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Kultur: Young-Euro-Classic-Festival: Interpretieren geht über studieren

Die Verwandlung vollzieht sich im allerletzten Moment. Als schon alles vorbei ist, und die abgedroschenen Plattitüden der Festredner von Klaus Wowereit bis Sabine Christiansen (ja, ja, die Musik ist nun einmal eine Sprache ohne Grenzen) im Lüsterglanz des Konzerthauses restlos absorbiert waren - da passiert es.

Die Verwandlung vollzieht sich im allerletzten Moment. Als schon alles vorbei ist, und die abgedroschenen Plattitüden der Festredner von Klaus Wowereit bis Sabine Christiansen (ja, ja, die Musik ist nun einmal eine Sprache ohne Grenzen) im Lüsterglanz des Konzerthauses restlos absorbiert waren - da passiert es. Als wäre auf den jungen Musikern der Sinfonietta Cracovia alle bleierne Last des Repräsentierenmüssens abgefallen, spielen sie als Zugabe einfach den Schlusssatz der sechsten Schostakowitsch-Sinfonie da capo - und fangen erst jetzt an, richtig Musik zu machen.

Das sind dann fünf Minuten rasanter, galliger Schostakowitsch-Humor, genau auf den so schwer zu treffenden, labilen Gleichgewichtspunkt hingespielt, der die Möglichkeit des Umkippens ins gewaltsam Gespenstische stets mithörbar macht. Der Beweis jenes Wir-Können-Auch-Anders wirft seinen Schatten auf das Restprogramm dieses Eröffnungsabends des Young-Euro-Classic-Festivals: Auf die in gefälliger Konvention dahinplätschernde Uraufführung "Hypnosis" des jungen polnischen Komponisten Abel Korzeniowski genauso wie auf die merkwürdig stimmungsneutrale ganze Sechste von Schostakowitsch und Krzysztof Pendereckis reichlich spannungslos vorankrauchendes Violakonzert.

Das Nicht-Interpretieren scheint freilich Absicht: Am Pult des Jugendorchesters steht Penderecki höchstselbst und dirigiert, wie Komponisten eben meistens dirigieren: Mit höchstem Respekt vor dem notierten Kunstwillen, ganz ohne etwa die Brüche im dünnen Eis des Kopfsatzes der Schostakowitsch-Sinfonie eigenmächtig zu verstärken oder gar eigenes Adrenalin hinzuzuschießen. Ein Quietismus, dem sich auch der junge Cellist Rafal Kwiatkowski unterordnet. Zwar hat er die dunklen Seelentöne parat, die in der Cellofassung des Konzerts womöglich noch besser zum Tragen kommen als in der Ur-Version für Bratsche. Den zwanzigminütigen Monolog mit persönlichem Charisma auszufüllen, traut er sich in Anwesenheit des Komponisten jedoch nicht. Denn das wäre ja schon Interpretation gewesen.

Jörg Königsdorf

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