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Sängerin und Pianistin Clara Haberkamp

© Stefanie Marcus

Xjazz Festival Berlin: Clara Haberkamp findet sich überhaupt nicht cool

Von Pop bis Free-Jazz: Pianistin und Sängerin Clara Haberkamp ist eine der eigenwilligsten Berliner Musikerinnen. Jetzt tritt sie beim Xjazz Festival auf.

Von Gregor Dotzauer

Nein, sagt sie am Ende, als hätte sie eine ganze Stunde lang Anlauf genommen, nur um bei diesem einen Bekenntnis zu landen, „ich glaube, ich zähle nicht zu den coolen Leuten.“ Die Kampfansage folgt auf dem Fuße: „Ist mir aber auch egal.“ Clara Haberkamp entspricht nicht dem Gardemaß der Berliner Jazzszene. „Für cool gehalten wird“, erklärt die Pianistin und Sängerin, „wenn man in Neukölln lebt, sich mit einer großen Ernsthaftigkeit verstellt, um Teil eines Trends oder einer Gruppe zu sein, die einen nicht angreifbar macht. Das wird dann als Reife gelobt und gerne mit Authentizität verwechselt.“

Sie dagegen fühlt sich wohl in der Gegend rund um den Charlottenburger Karl-August-Platz, wo wir uns in einem ihrer Stammcafés treffen. Ihr liegt einiges daran, ihr Publikum bei der Stange zu halten, statt es mit langen Totalimprovisationen in die Flucht zu schlagen. Und gemessen an der Auftrittsfrequenz mancher Ex- Kommilitonen vom Berliner Jazz-Institut (JIB), macht sie sich auch ungewöhnlich rar – nicht zuletzt weil der Stolz ihr es verbietet, sich ohne Gage aufzureiben: „Ich möchte nicht wie ein Bettler den Hut herumgehen lassen, da kriege ich die Krise.“

Festgelegt ist sie in ihrer musikalischen Identität noch nicht

Andere wiederum sehen eine Coolness in ihr, die ihr auch nicht recht ist. Mit ihren 26 Jahren hätte sie längst zu einem großen Label gehen können, sich aber in Sachen Repertoire und Styling verbiegen müssen. Deshalb hält sie ihren Wechsel zu den Berliner Traumton Records auch für einen Glücksgriff. Dort lässt Chefin Stefanie Marcus sie diejenige sein, die sie sein will. Wobei das letzte Wort über ihre musikalische Identität noch keineswegs gesprochen ist. Vielleicht hat sie bisher sogar zu viele Stilelemente auf einmal zusammenzubringen versucht.

In der Kunst, sich unter all ihren Begabungen und Interessen zurechtzufinden, ist sie die selbstbewusste Repräsentantin einer Generation, die sich auf das, was der Begriff Jazz verspricht, gar nicht mehr festlegen lassen will – und deshalb geradezu ideal zum Xjazz Festival passt, das ab dem 4. Mai zum dritten Mal in Berlin stattfindet. Gerade erst hat Haberkamp die Sängerin Rickie Lee Jones neu für sich entdeckt, hält aber auch die glühend freie Musik des Berliner Trios Hyperactive Kid mit dem Irrwisch Christian Lillinger am Schlagzeug für ein Ereignis und Craig Taborn für den interessantesten Pianisten seit Keith Jarrett. Sie bewundert Joni Mitchell ebenso wie Sophie Hunger, und frisch verliebt hat sie sich in die Arrangements von Gil Evans auf Miles Davis’ Einspielung von „Porgy and Bess“.

Sie findet, man kann bei deutschen Bigbands noch viel in Bewegung bringen

Figuren wie Xjazz-Organisator Sebastian Studnitzky sind deshalb ein Vorbild für sie. „Das ist einer, der sagt: Ich lasse mich nicht einordnen, und ich ordne mich nicht unter. Ich spiele Klassik, ich spiele Jazz, und ich spiele Elektro, und ich spiele sowohl Trompete als auch Klavier.“ Auf ihre Weise kann sie diese Breite auch für sich beanspruchen. Im Zentrum ihrer Arbeit steht das Trio mit dem E-Bassisten Dan Peter Sundland und dem Schlagzeuger Tilo Weber, das seinerseits schon ein breites Feld zwischen spätromantischer Harmoniepracht, improvisatorischer Kante und jazzigem Singer/Songwritertum mit Haberkamps glasklarer Stimme bestellt – und das alles in einem entspannt ausbalancierten Ensemblegeist ohne Egotrips. Irgendwann wird sie auch ihr fertig produziertes Popalbum aus der Schublade holen.

