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Pferdekopfgeiger. Der Solist Hasibagen beim Bundesjugendorchester.

© Kai Bienert/YEC

Young Euro Classic im Konzerthaus: Die Spielwütigen

Das Bundesjugendorchester und das schwedisch-niederländische O/Modernt Kammarorkester beim Festival Young Euro Classic.

Sie sind gerade erst aus China zurückgekehrt, noch mehrwöchiger Tournee durch Rumänien und dann durchs Land der Mitte. Zeitzonentechnisch ist beim Bundesjugendorchester darum gerade früher Morgen. Kein Wunder, dass sie derart hellwach musizieren – und auch noch alle Zeit der Welt haben. „Es wird ein langer Abend“, verspricht der junge Geiger Johannes Rosenberg jedenfalls gleich zur Begrüßung. Und dass ihnen alle ihre Tournee-Stücke ans Herz gewachsen sind, weshalb sie zum krönenden Abschluss im Konzerthaus am Gendarmenmarkt sämtliche Werke des sonst alternierenden Programms hintereinander aufführen wollen.

Als die zweite Zugabe erklingt – das populäre chinesische „Jasminblüten“-Volkslied –, schlägt es 23 Uhr, und ein drittes Encore haben die Musiker, zu großen Teilen Gewinner der „Jugend Musiziert“-Wettbewerbe, auch noch im Gepäck. Ein langer Abend, in der Tat. Aber kein langweiliger: Das vom Familien- und Jugendministerium mitfinanzierte („Wir sind das einzige Ministerium mit angeschlossenem Orchester“, so Staatssekretär Ralf Kleindiek als Pate des Abends) Ensemble entwickelt gleich bei Prokofjews „Symphonie Classique“ mitreißendenSchwung. Die Spielwütigen möchte man sie nennen. Stammgast ist das BJO bei Young Euro Classic allemal. Und YEC-Konzerte im XXL-Format gibt’s immer mal wieder.

Die Tagträumer und Zartbesaiteten kommen dabei nicht zu kurz. Unter Leitung von Patrick Lange wechselt das Bundesjugendorchester flink die Register, versieht Prokojew mit leichtfüßiger Eleganz, kostet das verschmitzte Seitenthema im Kopfsatz ebenso aus wie die somnambulen Larghetto-Passagen. Tourneen schweißen bekanntlich zusammen, menschlich wie musikalisch. Ersteres ist dem Orchester deutlich anzusehen, Letzteres unüberhörbar. Die virtuos gelenkige Rhythmik, die ausgefeilte, von flinken Akzenten belebte Dynamik, klare, aber nie harte Konturen, die betörende Legato-Wischtechnik im dritten Satz von Mendelssohns „Italienischer Symphonie“ – hier präsentiert sich ein organisch durchpulster, einmütiger Klangkörper.

Unendlich: Steppenlandschaft und Kehlkopfgesänge

Es ist ein tief grundierter Klang, mit zwischen Geigen und Bratschen platzierten Celli und Kontrabässen. Sonor und Jugend, das passt nicht zusammen? Doch, die Tiefe steht ihnen gut. Und die Weite auch, bei dieser Weltreise von Europa über die Mongolei bis in die USA und wieder zurück. Die „Mountain“-Elegie der mongolischen Komponistin Zulan mit dem Pferdekopfgeigen- und Vokalsolisten Hasibagen beschwört die schier unendliche Steppenlandschaft. Eine Uraufführung im Auftrag der Deutschen Welle, mit Wind, Echo und Bergvolksliedgut, luftigen Tutti-Klangflächen, hölzernen Pizzicati und durchdringenden Kehlkopfgesang-Ostinati. Bestimmt können sie mühelos die Alpen überwinden, mindestens!

