zum Hauptinhalt
Weltreisender in Sachen Musik und Gemeinschaft: Der Weltklasse-Cellist Yo-Yo Ma, Jahrgang 1955.

© Sony Classical/Promo

Yo-Yo Ma bei den Staatsoper-Festtagen: In diesem Ton die ganze Welt

Yo-Yo Ma ist der Tausendsassa unter den Klassikstars - und einer der weltbesten Cellisten: Mit Bachs Suiten und Dvoráks Cello-Konzert gastierte er nun bei den Festtagen der Staatsoper in Berlin und wurde gefeiert.

Er hat bei Obamas Amtseinführung gespielt und bei der Oscar-Verleihung, musizierte mit Bobby McFerrin, mit Bluegrass-Musikern, Condoleezza Rice und den Kalahari in der afrikanischen Wüste, trat in der Sesamstraße und der TV-Serie „The West Wing“ auf, rief das Seidenstraßen-Projekt ins Leben (der Dokumentarfilm dazu kommt im September ins Kino), schrieb den Soundtrack zu „Crouching Tiger, Hidden Dragon“, unterrichtete in Aserbeidschan, Libanon und kürzlich in München – um dort spontan ein Kammermusikkonzert für 200 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu organisieren. Der Cellist Yo-Yo Ma ist der Tausendsassa unter den Klassikstars. Mit seiner Stradivari von 1712 reist der in Paris geborene Amerikaner mit chinesischen Wurzeln unermüdlich um die Welt, um seine Botschaft zu verkünden: Es gibt keine Kultur, die keine Musik kennt.

Nun sitzt er in der Philharmonie bei Edward Elgars 2. Sinfonie mit der Staatskapelle am letzten Pult der Celli; nach der Pause hat er sich einfach im Orchester eingereiht, er macht das öfter. Gar nicht so leicht, dieses aberwitzige Werk, das mit seinen an Wagner, Bruckner und Mahler geschulten Metamorphosen, Energieschüben und irisierenden Farbspielen dem Charakter des Musikers Yo-Yo Ma übrigens ähnelt –der 60-Jährige setzt hier und da doch mal kurz aus. Egal, seine Spielfreude und Menschenliebe sind eins. Yo-Yo Ma macht Musik, weil er die Gemeinschaft liebt, weil er Kontakt und Verständigung sucht, das ist seine Obsession. Über 90 CDs verzeichnet seine Diskografie (und 18 Grammys).

Kein Solist, ein Gemeinschaftsmusiker ist Yo-Yo Ma

Vor der Pause, nach Dvoráks Cellokonzert, hatte er sich mit Daniel Barenboim am Pult um den Applaus geradezu gebalgt. Der Solist will ihn partout nicht alleine für sich in Anspruch nehmen, nur zusammen mit den Musikern. Auch seine Blumen wirft er gleich weiter, ins Publikum. Keine Frage, es liegt ihm zu Füßen bei den Staatsopern-Festtagen in diesem Jahr, nach Yo-Yo Mas gefeiertem Marathon mit den sechs Cellosuiten von Bach am Dienstag jetzt auch nach Dvorák. Ein brillanter Musiker ist er bei allem Engagement und nimmersattem Crossover schließlich auch.

Hatte Barenboim Dvoráks Cellokonzert noch als böhmischen Traum des in New York heimwehkranken Komponisten angelegt, bürstet Yo-Yo Ma das populäre Werk, seit Jahrzehnten eins seiner Bravourstücke, kräftig gegen den Strich. Zerkratzt die Oberflächen, drängt nervös, fast wütend nach vorne, betont die Kontraste zwischen virtuosem Furor und den innigen Pianostellen, die er fast schon manieriert ins Hauchfeine ausdünnt. In jedem Ton die ganze Welt: Yo-Yo Ma ringt um äußerste Expression und Intensität, um Wahrheit statt Schönheit. Sein Kampf gegen die Routine mag zu Unwuchten und Inkonsistenz führen, und sie betört einen doch.

Allein wie er einen Ton unendlich langsam ins Schwingen bringen kann. Oder wie er ein Vibrato unmerklich in einen Triller verwandelt: Zu Yo-Yo Mas berühmter Bogentechnik gesellt sich die Meisterschaft seiner linken Hand - um beim Zwiegespräch mit der Solo-Violine im letzten Satz dem Konzertmeister direkt ins Gesicht zu schauen. "Lass mich allein!" Die schon im Adagio zitierte Liedzeile wird von Yo-Yo Ma, dem Teamworker, konterkariert. Für den Jubel im Saal bedankt er sich denkbar bescheiden, mit dem schlichten Allegretto aus der Cello-Partita des türkischen Komponisten Ahmet Adnan Saygun von 1954. Auch so ein Grenzgänger zwischen Orient und Okzident.

