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Kultur: Yoga hat auch nie geholfen

Zwei Uraufführungen: „We Are Blood“ im Gorki-Theater und „Schattenkinder“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

So ist das, wenn sich Managertypen in den Underground verirren: Der weltmännische Edelanzugträger Magista kann die Coolness-Offensive beim Techno- Schwof keinesfalls dem Türsteher überlassen! Schon gar nicht, wenn seine Angebetete Eva, die Tochter seines Geschäftspartners, Geburtstag feiert!

Es ist ein tolles Distinktionsspiel, das sich Ulrich Matthes und Christoph Franken zu Beginn von Nuran David Calis' „Schattenkindern“ in den Kammerspielen liefern: Matthes’ Managertyp – einer, der sich noch in den entlegensten Soziotopen abverlangt, den Platz als Sieger zu verlassen – holt nach einer herrlich streberhaften Dancefloor-Nummer die Intellektuellen-Keule heraus: Jovial belehrt er den Underdog-Trupp um den Türsteher über „Dantes ,Divina Commedia’“ und schiebt als ultimativen K.o.-Schlag für die vermeintlichen Analphabeten ein genüssliches: „Also die ,Göttliche Komödie’“ hinterher. Frankens Türsteher, ein stattlicher Feinripp-Typ mit bestechend schutzlosem Lächeln, der die Beleidigung in aller Unschuld an sich abtropfen lässt, charmiert sich zielsicher in Evas Herz.

Diese subtilen Tänze um soziales, symbolisches und finanzielles Kapital hatte Calis wohl im Sinn, als er Heinrich Leopold Wagners Sturm-und-Drang-Trauerspiel „Die Kindermörderin“ gegenwartstauglich überschrieb. In seinen „Schattenkindern“ ist das Bürgermädchen Eva, das bei Wagner vom adligen Leutnant Gröningseck verführt und geschwängert wird, zum Elite-Girl mit standesungemäßem Beuteschema mutiert – was leider spektakulärer klingt, als es tatsächlich ist. Denn das Wesentliche lässt Calis beim Alten: Die Jungs agieren, die Mädels leiden und warten. Olivia Gräser als Eva und Claudia Eisinger als deren Freundin Lisa schlagen sich zwar wacker, wenn sie in ihren Girlie-Kleidchen vor einer Kamera ihr Innerstes nach Außen kehren, über Irina Schicktanz’ symbolhaltige bühnenfüllende Betonröhre turnen oder aber in selbiger von den Jungs an die Wand gedrückt werden. Doch mit den feinen Unterschieden zu spielen bleibt Matthes, Franken und Matthias Neukirch als Evas Vater vorbehalten – und im Übrigen eine Sache der ersten halben Stunde. Später driftet der Abend immer glatter in Richtung „Verbotene-Liebe“-Melodram.

In Fritz Katers neuem Stück „We Are Blood“ – urinszeniert von Katers Regie-Alter-Ego Armin Petras am Maxim- Gorki-Theater – ist dagegen gar nichts glatt. Kann es auch nicht, denn der Abend tut genau das, was auf jedem Symposium herbeigesehnt wird: Er wagt sich an die „großen Fragen“ und erledigt sie weder in einem ironischen Ringelpiez noch in einem larmoyanten Blick durch die dramatische AllzweckReality-Brille.

Zu Beginn des Gorki-Abends hängen der stellvertretende Minister Hilmar, den Peter Kurth schön mit der Bodenhaftung eines Betriebsbrigadeleiters ausstattet, und der Sowjet-Reisekader Tim Schlee (Max Simonischek) buchstäblich in den Seilen der realsozialistischen Utopie: Sie verfransen sich in dicken Tauen (Bühne: Susanne Schuboth), während sie über das örtliche Kernkraftwerk reden. Wir schreiben das Jahr 1985, zwölf Monate vor der Tschernobyl-Katastrophe. Kurz darauf stirbt der Jungkader in den Reaktor-Flammen, während sich seine Witwe Yves (Hilke Altefrohne) – dramatischer Cut – in der Gegenwart einer schrumpfenden Stadt wiederfindet. Als ungelernte Krankenschwester pflegt sie den krebstodgeweihten sechzehnjährigen Justin, der in der grandiosen Darstellung Regine Zimmermanns eine irrwitzige Überlebensenergie aus seinem kleinen, gezeichneten Körper holt. Im Krankenhaus kreuzen sich sämtliche Stück-Schicksale: Die hibbelige Wahl-Braunschweigerin Lisa (Julischka Eichel) wird auf ihre Wurzeln zurückgeworfen, als sie ihren verunglückten Bruder Beni besucht. Der Krankenhaus-Professor Zwerenz (Peter Kurth) hat mit allem jenseits des Skalpells abgeschlossen. Und der zugereiste Richter Schlicht (Christian Kuchenbuch), der im Prozess zwischen dem Naturschützer Rafael (Carlo Ljubek) und dem investitionsfreudigen Bauingenieur Tom (Max Simonischek) über die Zukunft der Region entscheiden wird, hat keine Ahnung, was er seinem krebskranken Sohn sagen soll.

Nicht, dass man seinen Nächsten hier mehr liebte als anderswo. Nur stellt sich die Frage nach neuen (Zusammen-)Lebensformen dort, wo die alten gleichsam im Sekundentakt wegbrechen, schlichtweg um einiges gegenständlicher. Kater bzw. Petras würde allein schon dafür Respekt verdienen, dass er sich vor dieser Frage nicht wegduckt: Seine sämtlich tollen Schauspieler üben sich in Chören, verwerfen alberne Gruppen-Meditationen, flüchten sich zu den alten „Kameraden“ und probieren es mit einer Art kollektivmythenstiftenden Gemeinschaftsyoga. Kurzum: Sie wissen auch nicht; und sie suchen gelegentlich bis an die Lächerlichkeitsgrenze hilflos. Aber sie suchen.

„We Are Blood“ entstand im Rahmen des Gorki-Projekts „Über Leben im Umbruch“: Soziologen wie Heinz Bude oder Andreas Willisch recherchierten drei Jahre lang in der nordbrandenburgischen Schrumpfstadt Wittenberge und stellten dem Theater ihre Ergebnisse zur Verfügung. Das Außergewöhnliche an Petras’ Personal ist, wie vital es gegen die Reduktion auf Klischees anspielt: Auch als Regisseur bürstet Petras seine Figuren gegen den drohenden Sentimentalitätsstrich und inszeniert eine schwarzhumorig überdrehte Krankenhaussoap, deren tragische Momente umso heftiger treffen.

Dass da die eine oder andere Pointe übers Ziel hinausschießt, vieles angerissen wirkt und der Regisseur sich für eine Figur mal mehr interessiert als für die andere: geschenkt! Man hatte lange nicht den Eindruck, dass das Theater so viel zu sagen hat wie an diesem Abend.

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