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Selbstverteidigungsfurie. Corinna Harfouch als Erfolgsschriftstellerin in Stephan Kimmigs Inszenierung.

© Eventpress Hoensch

Yasmina Reza: Mehrzweckhallengemetzel

Yasmina Reza ist eine der meistgespielten Theaterautorinnen der Gegenwart. Jetzt hat Stephan Kimmig am Deutschen Theater Berlin ihr neues Stück "Ihre Version des Spiels“ uraufgeführt

Der Provinzbibliothekar Roland Boulanger hat einen großen Coup gelandet. Völlig überraschend ist die Schriftstellerin Nathalie Oppenheim – eine Koryphäe, die öffentliche Auftritte scheut – seiner Einladung zu einem „Literarischen Samstag“ in die Mehrzweckhalle von Vilan-en-Volène gefolgt. Logisch, dass der Kulturstreber, der nebenberuflich selbst im lyrischen Fach dilettiert, alle Register zieht. Auf dem Lesepult steht eine Deko-Rose, eine adrette Praktikantin schleppt wechselweise Wasser, Wein oder Salzgebäck herbei. Und mit der Literaturkritikerin Rosanna Ertel-Keval, einer Art Michelle Hunziker des Kulturjournalismus, konnte sogar die prominenteste Tochter des Kaffs als Sparringspartnerin für Frau Oppenheim gewonnen werden.

Kurzum: Yasmina Rezas Stück „Ihre Version des Spiels“ enthält zahlreiche Ingredienzien für eine launige Kulturbetriebsposse; Insider-Schmunzler und anstrengungsfrei zu erklimmende Metaebenen inklusive. Denn der druckfrische Roman „Das Land des Überdrusses“, aus dem die Schriftstellerin liest, handelt – natürlich – von einer Schriftstellerin, die soeben ihren druckfrischen Roman „Ihre Version des Spiels“ aus der Noppenfolie gefingert hat und resigniert feststellen muss: „Es fasste sich nicht gut an, es machte keinerlei spürbare Freude, es löste vielmehr völlige Gleichgültigkeit aus.“ Entsprechend unfroh schaut – so sieht es Rezas Mehrfachspiegelungs- und Verschachtelungskalkül vor – natürlich auch Frau Oppenheim selbst drein, während sie sich am Mikrofon durch ihre literarischen Ergüsse quält.

So weit, so Reza also. Dass nun aber auch Stephan Kimmigs Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters über weite Strecken mehr Gleichgültigkeit als spürbare Freude stiftet, dürfte ein eher unfreiwilliger Spiegelungseffekt sein; vor allem eingedenk des hochkarätigen Schauspieleraufgebots. Der Abend beginnt schon etwas hölzern mit der allzu nahe liegenden Idee, die Theaterbesucher selbst in die Rolle der Gäste von Herrn Boulangers Provinz-Literaturnachmittag zu drängeln: Den Auftakt von Rezas Stück – Prolog und Einzug der Kulturkampfhähne in die Arena zu Vilan-en-Volène – erleben wir als Stehparty zwischen Bühne und Zuschauerraum. Rechts läuft Corinna Harfouch als Nathalie Oppenheim schüchtern zwischen den verwaisten Sitzreihen auf und ab und flüstert Ratlosigkeiten auf eine Handy-Mailbox, während die Rosanna der Katrin Wichmann selbstbewusst im Polster lümmelt. Links wuselt bereits – selbstredend bibliothekarisch bebrillt – Alexander Khuon als deutlich überforderter Technik-Checker zwischen Beamer und Mikro hin und her.

Sobald in der Stückvorlage die Lesung beginnt, darf auch das DT-Publikum in Polsterbänken auf der Kammerspielbühne Platz nehmen. Der Blick auf den leeren Zuschauerraum ist von einer großen Leinwand verstellt, auf der wechselweise Frau Oppenheims Buchcover beziehungsweise ihr rezitierendes Gesicht in Großaufnahme zu sehen ist. Harfouch sitzt jetzt als scheue Erfolgsautorin wie ein Häufchen Elend zwischen der Profilächlerin Rosanna und dem devot in sich zusammengesackten Roland – vor sich ein ergonomisch fragwürdiges Tischchen, neben sich die permanent kippgefährdete Handtasche. Und es macht durchaus Spaß zuzusehen, wie sich die wachsende Selbstverachtung für die Teilnahme an dieser grotesken Veranstaltung in ihren Gesichtszügen immer schutzloser Bahn bricht.

