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Cellistin Alisa Weilerstein.

© Harald Hoffamann/Decca

Young Euro Classic: Das Land der Russen mit der Seele suchend

Xian Zhang und das EU-Jugendorchester sorgen für einen ersten Höhepunkt bei Young Euro Classic. Cellistin Alisa Weilerstein spielt Tschaikowsky.

Pate werden bei Young Euro Classic – ein Angebot, das Berliner Finanzsenatoren nicht ablehnen können. Schließlich kostet das Jugendorchestertreffen den Senat keinen Cent. Bestens gelaunt begrüßt Matthias Kollatz-Ahnen dann auch am Dienstag im Konzerthaus das European Union Youth Orchestra. Und legt gleich noch ein glühendes Bekenntnis zur europäischen Idee ab. Damit hat er sich die Sonnenblume, die hier alle Interpreten bekommen, redlich verdient.

140 Musikerinnen und Musiker aus den 28 Mitgliedsländern konnten sich diesmal qualifizieren, nach einer Probenphase beim österreichischen Grafenegg Festival ist Berlin die erste Station auf der Tournee, die das Orchester bis Ende August nach Italien, Großbritannien und Holland führen wird. Russische Werke, dirigiert von einer Chinesin, die in den USA lebt, haben sie mit nach Berlin gebracht. Und zeigen zunächst zwei ganz unterschiedliche Zugänge zu Peter Tschaikowsky. Messerscharfe Präzision fordert Xian Zhang in der Fantasie-Ouvertüre „Hamlet“ – und bekommt sie auch von den jungen Instrumentalisten, beeindruckend ausgeführt bis in die dekorativen Läufe der unbedeutendsten Füllstimmen. Kaltes Feuer und eine demonstrativ ausgestellte Erregung sind das Resultat.

Diametral steht dem Alisa Weilersteins Interpretationsansatz in den „Rokoko-Variationen“ entgegen, Tschaikowskys verkapptem Cellokonzert. Pure Virtuosität interessiert die 33-jährige New Yorkerin nicht, rein spieltechnisch mögen andere die Sprünge, Doppelgriffe und Flageoletts des aberwitzig schweren Soloparts sauberer ausführen – doch wie viel hat diese Künstlerin zu erzählen! Vital und einnehmend ist der Grundgestus ihres Spiels, herrlich blühen die Kantilenen auf. Vor allem aber berühren ihre stillen Momente, die Pianissimi von enormer Intensität, die Momente, in denen sie ganz zart mit der Musik ausatmet, die Art, wie sie der melancholischen Seelenseite des Komponisten nachspürt. Gebannt lauscht der bis auf den allerletzten Platz ausverkaufte Saal diesem Roman ohne Worte, begeistert wird Alisa Weilerstein anschließend gefeiert.

Die Dirigentin Xian Zhang
Die Dirigentin Xian Zhang

© Nora Roitberg

Dmitri Schostakowitsch brachte seine 5. Sinfonie 1937 heraus, in den schlimmsten Zeiten des Stalin’schen Kulturterrors, als Reaktion auf die offenen Berufsverbotsdrohungen, die ihm durch einen „Prawda“-Zeitungsartikel vermittelt worden waren. Vordergründig scheint er mit dem klassisch gebauten Viersätzer den Vorgaben des Sozialistischen Realismus zu folgen, den Weg des Künstlers aus dem Schattenreich des Individualismus ins gleißende Licht der kollektiven Glückseligkeit nachzuzeichnen. Für jeden aber, der hinhören kann, wird deutlich, dass Schostakowitsch hier alle Vorgaben einer positivistischen Staatskunst unterläuft.

Es ist nicht leicht, jungen Menschen dieses Spiel mit der Doppelbödigkeit zu vermitteln – Xian Zhang aber gelingt es. Nicht allein, dass sich die Aufführung klanglich auf dem Niveau eines Profi–Spitzenorchesters bewegt, sie trifft auch atmosphärisch genau den Punkt. Im Eröffnungssatz hört man die Stimme der gequälten Seele, brutal bricht die Marschmusik herein, berührend gelingt die Apotheose mit ihrer Hoffnung auf bessere Zeiten. Ins Groteske verzerrt ist die Volksfeststimmung des Allegrettos, weltentrückt hebt das Largo an, das aber auch albtraumhafte Episoden kennt. Der grimmige Kehraus mit seiner Maschinenmusik schließlich entlarvt das hohle Pathos aller Parteitag-Parolen.

Großer Jubel, die „Eugen Onegin“-Polonaise als Zugabe, wieder Jubel, Verbrüderungsszenen auf der Bühne – beseelt strömt das Publikum nach diesem ersten „Young Euro Classic“-Höhepunkt hinaus in die Sommernacht.

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