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Kultur: "Z 2000"-Festival: Im Biotop der Bildungsbürgerkinder

Kein Trend, nirgends. Nach griffigen Schlagworten und neuen Ansätzen durchsucht man die sieben Ausstellungen und mehr als 100 Einzelveranstaltungen des "Z 2000"-Festivals der Akademie der Künste vergebens.

Kein Trend, nirgends. Nach griffigen Schlagworten und neuen Ansätzen durchsucht man die sieben Ausstellungen und mehr als 100 Einzelveranstaltungen des "Z 2000"-Festivals der Akademie der Künste vergebens. Das muß für die präsentierten "Positionen junger Kunst und Kultur" kein Nachteil sein. Vorbei sind die Zeiten, in denen jeder Künstler mit dem Anspruch hausieren ging, Sehgewohnheiten zu ändern und die Zwänge des schlechten Bestehenden aufzubrechen. Das Ende der Utopien auch in der Kunst eröffnet die Chance, jedem Werk einen von theoretischen Traktaten unverstellten Erkenntniswert abzugewinnen: Wenn es denn etwas zu sagen hat.

Eine solche Atmosphäre der "Offenheit, die keine Beliebigkeit ist", will Kurator Jörg van den Berg mit der Hauptausstellung "Bleibe" im ersten Stock des Akademiegebäudes herstellen. Der Künstlertyp, der sich als Malerfürst geriert, sei mittlerweile verschwunden, stellt van den Berg fest. Und mit ihm die wohlfeilen Etiketten, die das kreative Chaos säuberlich Stilrichtungen zuordnen: "Ich kann keine Schubladen aufziehen, wenn es keinen Schrank mehr gibt." Deswegen schickt er den Besucher in einen Irrgarten aus begehbaren Kojen, die Objekte beherbergen. Sämtliche Medien hausen hier in friedlicher Koexistenz, wie Pflanzen in einem Biotop. Eingangs fragt Anja Wiese auf mehreren Bildschirmen: "Sind sie sicher?". Falls nicht, beruhigt "Der Tröster" in Mark Formaneks stockdunklem Separée mit raunendem Geflüster vom Tonband.

So besänftigt, kann man sich gefahrlos dem Sinneskitzel von Douglas Gordons Video "Blue" aussetzen: Zwei Hände verschränken sich zu obszönen Gesten. Garantiert leidenschaftslos ist dagegen Shón Edwards Konzeptkunst. Durch einen Schlitz blickt man ins Leere: Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Wem das zuwenig ist, der darf sich an Christine Borlands interaktiver Installation erfreuen: Sie sammelt "Dinge, die ein Leben retten": ein Rosenkranz, ein Karabinerhaken, eine Musikkassette. Aber auch das gute, alte Tafelbild ist mit Antje Majewskis abgemalten Polizei-Fahndungsbildern vertreten. Und die Fotografie: Der durch die aufsehenerregende "Sensations"-Schau bekanntgewordene Richard Billingham zeigt ausdrucksstarke Großaufnahmen seiner verarmten, alten Eltern.

"I love real life"

Gereizten Nerven gönnt die weite Fläche des nächsten Raumes eine Atempause. Leise rinnt eine Flüssigkeit über Jörg Lenzlingers "Jungbrunnen" aus Einweggeschirr, an dem sich lindgrüne Kristalle bilden. Sanft pochen Herzschläge aus Kopfhörern über den "OMO"-Reifengummikissen von Jan-Peter Sonntag. Still dreht in Olafur Eliassons mannshohem Wasserglas ein Strudel seine Runden. Stoisch-unbewegt leuchtet die Wand, die Katharina Grosse mit satten Acrylfarben besprüht hat. Eliasson wie Grosse können es sich leisten, auf marktschreierische Effekte zu verzichten: Beide sind für den Preis der Nationalgalerie nominiert, werden ab Ende September im Hamburger Bahnhof ausstellen. Sie haben den Sprung in die Beletage des Kunstbetriebs geschafft.

Mit praktischen Mehrzweckmöbeln machen Designer im dritten "Bleibe"-Saal auf sich aufmerksam: mit den Schaumstoff-Sitzwürfeln von "kombinat", die unter dem Körpergewicht des Benutzers nachgeben, oder den "DepoSit"-Kunststoffplatten, mit denen Holger Jaeschke Getränkekästen in Hocker verwandelt. An der "Furniture Playstation" kann jedermann aus Nackenrollen seine individuelle Ruhezone abstecken. Flexibel, provisorisch, transportabel muß die Einrichtung sein, mit der sich der Großstadtnomade umgibt. Wie das preisgekrönte Pappbett von "tara": Es läßt sich zusammenfalten, unter dem Arm tragen, im Nu an einem anderen Ort aufstellen. Wer sich darin einsam fühlt, dem vermittelt die "Riga Dating Agency" die passende Partnerin aus ihrer Datenbank mit osteuropäischen Schönheiten. Für Getränkenachschub sorgt die "WandelBar" aus aufblasbaren Plastikröhren, die wie ein Bündel Atomraketen aussehen. Sucht man ein Souvenir, ist man in Ross Sinclairs Merchandising-Shop richtig: Er verkauft Andenken vom Becher bis zum T-Shirt mit dem Aufdruck: "I love real life".

Im richtigen Leben wird die Arbeit von anderen erledigt: Bei "Bleibe" ist es der Kurator, der an einem von Apolonija auiteriic entworfenen Schreibtisch seinem Job nachgeht. Er lobt den Erholungswert der Schau: "Geistige Beschäftigung sollte auch einen Spaßfaktor haben." Denn diese Kunst ist für Konsumenten wie für Produzenten ein Zeitvertreib in Mußestunden: Die wenigsten Teilnehmer können von ihren Werken leben. Das mag auch für die Graffiti- und Comic-Künstler gelten, die im Erdgeschoss unter dem Titel "Next!" zu sehen sind. Hier trifft man handwerkliche Fertigkeiten in Linienführung und Farbgebung an, von denen sich die akademisch Ausgebildeten eine Treppe höher längst verabschiedet haben.

