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Meisterin des hysterischen Dialogs. Die Dramatikerin und Schriftstellerin Yasmina Reza, 58.

© dpa/Peer Grimm

Yasmina Rezas Roman „Babylon“: Hilfe, die Gäste kommen

Göttin des Gemetzels: Yasmina Rezas Roman „Babylon“ über den ganz normalen Horror von Festen mit Leuten, die sich nichts mehr zu sagen haben.

Wer die erfolgreichen Theaterstücke der 1959 in Paris geborenen Schriftstellerin Yasmina Reza kennt, hat häufig den Eindruck, dass die nachfolgenden Gespräche über Text und Inszenierung tiefschürfender ausfallen als das dargebotene Werk. „Kunst“, „Drei Mal Leben“ und „Der Gott des Gemetzels“ werden landauf, landab gespielt. Das Publikum schätzt die leicht übersteuerten Generalangriffe auf bürgerliche Fassaden – sie liefern nicht zuletzt Gesprächsangebote weit über den Abend hinaus.

Auch Yasmina Rezas Romane sind insofern theatralisch, als sie weniger auf feinsinnige Personenführung und elaborierte Sprache setzen als auf Dialog- und Handlungseffekte. In ihrem neuen Roman „Babylon“ blickt die Ich-Erzählerin Elisabeth desillusioniert und zugleich larmoyant auf ihre Vergangenheit zurück. „Ich könnte nicht sagen, dass ich es verstanden hätte, ein glückliches Leben zu führen“, räsoniert sie. „Wenn ich mal unter der Erde bin, was macht das dann noch? Ob ich es verstanden habe, glücklich zu sein, ist dann allen scheißegal, und mir erst recht.“

Bei der Lektüre dieser Sätze darf man vermuten, dass der Tod in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen und Elisabeth bald durchdrehen wird – weil sie es in ihrem glücklosen Leben eben doch nicht mehr aushält. Mit dem Ehemann Pierre mag sie sich nicht mehr beschäftigen, er ist einfach nur da. Und auch sonst gibt es wenig Freude in diesem von bürgerlichen Konventionen geprägten Leben.

Dramaturgie und Dialoge erinnern an Rezas Bühnenstücke

Zudem bietet sich ein guter, weil völlig unpassender Anlass, das gesellschaftliche Korsett abzustreifen. Elisabeth hat anlässlich ihres 62. Geburtstags zu einem Fest eingeladen, was sie nervös macht, da sie sich für eine wenig erfahrene Gastgeberin hält. Es fehlen Gläser und Stühle, und dann kommen sie schon, die Gäste, die schrecklich langweiliges Zeug schwadronieren, aus dem sich aber schwere Krisen entwickeln können. Tatsächlich: Nach ein paar Gläsern streiten sich der Nachbar Jean-Lino und seine Frau Lydia über Bio-Hühnchen und Futtergranulat, über gesundes und ethisches Essen, wobei sich Jean-Lino über Lydia lustig macht und diese entsprechend gekränkt ist.

Hier wird mit distanziertem Blick der ganz normale Horror von Festen mit Leuten erzählt, die sich nichts mehr zu sagen haben. Tatsächlich erinnern Dramaturgie und Dialoge an die wüsten Streitereien in Rezas Bühnenstücken, in denen arrivierte Zeitgenossen sich wegen der mangelnden Qualität eines Kunstwerks oder wegen unterschiedlicher Ansichten zur Kindererziehung in die Haare bekommen. Dabei zeigt sich die Autorin durchaus als Meisterin des hysterischen Dialogs, der die Protagonisten in schlimmste psychische Krisen führt. Sie hat ein erstaunlich perfides Gespür dafür, den Niedergang der Figuren so unterhaltsam zu erzählen, dass die Zuschauer oder die Leser sich zwangsläufig mit den eigenen Abgründen oder mit ganz ähnlich gelagerten Verrücktheiten der besten Freunde beschäftigen müssen.

Die Protagonistin wird zur Komplizin eines Mörders

So zielt Yasmina Reza auf die Verlogenheiten und den Wahnwitz unseres Alltags, und mittlerweile spielt sie dabei zugleich mit ihrem eigenen Stil. Man könnte auch sagen: Sie variiert ihr bekanntes literarisches Konzept.

„Vor zehn Tagen ist meine Mutter gestorben“, sagt Elisabeth lapidar, was gleichermaßen den Frust über ihre Ehe wie die emotionale Kälte gegenüber den Eltern zum Ausdruck bringt. Aber Elisabeth zieht keinen Schlussstrich. Sie beginnt nicht mit der großen Abrechnung, nicht einmal verbal, sie dreht nicht durch, sondern bleibt kühle Beobachterin. Elisabeth taut erst auf, als ihr Nachbar nach dem Fest noch einmal vor der Tür steht und erklärt, er habe gerade seine Frau umgebracht.

Schon früh im Text erfährt der Leser, dass sich irgendetwas Schlimmes ereignet haben muss. Wobei es Reza gewiss nicht um Suspense geht, vielmehr ist der Mord ein erzählerisches Vehikel, um Elisabeths seelische Abgründe auszuloten. Sie wird zur Komplizin des Mörders, als sie versucht, ihm beim Abtransport der Leiche in einem Koffer zu helfen – und als Leser ist man froh, dass die Protagonistin endlich mal ihre gewohnten Bahnen verlässt.

„Babylon“ hinterlässt inhaltlich eine merkwürdige Leere

Der Roman ist in den Prosa-Passagen in einem wenig ambitionierten Plauderton gehalten: Jenseits von Yasmina Rezas typischer Eskalationsdramaturgie hat er sprachlich wenig zu bieten. Was möglicherweise zum Konzept gehört, heißt es doch an einer Stelle: „Die Sprache drückt nichts anderes aus als die Unfähigkeit, sich mitzuteilen“.

Leider hinterlässt „Babylon“ auch inhaltlich eine merkwürdige Leere. Was möchte die Autorin ihren Leserinnen und Lesern sagen, jenseits der im französischen Autorenfilm oft verhandelten Einsichten, dass Lieblosigkeit immer ein plausibles Mordmotiv ist, dass eine scheinbar harmlose Friktion Anlass für eine Rundumabrechnung sein und die nahezu babylonische Niedertracht mit einer gewissen Lust erzählt werden kann?

Immerhin lässt sich mit dem Roman gut auf eine Party gehen, um über die mal mehr, mal weniger oberflächlich behandelten Themen weiterzuplaudern. Zum Beispiel könnte man hinterlistig harmlos in die Runde fragen, wer schon mal mit dem Gedanken gespielt hat, seinen Partner zu töten.

Yasmina Reza: Babylon. Roman, übersetzt aus dem Französischen von Frank Heibert, Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Verlag. 224 Seiten, 22 €.

Carsten Otte

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