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Kultur: Zeichen auf Sturm

Intendant Klaus Zehelein verabschiedet sich von der Stuttgarter Oper – mit einer Uraufführung

Das Haus ist beileibe nicht ausverkauft, von den Intendantenkollegen ist kaum einer erschienen, und am Ende kriegt der regieführende Hausherr sogar eine kräftige Ladung Buhrufe verpasst. Erstaunlich, dass in dieser letzten Premiere Klaus Zeheleins an seinem Stuttgarter Opernhaus so gar nichts von festlicher Abschiedsstimmung zu spüren ist. Dass vom Atem der Theatergeschichte, die hier immerhin fünfzehn Jahre lang geschrieben worden ist, nicht mal ein Hauch zu wehen scheint und für hochgestimmtes Bewusstsein sorgt. Statt dessen: business as usual, nüchternes Arbeitsklima, als sei diese Premiere ebenso wichtig oder unwichtig wie jede andere und als sei schon die Erwartung verfehlt, ein Konzentrat dessen vorgesetzt zu bekommen, was diese Ära eigentlich ausgemacht hat.

Freilich passt diese spröde Haltung zum Theater des Klaus Zehelein. Um Festlichkeit und Opern-Opulenz um ihrer selbst willen ist es bei ihm nie gegangen. Stuttgart, das stand nie für Belcanto-Feste, sondern für den meist erfolgreichen Versuch, den Gegenwartswert des Musiktheaters zu bestimmen. Auch diesmal: Das Kunstgewicht der Oper „Aeneas in Karthago“ des Mozart-Zeitgenossen Joseph Martin Kraus wird in Stuttgart nicht durch Goldkehlen und Originalklang-Ensembles ermittelt. Vielmehr stellt sich das Ensemble voll und ganz in den Dienst einer intellektuellen dramaturgischen Auseinandersetzung.

Ein wenig hängt der heruntergestimmte Tonfall dieser Premiere aber wohl auch damit zusammen, dass alles anders geplant war. Eigentlich sollte, ganz standesgemäß, Deutschlands angesehenster Musiktheaterregisseur das szenische Schlusswort sprechen. Doch Peter Konwitschny, dessen „Götterdämmerung“ eines der leuchtkräftigsten Signale des Stuttgarter Opernstils war, warf knapp einen Monat vor der Premiere das Handtuch. Den Proben-Feinschliff des Konzepts führte, wie schon manches Mal, Zehelein selbst mit zwei Assistenten aus. Dass ein so reibungsloser Stabwechsel überhaupt möglich ist, unterstreicht noch einmal, dass zum Stuttgarter Konzept seit jeher auch die enge Abstimmung zwischen Intendanz und Regisseuren gehört, der Chef sich nicht bloß als Manager, sondern auch als Kunstmacher versteht.

Ein gewisser Hintersinn lag auch der Stückwahl dieser letzten Zehelein-Premiere zugrunde. In der Uraufführung einer Oper der Mozart-Zeit verbirgt sich der Anspruch, jede Musik als neu, sprich aktuell, zu erleben; dass nicht Mozart, sondern sein gleichfalls 1756 geborener badischer Zeitgenosse Kraus im Fokus steht, ist ebenso (wenn auch lokalpatriotisch beeinflusste) Parteinahme für einen Außenseiter wie Verweigerungshaltung gegenüber dem Amadeus-Rummel. Sympathisch ist das allemal, auch wenn dieser „Aeneas“, um es gleich zu sagen, doch kein vergessenes Meisterwerk von Mozart-Rang ist. Eher handelt es sich um ein zeittypisches Stück, in dem ein durchaus eigenwilliger Komponist die Anregungen Glucks mit den Versatzstücken und Dimensionen der feudalen opera seria in Einklang zu bringen sucht.

Gluckscher Orchesterfuror wütet schon im Prolog. Die Streicher lassen ihren Sechzehntelregen prasseln, Posaunen tuten nebelhornartig dazwischen, windzerfetzte Phrasen setzen die Zeichen auf Sturm. Stuttgarts ebenfalls scheidender (und zum Berliner Sinfonie-Orchester wechselnder) Chefdirigent Lothar Zagrosek markiert schon hier die Unrast als roten Faden des Stücks: eine Energie, die auch in den Begleitfloskeln der Arien immer wieder aufscheint und den Trojanerprinzen Aeneas erst in die Arme der Karthagerkönigin Dido und dann zwecks welthistorisch bedeutsamer Staatsgründung weiter gen Rom treibt. Die Unrast halten Zagrosek und sein hoch konzentriertes, mit wenig Vibrato, schroff-expressivem Ton und historischem Bewusstsein aufspielendes Orchester bis ans Ende des auf dreieinhalb Stunden Musik gekürzten Fünfakters durch. Dass der Dirigent und das Orchester Motor des Geschehens sind, unterstreicht nebenbei, dass die Stuttgarter Erfolge ohne einen uneitel konstruktiven, stilistisch überaus bewussten Chefdirigenten wie Zagrosek in ihrer Wirkungskraft wohl erheblich geschmälert worden wären.

Eine solche Vitalisierung des Gehalts durch stilistische Auseinandersetzung bleibt der Szene leider versagt. Ein bisschen wirkt das unfreiwillige Konwitschny/Zehelein-Teamwork, als habe man einfach zusammengekehrt, was in den letzten Jahren unter den Konzeptionstisch gefallen war. Die Götter, die das Geschick der Menschen bestimmen, sehen aus, als seien sie aus einer „Rheingold“-Inszenierung zweitverwertet worden: schräges Partyvolk, das nach Lust und Laune in die Geschicke der Menschen eingreift. Dazu kahle Bühnenbohlen im Querschnitt, weil man ja Theater spielt (Bühne: Hans-Joachim Schlieker), Trojaner in Army-Klamotten, bunt-bäuerische Karthager, und die Numidier, die den Dido-Staat bedrohen, mit schwarzen Adidas-Tretern und braunen Strumpfhosen überm Kopf (Kostüme: Okarina Peter und Timo Dentler). Zum Neger wird man nämlich gemacht. Ach so.

Mittendrin Dido (Martina Serafin gewinnt im Lauf des Abends dramatisches Format) und Aeneas (ausstrahlungsneutral: der junge Tenor Dominik Wortig). Ein hohes Paar, dessen Gefühle sich oft in den rituellen Gesten der nachbarocken Oper erschöpfen. Nur momentweise, etwa in Didos mozartnahem „Ach welche Qualen“ im zweiten Akt, findet es zu einem Ton, der Jahrhunderte überspringt und im Herzen der Zuschauer landet.

Den Abschied nehmenden Intendanten dürften die Buhrufe am Ende nicht sonderlich gestört haben – sind doch auch sie Beleg für ein Publikum, dass Oper wichtig nimmt und seine Meinung selbstbewusst artikuliert. Genau das hat Zehelein immer gewollt.

Jörg Königsdorf

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