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Kultur: Zahnbürsten, Stuhlbeine

Christopher Mullers Fotografien bei Hengesbach

Ein Foto versammelt Dinge, der Fotograf macht aus dieser Ansammlung ein Bild nach seinem Willen. Viel mehr passiert eigentlich nicht, wenn aus einem Augenblick eine Aufnahme für die Ewigkeit wird. So gesehen macht Christopher Muller bloß das Prinzip des Mediums sichtbar: Seine Stillleben in der Galerie Hengesbach zeigen Kaffeetassen, Plastikeimer, Zahnbürsten, Gummistiefel. Sie reihen die Gegenstände in eigenartigen Konstellationen, die merkwürdig vertraut und dennoch befremdlich wirken, weil man sie im ersten Moment für zufällig hält. Wie sorgfältig der 1966 geborene Künstler die Szenen komponiert, sieht man erst auf den zweiten Blick.

Der Alltag kommt einem hier so nah wie selten in der Realität. Was Muller festhält, der 2007 an der Leipziger Kunstakademie die Klasse von Timm Rautert übernommen hat, blendet man für gewöhnlich aus. Zu selbstverständlich sind die Dinge, ohne Allüren und bar jeder gestalterischen Ambition. Der Fotograf setzt sie auch nicht in Szene. Der Hintergrund seiner großformatigen Motive ist stets neutral und das Arrangement alles andere als anekdotisch. Ihren Dialog beginnen die Gegenstände von selbst – dank formaler Parallelen, farblicher Übereinstimmungen oder gerade wegen der inhaltlichen Widersprüche. Als Vokabular nutzen sie die eigene, erstaunlich differenzierte Formensprache: Rundung, Stuhlbein, Rechteck, Flechtwerk, Material. Alles tritt in Bezug zueinander, das eine kommentiert das andere.

Fast immer wirkt das Interieur ausgestellt: Wie Artefakte reihen sich die Objekte aneinander. Was mehr an eine museale Präsentation als an Dinge des täglichen Gebrauchs denken lässt. Muller distanziert mithilfe der Fotografie, nennt seine sehenswerte Ausstellung „Looking Pictures“ und liefert so noch eine Handlungsanweisung: Aus den nützlichen Handlangern sind Objekte der Anschauung geworden. Und obwohl zumindest in den Stillleben (2000-14 000 Euro) kein Mensch zu sehen ist, erzählen die Dinge doch stets auch von ihren Nutzern.

Zugespitzt wird dieses Prinzip in den kleinen Collagen. Seit den neunziger Jahren fügt Muller kleine Querformate aus je drei Abbildungen zusammen, die unmöglich gleichzeitig lesbar sind. Werbung trifft auf Handgezeichnetes, ein Tapetenmuster auf lapidare Fundstücke von der Straße. Manches steht kopf und scheint willkürlich neben den übrigen Impressionen zu stehen. Tatsächlich beruhen die Verbindungen zunächst auf den subjektiven Zuordnungen des Künstlers. Er greift aus dem Überfluss simultaner Eindrücke, was sich seiner Ansicht nach kombinieren lässt. Ein konstruiertes Bild der Wirklichkeit, das erzählerisch daherkommt, weil es Bild und Text, Gesichter und Muster, Tiefe und Fläche bietet. Dabei sind es Studien der Wahrnehmung voller subtiler Verbindungen, denen man nachspüren soll. Die man aber auch als pure Ansammlung von Dingen begreifen kann.

Galerie Hengesbach, Charlottenstr. 1; bis 23. April. Heute um 16 Uhr führt Christopher Muller durch seine Ausstellung.

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