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Kultur: Zeichen an den Zauberkönig

Die Trauerfeier für Sven Lehmann im DT.

„Es wird schwer, an Theater zu denken ohne Sven“, sagt Michael Thalheimer. Wie schwer, das sieht man in diesem Moment nicht nur dem Regisseur an. Bis in den zweiten Rang ist das Deutsche Theater gefüllt bei der Trauerfeier, mit der Kollegen, Freunde und das Publikum Abschied nehmen von dem Schauspieler Sven Lehmann, der am 3. April nach schwerer Krankheit im Alter von 47 Jahren gestorben ist. Vor dem Kondolenzbuch stehen die Menschen Schlange. Es passt zu dem großen, markanten, wohltuend eigenen Sven Lehmann, dass neben Kollegen – Nina Hoss, Regine Zimmermann, Ulrich Matthes, die Gotscheff-Familie – unglaublich viele Theaterzuschauer gekommen sind. Nicht nur als hochnotkomischer wie tieftrauriger Prinz in „Emilia Galotti“ oder als Maurerpolier John in den „Ratten“ hat Sven Lehmann bis ins Mark berührt, sondern offenbar auch als Mensch.

Das wird in der wohltuend stimmigen Trauerstunde, in der jeder derart den richtigen Ton findet, dass es angemessen weh tut, immer wieder deutlich. Alle zwölf Kolleginnen und Kollegen, die auf der Bühne an Sven Lehmann erinnern, tun es in sehr persönlichen Worten oder Gesten; von Horst Lebinsky, der einen Brief von Fred Düren verliest, über Barbara Schnitzler, die Lehmann jedes Jahr den druckfrischen Fährfahrplan zur Insel Hiddensee mitbrachte, bis zum Musiker Dermot Hyde, mit dem Lehmann hingebungsvoll Dudelsack spielte.

DT-Intendant Ulrich Khuon nennt den Schauspieler einen „Meister der Geste“. Schön, wie er über Lehmanns „feine Zeichen“ spricht, etwa „Umarmungen“, die Lehmann verschenkte wie auch Umarmungen, „die er abbrach“. Khuons Vorgänger Bernd Wilms, der Sven Lehmann 2001 als Intendant aus München ins DT-Ensemble geholt hatte, schickt ihm in derselben Mischung aus Traurigkeit und intelligentem Witz, die sein Spiel so unvergleichlich machte, einen Satz aus Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach: „Sven, du wirst unserer Liebe nicht entgehen.“ Wilms’ damaliger Chefdramaturg Oliver Reese entwirft nicht nur einen idealtypischen Spielplan für diesen „Philosophen des Alltags“, sondern erinnert – wie fast alle – an den prägnanten Lehmann-typischen Humor, der Selbstironie jederzeit einschloss. Die erste Kantinenbegegnung vor 18 Jahren im Münchner Residenztheater, die Lehmanns Schauspielerkollege Ingo Hülsmann rekapituliert, lässt sich lebhaft vorstellen: Lehmann sitzt beim Bier und will trotz Kantinenschließzeit nicht gehen. Was denn das Problem sei, fragte ihn Hülsmann. Darauf Lehmann: „Ich habe hier gestern früh einen Vertrag unterschrieben.“ Als Hülsmann erwidert, das sei doch großartig, kontert Lehmann trocken: „Dann habe ich aber gestern Abend eine Premiere gesehen.“ Hülsmann: „Ich weiß, ich hab’ mitgespielt; aber ich verstehe immer noch nicht das Problem.“ Lehmann: „Es war unglaublich schlecht. Du übrigens auch!“

Der DT-Techniker Lars Lehmann dankt dem Schauspieler für „seine Klugheit, seine Frechheit, seinen Mut, seinen Witz, seine Wut, seine Unbequemlichkeit und seine Freundlichkeit“. Schauspielkollegin Almut Zilcher liest sehr klar und berührend das Lieblingsgedicht des Brecht- wie Benno-Besson-Verehrers Lehmann: „An die Nachgeborenen“. Der Regisseur Dimiter Gotscheff verabschiedet sich mit einem Glas Rotwein und einem langen Blick auf Lehmanns in der Bühnenmitte hängendes Konterfei. Und Michael Gerber, der die Rolle des Zauberkönigs in Michael Thalheimers Horváth-Inszenierung „Geschichten aus dem Wiener Wald“ übernahm, nachdem Lehmann wegen seiner Krankheit vor der Premiere hatte aussteigen müssen, verneigt sich tief und sagte: „Mach’s gut, Zauberkönig.“ Christine Wahl

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