Die Literaturkritikerin greift Nathalie mit einfältigen Fragen nach autobiografischen Bezügen an. Der hobbyliterarische Bibliothekar überfällt sie mit einer eigenen Gedichtsammlung, Tenor: „In meinem Park aus Kindertagen / oberhalb der Bahnanlagen“. Und natürlich ist es lustig, wenn mit dem ersten Rotwein eine Art Ego-Erbauungsruck durch Nathalie geht und die höfliche Dulderin immer radikaler einer Selbstverteidigungsfurie weicht, die brüllend über den Unterschied zwischen „negativ“ und „ernüchtert“ doziert.

Dennoch: Auf dieser Betriebstemperatur ist der Abend schnell angelangt – und was dann folgt, im Wesentlichen redundant. Wiederholt verlässt Nathalie nach schönen Wutausbrüchen, die an Frank Castorfs Volksbühnenhochzeiten erinnern, die zusehends entgleisende Veranstaltung. Und weder Wichmanns Rosanna, die ihren wachsenden Selbstsicherheitsverlust mit archetypischer Stutenbissigkeit kompensiert, noch Khuons tollpatschigem Bibliothekar nimmt man ab, dass es ihnen tatsächlich gelingt, sie jedes Mal zurückzuholen. Lau plätschert der Abend dahin, weil die Einrichtung im Klischee ihm näher ist als das ironische Spiel damit. Dabei mangelt es in Rezas Vorlage nicht an Einladungen: Peinliche Literaturquizfragen, bildungshuberische Zitatkraftmeiereien und alberne Distinktionsspielchen bieten zwar sicher nicht den Tiefgang zwischen Schein und Sein, den der Text bisweilen zu behaupten scheint, aber durchaus eine gediegene kulturboulevardeske Steilvorlage. Als Nathalie Roland fragt, ob er sich an Trigorin aus der „Möwe“ erinnere, lacht das Publikum dankbar auf. Es weiß, dass Harfouch und Khuon in Jürgen Goschs Inszenierung dieses Tschechow-Stückes am DT zusammen auf der Bühne stehen.

An Gosch muss man sowieso des Öfteren denken an diesem merkwürdigen Abend. Der vor drei Jahren verstorbene Regisseur hatte ja mehrere Reza-Stücke mit großem Erfolg (ur-)aufgeführt. Aber die bürgerlichen Selbstentblößungsschlachten, die Gosch etwa aus dem „Gott des Gemetzels“ oder aus dem „Schlitten Arthur Schopenhauers“ herausgeholt hatte, liegen bei „Ihrer Version des Spiels“ in weiter Ferne. Ursprünglich, sagt Reza in einem Interview mit der „Welt“, das auch im Programmheft abgedruckt ist, habe Luc Bondy das in Frankreich schon seit längerem veröffentlichte Stück an der Wiener Burg urinszenieren wollen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Reza selbst die Hauptrolle spielte – was die kategorisch ablehnte. So sei „Ihre Version des Spiels“ Stephan Kimmig „in die Hände gefallen“: „Ich war ja nach dem Tod von Jürgen Gosch ein wenig verwaist“, sagt eine der weltweit meist gespielten Autorinnen überhaupt.

Beim Schlussapplaus wirkt Reza durchaus zufrieden mit dem Abend – auch, wenn die letzte halbe Stunde noch einmal besonders schwierig gerät: Bei Kimmig endet der literarische Nachmittag in einem enthemmten Besäufnis. Roland fällt anfallartig über die erschöpft am Boden liegende Nathalie her und ergeht sich in hektischen Beischlafanstrengungen, während Rosanna autistisch Choreografien durchexerziert. Immerhin hat Sven Lehmann noch einmal einen lustigen Auftritt als Bürgermeister, der Nathalie nur deshalb minutenlang hinterherrennt, damit er sie hemmungslos zutexten kann. Dann suchen alle das Weite, und der arme Bibliothekar bleibt allein in der Mehrzweckhalle zurück.

Wieder am 6., 9. und 10. Oktober

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