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Yethu Menuhin: Man hört nur mit dem Herzen gut

Vor zehn Jahren starb Yehudi Menuhin in Berlin. Obwohl er nie dauerhaft hier gelebt hat, war der Weltbürger doch mit kaum einer anderen Stadt inniger verbunden.

„Ich fühle mich mehr als Berliner als Kennedy.“ Aus dem Mund von Lord Yehudi Menuhin klang solch ein Satz nie nach höflichem Smalltalk. Wenn er auch nie dauerhaft hier gelebt hat, so war das Leben dieses Weltbürgers mit kaum einer anderen Stadt inniger verbunden. Der internationale Durchbruch gelang dem Geiger 1929 in Berlin, nach dem Krieg war er der erste jüdische Künstler, der wieder in die zerbombte Metropole kam, und als sein erfülltes Leben heute vor genau zehn Jahren zu Ende ging, befand er sich wieder in Berlin.

Letzteres mag Zufall gewesen sein, denn der rastlose 82-Jährige befand sich auf einer ausgedehnten Deutschland- Tournee. Der geplante Auftritt mit den Berliner Philharmonikern war „wegen einer Bronchitis“ abgesagt worden. Vielleicht aber war es für ihn leichter, hier zu sterben und nicht ins heimische London zurückzukehren, als ihm klar wurde, dass es nicht mehr weitergehen würde. Sein Herz stellte die Arbeit ein, dort, wo er einst im Alter von zwölf Jahren so viele Herzen gewonnen hatte.

Geboren wurde Yehudi Menuhin als Kind russischer Einwanderer in der Bronx. Noch bevor er in die Schule kommt, beginnt er mit dem Violinspiel – und zeigt eine solche Begabung, dass er bald als Wunderkind herumgereicht wird. Bald werden die Berliner Philharmoniker aufmerksam, laden ihn ein zur Feuertaufe: Drei Violinkonzerte hintereinander soll er am 12. April 1929 spielen, Bach, Beethoven, Brahms unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter.

Mit den Eltern und den beiden Schwestern reist er in die Reichshauptstadt, die Familie quartiert sich in einer Pension am Steinplatz ein. Zum Mittagessen geht es zu Fuß durch den Tiergarten zum Hotel „Adlon“, wo Henry Goldman logiert, Menuhins Förderer, der ihm gerade seine erste Stradivari geschenkt hatte. In der Philharmonie erscheint der kleine Yehudi mit kurzen Hosen – und reißt das Publikum von den Sitzen. Albert Einstein stürmt in die Garderobe, drückt den Jüngling an seine Brust und ruft: „Jetzt weiß ich, dass es einen Gott im Himmel gibt!“

Menuhin pflegte die Anekdote mit den Worten zu kommentieren: „Wenn man Beethoven hört, dann soll man auch an Gott glauben.“ Er selber glaubt vor allem an die Musik als Mittel der Völkerverständigung. Darum gibt er im Krieg 500 Konzerte für die Soldaten der Alliierten, darum spielt er 1945 im befreiten Konzentrationslager Bergen-Belsen, darum kommt er 1947 wieder nach Berlin, tritt mit Wilhelm Furtwängler im Titania-Palast auf. „Ich hatte das Gefühl, dass es Zeit war, wieder für das Gute zu kämpfen, nachdem so viele Menschen ins Elend gestürzt worden sind.“ Mit seiner Gage kauft Menuhin 50 Care-Pakete für die Philharmoniker, kehrt bereits im Juli 1948 für ein weiteres Gastspiel zurück, bleibt dem Orchester freundschaftlich verbunden und feiert 1982 ausgelassen beim 100. Philharmoniker-Geburtstag mit.

1998 leitet Menuhin, der sich im Alter ganz aufs Dirigieren verlegt hat, das Neujahrskonzert beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Auf dem Programm steht Beethovens Neunte, dessen Schlusschor die versöhnende Macht der Musik feiert – ganz so, wie es der Künstler mit berührender Naivität selber unermüdlich getan hat. Menuhins Initiative „Live Music Now“, die Nachwuchstalenten Auftritte in Krankenhäusern, Altersheimen und Behinderteneinrichtungen vermittelt, trägt die menschenfreundliche Botschaft weiter, seit 1996 auch mit einer Filiale in Berlin.

Zwei Tage vor seinem Tod erscheint ein Menuhin-Text im Tagesspiegel: „Das hasserfüllte Verhalten von Menschen entsteht, wo der verdrängte kreative Drang mit Mord und Gewalt einhergeht. Eine Verdrängung, die oft schon bei Kindern beginnt“, schreibt er und schließt mit den Worten: „Ich plädiere für Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist die Freiheit und Würde des Nächsten.“ Frederik Hanssen

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