Auf den Eastern folgt – nach Beethovens 3. Klavierkonzert mit Herbert Schuch als Zeremonienmeister der Emotionen, der die Agogik im Kopfsatz und die meditative Ruhe im Largo doch zu sehr zerdehnt – der Western: Aaron Coplands Ballettmusik „Appalachian Spring“ in der kammermusikalischen Erstfassung von 1944. Kopfkino in Cinemascope, diesmal geht es um die Siedler in der amerikanischen Steppe. Souverän überspielt das Bundesjugendorchester die folkloristische Gefälligkeit des Stücks, setzt wie bei Zulan, Prokofjew und Mendelssohn aufs Tänzerische, Haptische, Programmmusikalische. Selbst bei Beethovens Repertoireklassiker wähnt man sich manchmal mitten im Film.

Ach, die Jugend, möchte man seufzen. Bis zum Schluss legt sie unverbrauchte Energie an den Tag, lässt auf das wagemutig flinke Mendelssohn-Finale als erste Zugabe einen noch rasanteren RimskiKorsakow’schen „Hummelflug“ folgen. Jubel, Sonnenblumen, Jubel – und sie kennen kein morgen. Christiane Peitz

Feurig: Das O/Modernt Kammarorkester.

Das O/Modernt Kammarorkester beim Publikumskonzert.
Das O/Modernt Kammarorkester beim Publikumskonzert.

© Kai Bienert/YEC

Wer Jugendorchester kennt, kennt auch dieses Phänomen: Mit Begeisterung wird ein klassisches Programm vorbereitet, doch bei der Busfahrt nach dem Konzert ist auf den Smartphones meist alles andere zu hören als Sinfonien. Eine schizophrene Einstellung, mit der sich das O/Modernt Kammarorkester mit Musikern nicht zufriedengeben will. Gründer und Leiter des Ensembles ist der 1980 geborene Geiger Hugo Ticciati – von ferne eine unschuldige Harry- Potter-Erscheinung, doch mit Hummeln in den Fingern und einer feurigen Musikalität, die sich an Vivaldi ebenso entzündet wie an dem progressiven Rock von Muse oder den harten Sounds von Metallica und Dream Theatre.

Die Sorge, das Ensemble könnte Vivaldis Musik, die sich mit Stücken der Bands abwechselt, gegen den Strich bürsten, ist unberechtigt: dass die Solopartien im Doppelkonzert für zwei Celli mit Fagott und Kontrabass besetzt sind, dass der Continuopart vom Harmonium übernommen wird und dass die Streicher im Winter-Konzert aus den Jahreszeiten besonders „eisig“ am Steg spielen, genügt schon fast als angleichende Verfremdung. Zum Ereignis wird der Abend vor allem durch die bereits arrivierten Ausnahmesolisten. Zu ihnen gehören neben Ticciati der Fagottist Bram van Sambeek, der ein sangliches messa di voce bei Vivaldi ebenso stilsicher und virtuos hinlegt wie er bei Metallicas „Pulling Teeth“ mit akustischen wie elektronischen Verzerrungseffekten begeistert. Stark sind auch Sven Figee, der seiner Hammondorgel eine hinreißende, aquatisch-blubbernde Improvisation entlockt sowie der intim, aber farbenreich gestaltende Kontrabassist Rick Stotijn.

Feurige Musikalität, die sich an Vivaldi wie Metallica entzündet

Schade ist lediglich, dass die Musiker in Vivaldis Follia-Variationen nicht die Chance nützen, deren insistierendes harmonisch-rhythmisches Modell in ihren Soli weiterzuführen. Etwas geraten auch die jugendlichen Streicher in den Hintergrund, die das Geschehen oft nur mit Tremoli und Klangteppichen unterlegen. Erst beim anschließenden Publikumsfest vor der Freitreppe des Konzerthauses können sie mit etlichen Folktanzarrangements zeigen, wie viel Esprit und spontane Musizierfreude neben Klangschönheit und Intonationssicherheit in ihnen steckt. Carsten Niemann

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