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Zebra Poetry Award: Die Streifen des Zebras

Bilder müssen sich nicht reimen: Das Filmfestival der Dichtkunst in Berlin.

Wie schwierig es ist, Bild und Ton harmonieren zu lassen, wird beim Festival der Poesiefilme gleich am ersten Abend deutlich: Tadeusz Dabrowski trägt im großen Saal des Babylon Mitte Gedichte auf Polnisch vor, doch auf der Leinwand hinter ihm erscheinen die Übersetzungen anderer Texte. Das führt zu Irritationen – und bleibt nicht die letzte Panne beim sechsten „Zebra Poetry Film Festival“. Unfreiwillig komisch ist es, mit welcher Zuverlässigkeit die Technik rebelliert. Dem Filmfestival der Dichtkunst verzeiht man jedoch derlei Mängel, ist es doch ein sympathisch verträumter Fleck im reichhaltigen Kalender der Berliner Filmfestivals.

Aber was ist das überhaupt: ein Poesiefilm? Zunächst ein Film, der auf einem Gedicht beruht, es interpretiert, verarbeitet oder sich davon inspirieren lässt. Das kann ein Klassiker sein, von Walt Whitman, Ingeborg Bachmann oder Stéphane Mallarmé, ist meist aber das eigene Werk oder das eines Freundes. Die Anschlussfrage müsste lauten: Braucht es so etwas? Tut es einem Gedicht gut, filmisch illustriert zu werden? Gewinnt es durch die Konkretisierung? Die Antwort lautet: mal ja, mal nein.

Wo sich Regisseure von ihren Möglichkeiten verführen lassen, zu tief in die Zutatenkiste zu greifen, da überziehen sie ihr Gedicht mit einem Zuckerguss aus Musik, starken Bildern und schnellen Schnitten – und machen es ungenießbar. Soll aber das lyrische Werk ein Eigenleben entwickeln, muss homöopathisch gearbeitet, dann müssen die suggestiven Kräfte Musik und Bild gezügelt werden.

Gelungen ist das dem japanischen Regisseur Masahiro Sugano und seinem Hauptdarsteller Kosal Khiev. Ein nächtlicher Sandplatz, beleuchtet von vier Scheinwerfern, aus vier Ecken, in der Mitte der Spoken-Word-Artist mit nacktem, von Tattoos übersätem Oberkörper. Er beginnt zu sprechen, zu rappen, erzählt, warum er schreibt. Khiev gelangte als Flüchtling in die USA, saß wegen versuchten Mordes 14 Jahre im Gefängnis, kam 2011 frei und wurde nach Kambodscha geschickt, in die Heimat seiner Eltern. Das Wissen um diese Biografie, dazu die sich steigernde Energie des Vortrags, die Rhythmik der Worte – der Film wirkt kraftvoll durch die Reduktion: schwarz-weiße Bilder, nur Khievs Stimme, manchmal gedoppelt, in zwei übereinandergelegten Tonspuren. Zu Recht gewann „Why I Write“ den Preis für die beste Performance, weiter entfernt vom Elfenbeinturm kann Kunst nicht sein.

Von Stimme und Vortrag lebt auch „Heimweg“, als bestes Debüt ausgezeichnet. Franziska Otto führt Regie, die Autorin Peh gibt ihrem Gedicht mit der eigenen Stimme eine Richtung und zeigt, wie viel mit wenig Effekten aus einem Text herauszuholen ist. Dazu laufen verspielte Stop-Motion-Bilder im Geiste Michel Gondrys. Mehrere Regisseure arbeiten typografisch zur Unterstützung der Texte, was sie eindringlicher macht. „Render, Render“ thematisiert das Schreiben von Gedichten und setzt nicht viel mehr als die Worte selbst ins Bild, lässt sie erscheinen, verschwinden, schlingern, bersten.

Animationen liegen im Trend, am Gewinner des ersten Preises sieht man das. „Lost and Found Box of Human Sensation“ von Martin Wallner und Stefan Leuchtenberg verbindet 2-D- und 3-D-Animationen mit einer einfühlsamen und zugleich fantasievoll-schwarzhumorigen Geschichte um einen jungen Mann, der über den Krebstod seines Vaters hinwegzukommen versucht.

Ein Highlight des Festivals trägt die Überschrift „Ein Gedicht – viele Filme“. Am Anfang stand das PoemMEINE HEIMAT] „meine heimat“ von Ulrike Almut Sandig und der Aufruf, es zu interpretieren. 13 Filme näherten sich den Versen und dem typisch deutschen Begriff der „Heimat“. Die Erkenntnis, dass sich ein Gedicht unterschiedlichen Zugängen öffnet, ist nicht eben neu – wo sich die inneren Bilder der Filmemacher gleichen und wo sie sich unterscheiden, ist trotzdem sehenswert. Linda Perthen lässt schrittweise ein Gemälde entstehen und verzichtet ganz auf den Text des Gedichtes, Johanna Wagner übersetzte ihn mithilfe von Google Translate ins Englische und Schwedische und lässt ihn von einer Computerstimme vortragen, während Spielzeug aus ihrer Kindheit die visuelle Ebene bestimmt.

Von den Organisatoren wird der Nischencharakter des „Zebra“-Festivals betont. „Von Filmemachern für Filmemacher“ scheint auch das Motto zu sein, wenn man in die Kinos blickt. Die Ergebnisse hätten ein größeres Publikum verdient. Kaspar Heinrich

Kaspar Heinrich

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