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Azhari: Wut und Welle

Eine Katastrophe hat seine Heimat in die Schlagzeilen gebracht. Der indonesische Autor Azhari verlor im Tsunami seine Familie. Er schrieb weiter – mit Hilfe aus Berlin.

Eine Katastrophe hat seine Heimat in die Schlagzeilen gebracht. Seitdem ein Tsunami an den Weihnachtstagen im Jahr 2004 etwa 170 000 Menschen in den Tod riss, kennt die gesamte Welt Banda Aceh, die Hauptstadt von Aceh im Norden Sumatras, auf einer der drei Inseln, die den 230-Millionen-Staat Indonesien bilden.

Als der Berliner Autor Martin Jankowski wissen wollte, wie er helfen könne, verwies man ihn auf einen jungen Autor: Azhari. Um ihm weiter das Schreiben zu ermöglichen, ließ Jankowski nach den Lesungen in seinen Literatursalons einen Klingelbeutel herumgehen. Etwa 150 Euro kamen monatlich zusammen, dazu die Spenden eines indonesischen und eines niederländischen Vereins. Das reichte Azhari ein Jahr lang als Starthilfe für Unterhalt und Unterkunft.

Die Flutwelle hatte sein ganzes Dorf, das direkt am Strand liegende Lamjamee, vernichtet; seine Eltern und die kleine Schwester waren ums Leben gekommen. Danach habe er eine riesige Wut verspürt, sagt er, und ein Jahr lang nicht schreiben können, bis auf das Gedicht „Die roten Flügel meiner Mutter“. Darin verschenkt ein Reiher seine roten Flügel für eine letzte Familienumarmung.

Der 29-jährige Autor ist nun zum ersten Mal in Berlin und trifft auf seine Spender. Er wirkt so zurückgenommen wie seine Prosa. Da ist kein Wort zu viel in den Texten aus seinem Band „Die Muskatnussfrau“, die oft auf Geschichten basieren, die ihm andere Dorfbewohner erzählt haben. In der Übersetzung von Heather Curnow ist „Nutmeg Woman“ letztes Jahr auch auf Englisch erschienen. Eigentlich geht immer etwas verloren, jemand versteinert oder stirbt, der gewalttätige Mob verkohlt einem Troubadour die Zunge und spießt ihn auf.

Die Sprache, in der er schreibt, Indonesisch, ist nicht seine Muttersprache, das Acehnesische. Indonesisch lernte er von Polizistenkindern. Denn in Aceh kämpften die Guerilleros der Aceh-Unabhängigkeitsbewegung verstärkt seit 1999 gegen das Staatsmilitär. Nach der jahrzehntelangen Dominanz der Kolonialmacht Niederlande wandten sich die eher islamisch geprägten Acehnesen gegen die Vereinnahmung durch die javanesische Monokultur.

Azhari, der seine erste Kurzgeschichte als Schüler in der Zeitung veröffentlichte, war ebenfalls für kurze Zeit Aktivist. Heute sieht er sich eher als ein Teil der „künstlerischen Unabhängigkeitsbewegung“, denn Pamphleten fehlt der Humor und eine länger andauernde Wirkung, wie er sagt.

2003 gründete er mit Gleichgesinnten die Kunst- und Lebensgemeinschaft „Pandanusmatten-Kollektiv“ (www.tikarpandan.org): ein Name, der ihnen einfiel, als sie auf den traditionellen Strohmatten herumsaßen. Sie begannen, eigene Texte zu veröffentlichen, zuerst in einer Zeitschrift namens „Ausgangspunkt“. Diese wurde nach dem Tsunami in „New Wave“ umbenannt. Aber auch die erste Nummer war schon Programm: Sie hatte den Drogenhandel zum Thema, berichtete über Schmuggelrouten für Marihuana, das Aceh in großen Mengen produziert. Ein Tabuthema. Die Zeitschrift hatte keine Verkaufslizenz, man erhielt sie nur an so ungewöhnlichen Orten wie der Psychiatrie eines Krankenhauses. Dort fanden auch die Lesungen statt.

Jetzt kann man die Zeitschrift in ganz Indonesien kaufen. Die Gemeinschaft hat sich professionalisiert. Die Autoren mieteten nach dem Tsunami ein Haus in Banda Aceh, denn viele von ihnen hatten Angehörige verloren. Sie bilden eine neue Familie, unterhalten einen Buchladen, bieten Journalismus- und Schreibkurse an. Azhari gilt der „Jakarta Post“ bereits als „der Autor aus Aceh“.

Vieles hat sich verändert: Nach der Welle kam die Welt nach Aceh. Der neue Feind, sagt Azhari, sei die Ungerechtigkeit, mit der Gelder verteilt würden. Dort, wo einst sein Elternhaus stand, baute er eine Gedenkhütte. Er schreibt als Gastdozent an der Universität Leiden an einem historischen Roman über Piraten, denn im 16. Jahrhundert war seine Heimat eine vorherrschende Seemacht. „Wenig Literatur“, erklärt er, „setzt sich mit dem Maritimen auseinander. Das Meer ist räumlich so nah und doch sehr entfernt.“ Wenn er zu Hause in Banda Aceh im Café sitzt, fühlt er sich allerdings wieder wie ein einfacher Fischer, sagt er. Nur nebenbei erwähnt er, was sich wirklich verändert hat in seiner Heimat, und das ist nicht wenig: Es herrscht Frieden.

Lesung (mit deutscher Übersetzung) und Gespräch mit Azhari, Sonntag, 25. April, 11 Uhr. Botschaft der Republik Indonesien, Bibliothek im Hinterhaus rechts Lehrter Str. 16-17. Eintritt frei. Anmeldung erbeten unter education@indonesian-embassy.de oder Tel.: 030/478 072 41.

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