Nun aber kommen vermehrt orchestrale Arbeiten dazu. Im Sommer schließt Clara Haberkamp an der Hamburger Hochschule ihren Master im einzigen deutschen Kompositionsstudiengang ab, der Jazz und Klassik kombiniert. Zugelassen wird immer nur ein Meisterschüler – im letzten Jahr Lars Seniuk. Nur diesmal wurde mit der türkischen Pianistin Eda And eine zweite Bewerberin angenommen. „Ich lerne bei Wolf Kerschek Bigband-Arrangement und Komposition“, sagt Haberkamp, „zugleich macht mich die lettische Komponistin Ruta Paidere mit den Techniken von Beethoven und Béla Bartók bekannt. Und bei Manfred Stahnke, einem Schüler von György Ligeti, lerne ich viel über Neue Musik, etwa die Stücke von Helmut Lachenmann.“

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Was Bigbands schaffen können, hat sie schon am JIB durch die Arbeit mit dem komponierenden Schlagzeuger John Hollenbeck erfahren – nämlich den fatalen Abgrund zwischen Neuer Musik und Jazz ein Stück weit zu schließen. „Ich finde jedenfalls, dass man bei Bigbands in Deutschland noch viel in Bewegung bringen kann – wenn ich mich damit jetzt nicht zu weit aus dem Fenster lehne.“

Die Grundlage für all das wurde bereits im Elternhaus gelegt. Mutter und Vater sind beide Jazzmusiker, was sie nicht im mindesten schreckte. Mit sechs Jahren begann sie, klassischen Klavierunterricht zu nehmen. „Ich hatte erst eine sehr liberale Lehrerin, meine Patentante. Sie selbst konnte nicht Jazz spielen und hörte auch nur die leichte Schiene zwischen Michael Bublé und Diana Krall.“ Mit 17 Jahren traf sie in Gestalt des Dortmunder Pianisten Roland Pröll einen Hochschullehrer, der ihre Technik noch einmal systematisierte. Am JIB förderte sie vor allem der Vibrafonist David Friedman, der ihr bis heute verbunden geblieben ist.

"Wir sind alle Einzelkämpfer"

Früher, sagt sie, hätten sie manche als zu kindlich empfunden, während ihr heute mitunter vorgehalten werde, sie wirke zu souverän. Die Unsicherheit, was ihre Ausstrahlung angeht, macht ihr mehr zu schaffen als jede musikalische Herausforderung. Und manchmal bekommt sie Angst vor der eigenen Courage: Bei allem spürbaren Eigensinn will sie niemanden vor den Kopf stoßen, am wenigsten ihre Musikerkollegen, unter denen weitaus mehr Konkurrenz als Solidarität herrscht. „Die Leute sagen immer, wir bilden ein Kollektiv und unterstützen uns gegenseitig, aber hintenrum ist es anders. Wir sind leider alle Einzelkämpfer. Es wird allzu schnell die Illusion einer großen Einigkeit erzeugt, und am Ende stehen dann doch drei Obermotze da.“ Höchstens unter Frauen sei das anders.

Für sie persönlich hat sich die Form der gemeinschaftlichen Selbstorganisation, wie sie das KIM Collective unternimmt, deshalb nicht bewährt: Diesem Zusammenschluss Berliner Musiker gehören unter anderem ihr Drummer und ihr Bassist an. Zwei Alben unter eigenem Namen hat sie auf dem Bremer Label Laika veröffentlicht: 2013 ihr Debüt „Nicht rot, nicht weiß, nicht blau“ (noch mit Andreas Lang am Bass), 2015 „You Sea!“. Dazu kommen mit „One Hundred Dreams“ eine Vinylproduktion für Sammler sowie Aufnahmen mit Popette Betancor und Gustav Peter Wöhler, die sie auch auf Tourneen begleitet.

Mit „Orange Blossom“ hofft sie nun, ein Album aufgenommen zu haben, das für ein größeres Publikum funktioniert. Sie singt bei fünf von neun Stücken, und die englischen Texte stammen – mit Ausnahme eines Gedichts von Walt Whitman – von ihr selbst. Was das sein wird? „Eine emotionale Musik mit nur ein paar Free- Jazz-Elementen, erzählend, anspruchsvoll, klangfokussiert.“ Mit „You Sea!“ und seinen wilden sprunghaften Momenten, sagt sie, habe sie sich erst freigestrampelt. Wer weiß, wohin sie nun der süße Duft von Orangenblüten tragen wird?

Das Clara Haberkamp Trio spielt Do, 5.5. um 21.30 Uhr im FluxBau (Pfuelstr. 5)

Das Xjazz Festival findet vom 4. bis 8. Mai in diversen Berliner Locations statt. Zur Eröffnung spielt das eigens zusammengestellte X Ensemble um Sebastian Studnitzky im Watergate (21 Uhr). Am 5.5. sind u. a. die Rolf Kühn Unit (Lido, 18 Uhr), Julia Kadel & Anil Eraslan (Emmauskirche, 18 Uhr) und das Kurt Rosenwinkel Standards Trio (Privatclub, 23.15 Uhr) zu hören. Am 6.5. spielen das Vijay Iyer Trio (Lido, 21.30 Uhr), Ed Motta (Bi Nuu, 19.30 Uhr), Günter „Baby“ Sommer & Johannes Enders (Watergate, 21.30 Uhr) und das Alien Ensemble (Flux Bau, 23.15 Uhr). Am 7.5. sind u. a. die The Polyversal Souls (Privatclub, 18 Uhr), Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra (Emmauskirche, 21.30 Uhr) und Nightmares On Wax (Bi Nuu, 23 Uhr) dabei. Am 8.5. gastiert Bugge Wesseltoft in der Emmauskirche (18 Uhr) und Pantha Du Prince im Radialsystem (21 Uhr).

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