Wenn der Fernsehturm zerbröselt

Noch gibt es allerdings irritierende Arbeiten. Ein Exemplar dieser aussterbenden Gattung findet sich im Stiegenhaus der Fehrbelliner Höfe, einem leerstehenden Klinkerbau in Mitte. Betritt man die windschiefen Stufen, tauchen verstörende Geräusche auf: Hält das Holz? Bricht man gleich ein? Glücklich in der vierten Etage angelangt, erkennt man, daß die Laute aus tönenden Tuben namens "Recur" von Henry Mex dringen. Aber diese Installation ist ein Sonderprojekt, gehört eigentlich nicht zur Ausstellung "Present Representation": so erläutert ihr Leiter Ilja Castellanos. Er will dem interdisziplinären anything goes ein Ende machen, sich auf "klare Strukturen konzentrieren".

Das ist ihm gelungen: Seine Repräsentation der Gegenwart findet im Fernsehen statt. Zahlreiche Beispiele belegen den überragenden Einfluß von Trash-TV auf die junge Szene. Die Walisin S.I.G. zappt durch die Kanäle hält ihre Eindrücke in Öl auf bildschirmgroßen Leinwänden fest. RTL2-Zuschauer dürften an der CD-ROM von Piotr Wyrzykowski Gefallen finden: In seinem "Cyborg Sex Manual 1.0" praktizieren Roboter diverse Kopulationstechniken. Manchmal wird der Impuls aus der Kathodenröhre auf verschlungenen Wegen zum Artefakt: Eine Folge der Krimi-Serie "Die Straßen von San Francisco" brachte Sven Kalden auf die Idee, ein Planquadrat des Stadtplans von Frisco hundertfach vergrößert nachzubauen. Nun bedecken seine Sperrholzblöcke eine Fläche von 10 Quadratmetern. Dieses Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag wird von Markus Krieger überboten. Monatelang bastelte er an rund 800 Miniatur-Elektromotoren, die er auf Schrauben über Metallplatten tanzen läßt: Nur um zu demonstrieren, daß sie irgendwann hängenbleiben, somit seine Versuchsanordnung instabil ist. Eine kleine Simulation am Computer hätte nach wenigen Minuten denselben Nachweis erbracht. Kriegers Materialschlacht bleibt so folgenlos wie die ganze Ausstellung für die künftige Nutzung des Gebäudes: Anfang nächster Woche wird die Treuhand Liegenschaft-Gesellschaft als Eigentümerin die Galerie wieder zusperren und auf zahlungskräftige Investoren warten.

Vor deren Herrschaft graut Philipp Virus. Gegen die "Gleichschaltung der Welt in der Globalisierung" mobilisiert der Videofilmer bewährte Agitprop-Ästhetik. Ein Autoporträt bei der Selbstverstümmelung in einer Art Reichsparteitag-Ambiente, sein Sohn als geklonter Replikant unter einem von Sternenbanner und Hakenkreuzen verdüsterten Firmament und der Papst als Skelett, das verhungernden Kleinkindern predigt: Solche Collagenmotivein ihrer plakativen Drastik hätte ein John Heartfield nicht besser hinbekommen. Auch die übrigen Beiträge zu der von Virus verantworteten "Global Ghetto"-Schau im Künstlerhaus Bethanien schwelgen in Endzeitvisionen. Berlinern dürfte zwar beim Anblick eines bröckelnden Alexanderplatz-Turms mulmig zumute werden, doch ansonsten läßt diese in Weltsicht in Schwarz-Weiß den Betrachter kalt. Ins globale Ghetto wird eher eine engagierte Kunst abgedrängt, die keine zeitgemäße Bildsprache für ihre Kapitalismus-Kritik findet. Der Katalog dankt übrigens 19 Sponsoren für ihre freundliche Unterstützung.

Beschäftigungstherapie unter Freunden

Unbillig wäre es, dem Z2000-Festival mangelnde soziale Relevanz vorzuwerfen. Im auf Standortsicherung, Besitzstandswahrung und Konsensgespräche eingeschworenen Freizeitpark Bundesrepublik kann man nicht verlangen, daß kreative Köpfe polternd Tabus einreißen. Auf ihre Kunst der Harmlosigkeit warten sinnvolle Aufgaben: Die Firmenzentralen ihrer Mäzene mit Dekor zu schmücken oder Beschäftigungstherapie für Bildungsbürgerkinder: Kleine Freundeskreise amüsieren sich über selbstgeschaffene Zeichensysteme. Den Erfolg beim Publikum muß dieser Rückzug ins Private nicht schmälern. Mit dem bisherigen Zuspruch ist Festivalleiter Christian Kneisel hochzufrieden: Eine Woche vor dem Ende am kommenden Sonntag hätten 25 000 Interessierte die Ausstellungen gesehen. Bei den Konzerten, Film- und Theateraufführungen zeige sich aber eine starke Zersplitterung: Jedes Genre ziehe seine eigene Klientel an. Da der Generationen-Begriff hinfällig werde, wolle die Akademie künftig keine Großfestivals mehr ausrichten. Statt dessen sei kontinuierliche Förderung von Nachwuchskünstlern geplant. Damit erreiche man via Internet Kulturtouristen aus aller Welt: Manche Besucher waren aus Brasilien und Südafrika angereist. Eine Gruppe aus Australien, die sieben Tage bleiben wollte, verlängerte ihren Aufenthalt um eine Woche.

Oliver Heilwagen

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