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Kultur: Zack, ein Schlag

Der Regisseur über blinde Kämpfer, die Ästhetik der Gewalt und die Moral der Weltverbesserer

Takeshi Kitano sitzt auf dem Sofa eines Hamburger Hotelzimmers und träufelt sich aus einer Ampulle Flüssigkeit ins rechte Auge. Anschließend tupft er sich mit einem feuchten Tuch die Augen ab. Auf dem Tisch steht neben der Schale mit dem Tuch eine Schale voll weiterer Ampullen.

Herr Kitano, haben Sie Probleme mit Ihren Augen?

Ja, seit meinem Motorradunfall vor einigen Jahren ist mein rechtes Auge zu trocken. Seitdem nehme ich diese Flüssigkeit und trage Brillen, es ist besser geworden, aber noch nicht in Ordnung.

In „Zatoichi“ spielen Sie einen Blinden, haben die Augen ständig geschlossen. Wie behält man da als Regisseur alles im Blick?

Wenn ich als Schauspieler auftrete, bitte ich den Regieassistenten, meinen Text auf riesige Papierbögen zu schreiben. Nun musste ich mit geschlossenen Augen spielen – schrecklich! Im Ernst: Ein Schauspieler muss sich ohnehin aus dem Blickwinkel der Kamera betrachten können. Es ist also nicht unbedingt schwieriger, einen Blinden zu spielen.

Schon in Ihrem letzten Film „Dolls“ gab es einen halbblinden Popstar und einen Fan, der sich selbst blendet. Warum jetzt ständig blinde Protagonisten?

Chieko Saito, die ausführende Produzentin von „Zatoichi“, hatte mich schon vor ein paar Jahren gefragt, ob ich nicht eine Fortsetzung der in Japan berühmten „Zatoichi“-Serie drehen wolle: Der blinde Samurai ist bei uns eine populäre Kinofigur. Die Originalfilme sind in der Feudal-Ära angesiedelt, mit einer klaren Hierarchie: die Mächtigen, die Kaufleute, die Bauern. Als die „Zatoichi“-Filme in den frühen Sechzigern herauskamen, mochte das japanische Publikum es sehr, dass einer aus der Unterschicht die Reichen verprügelt, um den armen Bauern zu helfen.

Ein seltener Japaner: Er hat keinen Boss.

Er ist so arm, dass er sich keinen leisten kann. Abgesehen von diesem kathartischen Moment à la Robin Hood war Shintaro Katsu, der Schauspieler der Original-Filme, ein Star. Jeder Japaner kennt Zatoichi, auch wenn längst nicht mehr alle die Filme selbst kennen – auch ich übrigens nicht. Bis in die Achtziger wurden mehr als 20 Kinofilme gedreht und eine Fernsehserie.

Wie haben Sie die Serie aktualisiert?

Ich wollte nicht die Kung-Fu-Filme oder Hollywood-Spielarten des Schwertkampfgenres kopieren. Ich wollte vielmehr eine Antithese zum Actionkino, dessen Kampfszenen ja meist ewig dauern. Im wirklichen Leben ist die Gewalt schneller: zack, ein Schlag, ein Schuss, und die Sache ist erledigt. Auch beim traditionellen Schwertkampf ist mit ein, zwei Hieben der Gegner besiegt. Diese Kürze wollte ich widerspiegeln.

Und Sie haben Ihr Haar blond gefärbt.

Ein kleiner V-Effekt: Zatoichi sollte sich von den anderen deutlich unterscheiden. Ich wollte die Figur entromantisieren. Der klassische Zatoichi ist den Menschen zugeneigt, mischt sich unter die Leute und kann sehr sentimental werden. Mein Zatoichi ist emotional von den anderen abgespalten. Er ist fast eine Kampfmaschine, kein Tänzer wie Shintaro Katsu, der Schwertkampf-Ballette vollführt.

Aber choreografiert sind die Kampfszenen bei Ihnen auch. In Ihren Yakuza-Filmen haben Sie Schießereien in Szene gesetzt.

Der größte Unterschied dazu ist die Entfernung. Gegner mit Schusswaffen können sich aus gehöriger Distanz bekämpfen, also hat auch die Kamera mehr Freiheiten. Samurai entfernen sich höchstens eine Schwertlänge voneinander. Das bedeutet, dass die Kamera einen eingeschränkten Radius hat und die Szene sehr präzise ausgearbeitet sein muss. Ich habe selbst choreografiert; schließlich muss sich auch die Kamera mehr bewegen. Und jede Szene ist kleinteiliger aufgelöst: Es gibt viel mehr Schnitte als bei einer Schießerei.

Ändert das die Ästhetik der Gewalt?

Meine Bilder von der Gewalt waren schon immer ein bisschen anders, experimenteller. In den Yakuza-Filmen habe ich Schießereien oft aus extremer Nähe gefilmt, obwohl sich das bei dem Genre nicht gehört. Quentin Tarantino hat das auch gemacht: „Reservoir Dogs“ sieht manchmal wie Kabuki aus. Diesmal experimentiere ich mit der Schwertkampf-Ästhetik; es gibt nicht nur Schwerter, sondern auch Speere und sogar eine Pistole. Da gibt es noch viel zu erforschen.

Sie sprechen von Kabuki. Was bedeutet Ihnen, einem scharfem Kritiker der japanischen Gegenwart, die Tradition?

Das Japan der Nachkriegszeit war nur auf ökonomischen Erfolg aus. Ich bin selbst ein Kind dieses Booms, aber ich mag ihn nicht. Das Ergebnis dieser Profitorientierung: 80 Prozent unserer Lebensmittel müssen importiert werden, früher waren es 50 Prozent. Außerdem gilt heute alles aus der Vorkriegszeit als schlecht. Aber das stimmt nicht. Wir haben unsere Traditionen pervertiert.

Sieht die Feldarbeit in „Zatoichi“ deshalb so romantisch aus?

Ich arbeite in der Medienindustrie, in einer Branche, die man Kultur nennt. Wir Kulturmenschen werden hoffnungslos überschätzt. Die Bauern, Fischer oder Jäger sind für das Überleben der Menschheit viel wichtiger. Bestimmt habe ich wegen dieses schlechten Gewissens den Bauern schöne Filmszenen geschenkt.

Am Schluss des Films vereinen sich alle Dorfbewohner zum Stepptanz. Warum tanzt Zatoichi nicht mit?

Ich konnte das in den Siebzigern ganz gut, als ich ein Stand-up-Comedian war. Aber ich habe lange nicht mehr trainiert – geben Sie mir zwei Jahre! Zatoichi aber tanzt vor allem deshalb nicht, weil er ein Mörder ist. Er hat zwar nur die bad guys getötet, trotzdem darf er am Ende nicht mit den good guys tanzen. Vielleicht ist er sogar der schlimmste Verbrecher von allen. Er taucht einfach auf, tötet ohne Erlaubnis. Niemand hat ihn gebeten, für Ordnung zu sorgen: Zatoichi ist der George W. Bush seiner Zeit.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

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