Auch Elgars Zweite Sinfonie mit der Staatskapelle ist ein Ereignis

Das andere Ereignis an diesem Donnerstagabend ist die Staatskapelle. Bei Dvorák wie bei Elgar finden die Musiker zu einem Tuttiklang zusammen, dessen Brillanz vor lauter bezwingender Klarheit beinahe schmerzt. Unter den Berliner Orchestern ist Barenboims Truppe derzeit die homogenste. Im Nu kann die Staatskapelle vom denkbar wärmsten, vollblutigen Timbre ins Scharfe, Unerbittliche wechseln, was Elgars mit standardisierten Motiven, aber harmonisch, atmosphärisch und klangfarblich hochkomplex ausgestatteter Es-Dur-Sinfonie von 1911zugute kommt. Akkorde blühen auf, dass es die Ohren blendet, gleißendes Fortissimo wird gleich wieder verschattet, heftig pulsierende Passagen delirieren, verdämmern. Ob das Orchester mit nonchalanter Eleganz Schlussphrasen abrundet oder Pathos und Emphase in die Selbstvergessenheit verabschiedet: Barenboim braucht dafür nur mit dem Taktstock zu zucken.

Maestro Barenboim am vergangenen Montag, bei der Vorstellung des Staatsopern-Festtage-Programms 2017.
Maestro Barenboim am vergangenen Montag, bei der Vorstellung des Staatsopern-Festtage-Programms 2017.

© Imago

So retten sie mit der Cello-Kantilene im Eingangssatz ein letztes Mal die von Yo-Yo Ma auf den Prüfstand gehobene Schönheit. Und rüsten im Scherzo-Rondo dann gnadenlos auf, das ganze Orchester wird zu einem einzigen grausamen Schlagwerk. Elgars plötzliche, auf Strawinsky vorausweisende Terrorattacke der von Paukenschlägen befehligten Tutti-Hiebe wird mitunter als Vorahnung des Ersten Weltkriegs gedeutet. Klar ist nur, dass Elgar im letzten Satz nicht mehr weiter weiß. Die Symphonie, ein sterbendes, bis zum letzten Atemzug sich aufbäumendes Tier - Barenboim macht keinen Hehl daraus. Christiane Peitz

Die fünfte Cello-Suite von Bach widmet Yo-Yo Ma den Opfern von Brüssel

Zurück zu Bach und zu Yo-Yo Mas Solo-Auftritt am Dienstag: So wenig man über die Entstehungsbedingungen der sechs Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach auch weiß, für eine Darbietung vor mehr als 2000 Zuhörern waren sie ganz sicher nicht bestimmt. Im Vergleich zur Geige und im Verhältnis zur Saitenlänge ist der Klangkörper des Cellos ja eigentlich zu klein, der Klang blüht besonders in der von den Romantikern so geliebten Tenorlage, die von Bach eher selten verlangt wird (die am höchsten gesetzte letzte Suite hat der Komponist ursprünglich für ein fünfsaitiges Instrument geschrieben).

Alle Zweifel an der Eignung von Bachs unergründlichen Meditationen für den großen Konzertsaal kann Yo-Yo Ma zunächst nicht ausräumen. Nachdem der Künstler erst zwei Tage zuvor mit den Philharmonikern in Baden-Baden gastiert hat, führt er den kompletten Zyklus im Rahmen der Staatsopern-Festtage nicht etwa im Kammermusiksaal, sondern in der fast ausverkauften Philharmonie auf. Der Meistercellist ist ein viel zu nobler Musiker, als dass er die Werke deshalb zum klanglichen Cinemascope- Format aufblasen würde. Dass die Lautstärke eines handelsüblichen Smartphones diejenige seines Cellos mühelos übertreffen kann, wird gegen Ende des Abends unerschrocken unter Beweis gestellt.

Nach der Suite als Gedenken an Brüssel entsteht eine spontane Schweigeminute

Eine leichte Tendenz zum Eilen bei grundsätzlich flüssigen Tempi sowie eine gelegentlich esoterisch wirkende Verteilung von Zäsuren und Betonungen tragen im ersten Teil des Konzerts dazu bei, dass manches Detail im großen Rund verloren geht. Die erhöhte kompositorische Komplexität der letzten drei Werke animiert Yo-Yo Ma dann aber zu größerem emotionalem Engagement. Auch wenn die Intonation in der unbequemen Es-Dur-Suite an diesem Abend nicht perfekt gelingt, wird deren bestechend phrasierte Sarabande doch zu einem ersten Höhepunkt des Konzerts. Staunenswert ist vor allem die Beherrschung der Bogentechnik: Akzentsetzungen, die andere Cellisten nur durch den forcierten Einsatz von Vibrato oder gar nicht zustande kriegen, bewerkstelligt der Künstler durch Gewichtsverlagerungen und feinste Abstufungen der Strichgeschwindigkeit. Obwohl Ma sicherlich kein Anhänger der historischen Aufführungspraxis ist, klingt sein Bach niemals romantisch überladen oder gewollt originell.

Am Ende des von schrecklichen Nachrichten geprägten Tages widmet der Künstler die fünfte Suite in c-Moll den Terroropfern in Brüssel, danach stellt sich ohne Verabredung eine Schweigeminute ein. Zum Abschluss eines schließlich doch großen Abends gibt es standing ovations des gesamten Publikums; Dank an einen so bedeutenden wie sympathischen Musiker. Benedikt von Bernstorff

Zur Startseite