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Young-Euro-Cassic-Gründerin Gabriele Minz und Adrian Schmid vom Friedensorchester vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

© Kai-Uwe Heinrich

Young Euro Classic: Zusammen sind wir Beethoven

Am Donnerstag beginnt Young Euro Classic. Spezialität des Berliner Jugendorchesterfestivals sind multinationale Ensembles – so auch das neu gegründete Friedensorchester.

„O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.“ So sagt es Schiller 1785 in seiner Ode „An die Freude“, bekannt vor allem durch Beethovens 9. Sinfonie, die seit 1972 auch Europahymne ist. 1989 erklang sie in Berlin unter der Leitung von Leonard Bernstein als „Ode an die Freiheit“, nach dem Fall der Mauer. Ein Werk, das wie kein anderes die Gemüter berührt und hunderte Male im Jahr aufgeführt wird. „Ich kenne niemanden, dem nicht das Herz schwingt, wenn er Beethovens Neunte hört“, schwärmt Gabriele Minz, Gründerin und Chefin von Young Euro Classic. Adrian Schmid vom neu gegründeten Friedensorchester kann ihr da nur zustimmen. Er ist Masterstudent für Pauke und Schlagzeug an der Universität der Künste. Das Orchester wird die Sinfonie am Abschlussabend des Festivals spielen (23. August, 20 Uhr), dirigiert von Enoch zu Guttenberg.

Im Konzerthaus sind die Gänge noch leer, irgendwo rattern Bohrmaschinen. Wenn hier ab Donnerstag wieder Young Euro Classic gastiert, wird sich das schlagartig ändern, 18 europäische Jugendorchester werden das Haus beleben. Das Team im Festivalbüro ist von früh bis spät auf den Beinen, um letzte Details zu arrangieren und die Musiker willkommen zu heißen.

Das Friedensorchester – die Idee zu dem Projekt stammt von Gabriele Minz – wird in diesem Jahr erstmals auftreten, mit Musikern aus Armenien, Russland, Deutschland und der Ukraine. Und mit Adrian Schmid an der Pauke.

Nach dem Vorbild des West-Eastern Divan Orchestra

Das berühmteste multinationale, dem Versöhnungsgedanken geweihte Orchester ist natürlich das West-Eastern Divan Orchestra, gegründet von Daniel Barenboim und dem 2003 gestorbenen Literaturwissenschaftler Edward Said. Hier musizieren Israelis und Palästinenser gemeinsam mit jungen Menschen anderer Nationen. Dass er damit nicht den Nahost-Konflikt lösen könne, sei klar, sagte Barenboim 2014. „Frieden braucht Gerechtigkeit, Verträge, Freiheit – keine Musik.“ Auch Gabriele Minz macht sich da keine Illusionen. Politisch bewegen werde sich mit dem Friedensorchester sicher nichts. „Doch Politik ist eben ein langwieriger Prozess“, sagt sie. Wichtig sei es, ein Zeichen zu setzen, als eines von vielen. Aber auf keines sollte verzichtet werden.

Internationale Orchesterkooperationen, das gibt es bei Young Euro Classic schon seit vielen Jahren. So wird das Festival am Donnerstag (20 Uhr) mit einem deutsch-israelischen Projekt eröffnet, dem Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar, das seit drei Jahren existiert. Das „I, Culture Orchester“ wiederum setzt sich aus polnischen, ukrainischen, armenischen, aserbaidschanischen, georgischen, moldawischen und weißrussischen Musikern zusammen, es wurde 2011 zur polnischen EU-Präsidentschaft gegründet und kommt seitdem jedes Jahr zusammen. Gabriele Minz schätzt solche Initiativen sehr, die das gemeinsame Musizieren über europäische Grenzen hinweg ermöglichen und den Austausch unter Jugendlichen fördern. Dass dabei Kontakte fürs Leben geknüpft werden, bestätigt auch Adrian Schmid – er war bereits 2014 bei Young Euro Classic dabei. Jedes Land habe eigene Energien und ein eigenes Repertoire, das mache solche Projekte interessant.

Warum aber mit dem Friedensorchester noch ein weiteres Projekt dieser Art? Anlass für Minz sind die politische Lage in der Ukraine und die Annektierung der Krim durch die russische Förderation. Die Fronten sind festgefahren. In solchen Momenten politischer Sprachlosigkeit wird meist nach anderen Modi der Kommunikation gesucht. „Bei Heranwachsenden muss menschlicher Kontakt über ein gemeinsames Drittes, die Musik, hergestellt werden“, sagt Minz. „Musiker sind enorme Multiplikatoren, besonders der Nachwuchs, der in wenigen Jahren in der ganzen Welt verstreut sein wird und dort den Gedanken der Verständigung weiter tragen kann.“ Auch wenn die Auswahl der Musiker beim Friedensorchester politisch motiviert ist, will man sich trotzdem auf die Kunst konzentrieren. Dass Armenien dabei ist, hat wiederum mit dem Auswärtigen Amt zu tun, das das Projekt mitfinanziert. Doch 2015 als Ausrichtungsjahr ist kein Zufall. Der Völkermord der Türken an den Armeniern jährt sich zum 100. Mal – der erste Geiger kommt aus der Türkei. Vergangenheitsbewältigung, wenigstens ein bisschen.

„Ich war sofort dabei“, erzählt Adrian Schmid. Für den 26-Jährigen ist Beethovens Neunte ein symphonisches Werk mit politischem Potential. Was neben den Erinnerungen an die legendäre Aufführung von Leonard Bernstein auch an der Geschichte des Originalmanuskripts liegt. Vor der Wende lagerten die Seiten der Partitur getrennt voneinander in Ost und West. Eine Hälfte befand sich in der DDR, die andere in der Bundesrepublik. Adrian Schmid erzählt, wie die Sinfonie nach 1989 wiedervereinigt wurde. Die Idee, die Beethoven-Sinfonie zum ersten Programm des Friedensorchesters zu machen, stammte von Dirigent Guttenberg. Kein anderes Stück könne zu einem solchen Anlass gespielt werden, meint er. Dafür hat er sogar einen seiner Chöre zur Verfügung gestellt, die KlangVerwaltung.

Proben beginnen acht tage vor dem Konzert

Das ukrainische Orchester der Tschaikowsky Akademie, die ihren Sitz am Maidan in Kiew hat, dem Schauplatz der Euro-Revolte 2013/14, soll als erstes in Berlin eintreffen. Die Reise ist gerade erst durch Crowdfunding gesichert worden. „Ich habe das Gefühl, auf diesem Projekt liegt ein guter Geist,“ sagt Minz. Botschafter und Vertreter der beteiligten Länder unterstützen die Musiker des State Youth Orchestra of Armenia, für die Studierenden aus St. Petersburg hat das dortige Rimski-Korsakow-Konservatorium die Flüge bezahlt. Acht Tage vor dem Konzert beginnt eine intensive Probenphase mit Hilfe von Dozenten der UdK, aus der neben Schmid auch die übrigen deutschen Projektteilnehmer stammen.

Mehr noch als auf das Konzert freut sich Adrian Schmid auf die Proben. „Da lernt und wächst man.“ Gabriele Minz möchte, dass die Idee der Hoffnung weitergetragen wird, auch vom Publikum. Eigentlich wolle sie das Wort „Völkerverständigung“ nicht benutzen, aber genau das soll mit dem Friedensorchester erreicht werden: der magische Moment, in dem Emotion, Politik und Kunst verschmelzen.

Young Euro Classic, 6.-23. August, Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Programm: www.www.young-euro-classic.de

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