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Ausschnitt aus dem Buchcover zu "I Am China".

© Verlag

Xiaolu Guo beim Internationalen Literaturfestival Berlin: Der Zensor im Kopf

Die chinesische Schriftstellerin Xiaolu Guo wuchs anders als die Generation ihres Vaters mit einer großen Offenheit gegenüber der westlichen Kultur auf. Ungehindert und mit Begeisterung las sie Ginsberg, Salinger und Bukowski. Heute lebt sie in London und schreibt auf Englisch. Doch ihre Heimat lässt sie dennoch nicht los. Beim Internationalen Literaturfestival Berlin stellte sie ihren dritten Roman "I Am China" vor.

Von Gregor Dotzauer

Der Unterschied zwischen einer Kunst, die dem chinesischen Volke dient, und einer Kunst, die dem Bourgeois gefällt, lässt sich auf eine einfache Formel bringen. Wer menschenleere Landschaften malt, sagt Xiaolu Guo, schlägt sich auf die Seite des Kapitalismus. Wer aber Weizenfelder malt, durch die Bauern schreiten, schlägt sich auf die Seite des Kommunismus. Ihr Vater musste die Differenz am eigenen Leib erfahren. Für seine Landschaften in der Tradition von Vincent van Gogh wurde er insgesamt 15 Jahre lang, bis 1971, in ein Lager verbannt.

Sie selbst, zwei Jahre später in einem südchinesischen Fischerdorf geboren, wuchs dagegen schon mit einer Offenheit gegenüber westlicher Kultur auf, in der ihr Jerome Salinger so nah war wie Allen Ginsberg und Charles Bukowski. Und doch blieb es für sie befremdlich, ihren ersten europäischen Ausflug ausgerechnet auf die schottischen Hebriden zu unternehmen. 2002 von der Pekinger Filmakademie mit einem Stipendium an die National Film School in London gekommen, staunte sie auf der Isle of Iona, welche Fülle steinerner Zeugnisse das Christentum hier hinterlassen hatte und wie wenig bevölkert der Ort zugleich war.

"I Am China" - ein politisches Märtyrertum

Die chinesische Schriftstellerin Xiaolu Guo.
Die chinesische Schriftstellerin Xiaolu Guo.

© dpa

Das Erlebnis ist ihr so nachgegangen, dass sie die schottische Protagonistin ihres dritten Romans „I Am China“ (2015 auf Deutsch bei Knaus), den sie jetzt im Gespräch mit Bernhard Robben beim Internationalen Literaturfestival Berlin vorstellte, Iona genannt hat. Iona ist Übersetzerin und bekommt es mit Briefen eines chinesischen Liebespaars zu tun. Sie erzählen von Jian, einem dem Underground-Helden Cui Jian nicht ganz unähnlichen Rockmusiker, der nach Protesten gegen das Tiananmen-Massaker erst inhaftiert wird und dann in ein tristes europäisches Exil flieht, und von seiner zurückgebliebenen Freundin Mu, einer mondgesichtigen Bauerntochter.

Xiaolu Guo, die inzwischen mit britischem Pass in Hackney lebt, nennt ihren Roman über politische Kompromisse und politisches Märtyrertum, der wie ihr Essay für den Tagesspiegel ganz und gar keine moralisch rigoristische Position bezieht, ihren liebenden Abschiedsbrief an China. Eine vollständige Ankunft in der neuen Heimat ist auch für sie daraus nicht geworden. Die Freiheiten, die ihr das Englische gibt, ringen mit den Möglichkeiten der Sprache, die ihr in Fleisch und Blut übergegangen ist: Im Chinesischen meldet sich im Kopf sofort der heimliche Zensor.

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