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Kultur: Wut im weißen Anzug

Eindrücke vom Berliner PEN-Kongress

Das richtige Wort, am richtigen Ort. Günter Grass weiß, wie er in die Nachrichten kommt. „Schreiben in friedloser Welt“ ist das Motto des 72. Internationalen PEN-Kongresses in Berlin, auf der Eröffnungsveranstaltung attackiert Grass mit deutlichen Worten die USA: „Der von ihr gewollte und die Gesetze der zivilisierten Welt missachtende Krieg fördert den Terror und kann nicht enden.“ Ausgiebig zitiert Grass Harold Pinters Amerika-kritische Nobelpreisrede von 2005 und trägt grollend Andreas Gryphius’ Barock-Sonett „Threnen des Vatterlandes“ vor. Es sei schließlich immer Krieg gewesen, der Schriftsteller könne das nicht verhindern, bloß immer wieder den Popanz falschen Heldentums lächerlich machen. Eine große Rede für die große Bühne, die das Publikum aus über 400 internationalen Autoren mit Standing Ovations und Bravo-Rufen quittiert. Auch wenn da viel Pathos im Spiel war und die Meinungsdespoten außerhalb der westlichen Welt gar nicht erwähnt wurden.

Dabei lautete die Devise des Berliner Arbeitstreffens eigentlich „No politics“. Nicht BND-Bespitzelungen oder Urheberrechtsfragen sollen Thema sein, vielmehr soll in nichtöffentlichen Sitzungen die Situation verfolgter und unterdrückter Autorinnen und Autoren besprochen werden. Doch neben allen Problemen geht es um schöne Literatur, dafür sorgt ein reichhaltiges literarisches Rahmenprogramm. Die erste Veranstaltung „Darf ich vorstellen?“, bei der arrivierte Autoren weniger bekannte Kollegen präsentieren, wird erneut von Günter Grass eröffnet. Dessen 1970 geborene Verlagskollegin Eleonora Hummel erntet Nobelpreisträgerlob für die „Kunstfertigkeit“, mit der sie den „sperrigen Stoff“ der Vertreibung der Wolgadeutschen in ihrem Roman „Die Fische von Berlin“ verarbeitet habe. Doch bei den anderen Autoren-Vorstellungen mag der literarische Funke nicht recht überspringen. Die Schriftsteller verlieren sich in einer Bühnenecke, der Saal im Hilton-Hotel ist zu leer und zu hell.

Bei der „Langen Nacht der Literatur“ in der Akademie der Künste am Hanseatenweg stimmt dagegen die würdige, souveräne Inszenierung. Akademiepräsident Klaus Staeck spricht ein knackiges Grußwort, dann spielt der Cellist Frank Wolff. Den ganzen Abend über sorgt er immer wieder für Staunen. Da sitzt nur ein einziger Mann mit einem einzigen Instrument und sorgt doch für klangfarbige, virtuose Auftritte.

Das Programm ist dicht. Neun internationale Autoren lesen, Moderator Roger Willemsen führt flott und pointiert durch die Veranstaltung. Und die bietet einiges, von der Lyrik des kritischen chinesischen Lyrikers Bei Dao, die dieser im Original rezitiert und deren Übersetzung wie die der anderen Texte im luxuriösen Begleitheft nachzulesen ist, bis zur schnodderigen Prosa der Schottin A. L. Kennedy. Für die Entdeckung des Tages sorgt der russische Schriftsteller und Essayist Viktor Jerofejew. Er tritt im weißen Anzug auf und liest auf Russisch, nur ein Minütchen, um zu zeigen, „dass die russische Sprache reicher ist als die Gasindustrie“. Sein kompakt vorgetragener, ungemein komischer Text „Der europäische Sinn des Lebens“ konstatiert eine metaphysische und politische Leere im Leben der Europäer.

An die Stelle von Instanzen wie Gott, Liebe und Politik seien Stilismus, ennui und Angst getreten: „Eurorenovierung – das ist weiße Leere, angefüllt mit eben jenem spießigen Komfort und Mief, dem man die Anstrengung anmerkt, bloß nicht als spießig zu erscheinen.“ Jerofejew ist wütend, das macht seinen Text so mitreißend. Und plötzlich tritt das Politische doch wieder ein Stück aus der Literatur hervor. Applaus!

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