewalt zerstört würden. Da steigt etwa eine kleine Frau immer wieder auf die Schultern eines großen Mannes, richtet sich frei empor und fällt hinab in seine Arme: Das Begehren der Geschlechter endet nicht mehr im Kampf. Vielleicht mündet ein großes Solo noch in einem Schrei oder mit einem stummen Weggehen, so als traue man dem Gelingen nicht. In der Tat ist die erschütternde Lebensfreude eines Solos, das Azusa Seyama in den wilden Bildern einer Bootsfahrt vollführt, kaum auszuhalten.

Pina Bauschs Brasilien ist eins der Projektionen: Die hintere Wand hebt sich und es erscheint ein leibhaftiger kleiner Urwald aus dickblättrigen dunklen Gewächsen. Doch der sieht dem Pflanzgarten eines Touristikhotels ähnlicher als der Hölle des Dschungels, zwei Männer werfen sich wie in inszeniertem Spiel einen Speer zu, und dann lümmelt sich die ganze Reise(?)-Gesellschaft in Badekleidung auf Lounge-Möbeln vor der rasch wieder geschlossenen Wand, präsentiert sich kichernd mit vorgehaltenen Badetüchern, auf die nackte Frauen gedruckt sind. Viele Paartänze wie auf einem Ball; gewissermaßen tanzbar ist die Musik des ganzen Abends. Als kindlich-heiteres Spiel erscheint die Anziehung der Geschlechter, ein wildes, aber ganz kollisionsloses Durcheinander von Einzelnen endet entspannt an Caféhaustischen. Und wenn man gemeinsam eine Rinne zusammensteckt, fließt auch endlich das Wasser, das in so vielen Bausch-Stücken eine, oft quälende, Rolle spielte.

Zwar sind die Soli Dominique Mercys, des letzten noch übrig gebliebenen Seniors des Ensembles, von Erschöpfung gezeichnet; zwar zeigt Helena Pikon ihre ersten grauen Haare. Ganz anfangs aber hatte sie dort, lustvoll Orangen schmatzend, gestanden und erzählt, neulich nachts habe ein Krampf sie aus dem Schlaf gerissen. Sie sei ans Fenster getreten - und da habe sie einen grandiosen Sternenhimmel erblickt. Es gibt ein Glück, heißt das wohl, zu dem nur der Schmerz die Richtung weist.

Ulrich Deuter

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