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Kultur: Wut tut gut

Turbulentes Saisonfinale an der Deutschen Oper

Auch am Ende ihrer ersten Saison als Generalintendantin der Deutschen Oper tendiert Kirsten Harms weiterhin dazu, das Aggressionspotenzial der Berliner zu unterschätzen. Um acht Uhr soll die Konzertversion von Verdis „Ernani“ in der Philharmonie beginnen. Doch die Bühne bleibt leer, trotz wiederholter aufmunternder Applaussalven der Wartenden. Als gegen 20 Uhr15 die ersten Choristen provozierend seelenruhig in den Saal tröpfeln, schallt es wütend aus Block D: „Geht’s noch langsamer?“ Harms selber wird mit einem Buhkonzert empfangen, noch ehe sie den Grund der Verzögerung – WM-Jubelstau rund um die Philharmonie – erklären kann.

Natürlich gilt die rotzige Publikumsreaktion auch ihrer desaströsen Einstands-Spielzeit. Ebenso der Tatsache, dass die Deutsche Oper seit Ende April wegen Bauarbeiten geschlossen ist, aber kaum Ausweichaktivitäten stattfinden. So muss der Eindruck entstehen, die Belegschaft ginge wochenlang spazieren. Zwar wird in allen Abteilungen gearbeitet – nur hat die neue Intendantin dies nicht ausreichend kommuniziert.

So obliegt es Renato Palumbo, ab August offiziell Generalmusikdirektor der Deutschen Oper, die Kritiker zumindest an diesem Abend zum Schweigen zu bringen. Richtig laute Musik kommt immer gut in der hektischen Hauptstadt – und „Ernani“, Verdis Frühwerk von 1844, bietet da zum Glück jede Menge Tschingderassabumm. Doch Palumbo kann mehr: Wie ein Pizzabäcker in der Showküche eines Edelitalieners knetet und walkt er die Partitur, lässt den Fladen mal fliegen und legt rasante Tempi vor, dehnt den Teig dann wieder liebevoll, erlaubt sich schwelgerische Rubati. Und bringt das Orchester der Deutschen Oper auf die rechte Temperatur: Glühend heiß muss der Ofen sein, damit die Pizza knusprig wird, rhythmisch messerscharf müssen die Musiker spielen, wenn die Hauruckdramatik genießbar werden soll.

Für die Szene ist „Ernani“ wohl verloren: Schon Victor Hugos Dramenvorlage ist ein wüstes Stück um archaische Ehrbegriffe und Machtgeschacher, das Libretto verstümmelt die Story vollends zur Unkenntlichkeit. Musikalisch kommen Palumbo und seine Solisten dem Werk so nahe wie heute nur möglich: mit Salvatore Licitra als naivem Strahle-Helden, Lado Ataneli als grausam gefühlskalten Gegenspieler und einer immer noch faszinierenden Sylvie Valayre, die sich ohne Angst vor hässlichen Tönen ins vokale Getümmel stürzt.

Noch einmal am Dienstag, 20 Uhr, in der Philharmonie.

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