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Kultur: Zeigt her eure Bilder

In der Schweiz nimmt die Zahl der Privatmuseen immer mehr zu. Gegenwartskunst präsentiert sich vorwiegend in umgebauten Fabrikhallen – oder anspruchsvoll beiläufigen Neubauten

Der Züricher Streit des Jahres 2001 um die Flick-Collection berührt auch die anderen privaten, aber öffentlich zugänglichen Sammlungen der Schweiz. Privatmuseen sind mit einem Mal nicht nur die willkommene Bereicherung der Kulturlandschaft, als die sie stets gepriesen werden, sondern auch eine Konkurrenz um die Besuchergunst, wenn nicht gar – wie im Falle Flick – eine politische Herausforderung.

Zumal in jüngster Zeit ist die Zahl der öffentlich zugänglich gemachten Privatsammlungen in der Schweiz merklich gestiegen. Die Attraktivität, die sie beim Publikum gewonnen haben – das Paradebeispiel ist das Beyeler-Museum in Riehen bei Basel, das den angestammten Institutionen der Humanistenstadt den Rang abgelaufen hat –, zwingt zur Neubestimmung der Rolle öffentlich finanzierter Museen.

Mit seinem geplanten Neubau wäre Friedrich Christian Flick in die erste Reihe der Zürcher Kunsteinrichtungen vorgestoßen. Deren Ballung im industriell geprägten Züricher Westen hätte der Neubau durch den niederländischen Stararchitekten Rem Koolhaas ein architektonisches Glanzlicht aufgesteckt. In fußläufiger Nähe haben gleich mehrere private Einrichtungen ihren Sitz genommen, sich aber bislang mit der Umwidmung von Industriebauten begnügt.

In gewisser Weise den Antipoden zur ausgreifenden Flick-Collection bildet die Daros Collection in der Limmatstraße. Sie eröffnete vor knapp zwei Jahren ihre 800 Quadratmeter großen Schauräume innerhalb des „Löwenbräu“-Areals in Räumen, die der Architekt Walter Rüegg mit Oberlichtern bewusst museal gestaltete. Die Sammlung des 1992 allzu jung verstorbenen Industrie-Erben Alexander Schmidheiny wird von dessen Bruder Stephan zur Bewahrung fortgeführt; ihr Umfang bleibt auf 300 Werke limitiert. Durch Austausch einzelner Arbeiten wird allein die Vervollkommnung der ohnehin schon exzeptionellen Qualität erstrebt.

Die Sammlung ruht auf Werkgruppen von Andy Warhol, Sigmar Polke und Gerhard Richter – mit denen die Eröffnungsausstellung ausgerichtet wurde –, von Cy Twombly, Robert Ryman und Brice Marden, dazu Beuys’ berühmtem „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ – eine Sammlung zur Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts also, die schon nach der Liste der vertretenen Künstler Museumsrang beansprucht.

Gleich nebenan – und innerhalb des weitläufigen Gebäudekomplexes sogar ineinander verschachtelt – hat das Migros Museum seine 1300 Quadratmeter großen Räume. Hervorgegangen aus dem „Kulturprozent“ der Lebensmittelkette Migros und seit den fünfziger Jahren im Aufbau begriffen, umfasst sie derzeit etwa 1000 Arbeiten. Das „migros museum für gegenwartskunst“, so sein offizieller Name, hat unter dem langjährigen Leiter Rein Wolfs allerdings den Charakter einer Kunsthalle angenommen und zeigt ambitionierte Ausstellungen, so in Kürze unter dem Titel „re:view“ neue Videoarbeiten.

Dass im „Löwenbräu“-Areal auch Top-Galerien wie Hauser & Wirth – mittlerweile die Hauptlieferantin des Sammlers Flick – ihren Sitz haben und gleich angrenzend der Showroom des stark an der Gegenwartskunst orientierten Auktionshauses de Pury und Luxembourg, macht deutlich, wie kurz geschlossen der Kunstkreislauf vom Produzenten zum Endabnehmer mittlerweile ist .

Ernst Beyeler, der legendäre Baseler Kunsthändler, hat es mit seiner grandiosen Kollektion vorgemacht, die er ursprünglich dem ehrwürdigen Kunstmuseum seiner Heimatstadt zur Verfügung stellen wollte, sich dann aber für die Altersliebhaberei eines eigenen – selbst finanzierten – Museums entschied. Zudem gibt es in Basel mit dem Tinguely-Museum einen weiteren, in seinem Ausstellungsprogramm mittlerweile über den Kunstbegriff seines Namenspatrons hinausgreifenden Konkurrenten. Und noch im späten Frühjahr soll in der Nähe von Basel der Schleier über einer entschieden der Gegenwart verpflichteten Sammlung gelüftet werden, die mit Namen wie Beuys, Bruce Nauman, Katharina Fritsch oder den Schweizer Hausgöttern Fischli/Weiss aufwartet – und ihrerseits in Idealkonkurrenz etwa zur Flick-Collection steht. Das bewusst lakonisch als „Schaulager“ bezeichnete Haus für die Sammlung der 1933 begründeten Emanuel-Hoffmann-Stiftung entwerfen – natürlich! – keine Geringeren als die heimischen Weltstars Herzog & de Meuron.

Das Vorbild für die Präsentation zeitgenössischer Kunst bilden allerdings die 1984 eröffneten „Hallen für neue Kunst“ in Schaffhausen, ein Gemeinschaftsvorhaben mehrerer ungenannt bleibender Privatsammler. Sie zeigen auf 5500 Quadratmetern einer ehemaligen Textilfabrik Hauptwerke vor allem der minimal art, etwa von Carl Andre, Richard Long oder Lawrence Weiner, für deren angemessene Präsentation traditionelle Museumsbauten nicht mehr genügten. Die Liste ließe sich fortsetzen; Winterthur, St.Gallen, Luzern oder Genf müssten als Standorte bedeutender Sammlungen zur Gegenwartskunst und -fotografie genannt werden.

Doch die Musealisierung von Privatsammlungen in der Schweiz ist kein neues Phänomen. In Zürich ist seit 1960 die Sammlung E.G.Bührle zugänglich. Ihr 1956 verstorbener Stifter hat seine wunderbare Impressionisten-Sammlung während der Kriegs- und Nachkriegsjahre aufgebaut – mit den Erträgen der florierenden Waffenschmiede Oerlikon. Erst in den neunziger Jahren gab es eine Diskussion um die Herkunft von Bührles Reichtums – und der Bilder, die der Sammler allerdings, soweit es Zweifel gab, bereits nach 1945 durch Rückgabe an die Vorbesitzer und anschließenden Rückkauf vom Verdacht der „Raubkunst“ gereinigt hatte.

Heute spricht niemand mehr über die Kriegsgewinne Bührles. Einer der besten Kunden seiner Oerlikon-Bührle KG war – die Deutsche Wehrmacht Adolf Hitlers.

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