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Kultur: Zeigt her eure Füße!

Blank gewienert: Ein äthiopischer Künstler lädt zum Schuhputzen ein

Warum der Beruf des Schuhputzers ausgestorben ist, darüber streiten die Experten. Liegt es an der Krise der Dienstleistungsgesellschaft? Oder schlicht an allgemeiner Verwahrlosung? In Äthiopien ist das altehrwürdige Gewerbe noch intakt. Listros nennt man dort sowohl die Schuhputzer als auch die typische Box, in der sie ihre Utensilien aufbewahren. Dawit Shanko-Stolze finanzierte mit dem Putzen fremder Schuhe seinen Schulbesuch in Äthiopien, bevor er 1986 im Alter von 17 Jahren ein Stipendium als Vermesser in der DDR erhielt. Der sozialistische Alltag war ihm vertraut, die neue Sprache lernte er schnell. Allein das Studium der Geodäsie wollte ihn nicht so recht packen. Kurz vor der Wende ging er dann nach West-Berlin und begann sein drittes Leben: Er studierte Architektur und arbeitete nebenbei als Barkeeper. Und doch ließ ihn seine Vergangenheit nicht los.

Wenn heute bereits seine zweite Berliner Ausstellung mit dem Titel „A dream in a box“ in der Galerie Poll eröffnet, ist das nur ein weiterer Markstein in der erstaunlichen Geschichte des Äthiopiers, der zu einer Art Kunstmäzen geworden ist. Ungeöhnlich sind seine Aktionen noch immer. Shanko-Stolze schickte kleine Fotoapparate und Filme an Schuhputzer in Äthiopien. Er bat sie, ihren Alltag zu fotografieren und ihm die Filme zurückzuschicken. Hunderte von Bildern kamen so zusammen, die auch das Interesse befreundeter Künstler weckten.

Inzwischen haben sich 61 Künstler und Architekten an dem Projekt beteiligt, ein Verein wurde gegründet, und es gab nach der Auftaktschau vor einem Jahr auch außerhalb von Berlin Ausstellungen, deren Erlös unmittelbar in das Projekt floss. Wobei Dawit Shanko-Stolze durchaus auch ein geschickter Geschäftsmann ist: Wird das erste Werk eines Künstlers verkauft, fragt er direkt nach einem weiteren und beteiligt den Künstler von da an mit 50 Prozent an dem Honorar, das dieser selbst festlegt. Mit dem Geld soll vor allem das Ansehen der Listros verbessert werden.

Als Entwicklungshelfer sieht er sich nicht: „Hilfe bezieht sich oft auf das, was fehlt“, meint Shanko-Stolze, „das macht den, der die Hand aufhält, noch kleiner.“ Er möchte vielmehr betonen was da ist: die Größe, das Engagement und die Selbstständigkeit der oft sehr jungen Schuhputzer, die in Äthiopien als Kleinunternehmer fungieren.

Auch Architekten bat er um Mithilfe. Sie sollten Arbeitsplätze für die Schuhputzergilde entwerfen. Fünf Büros haben sich beteiligt, darunter Axel Schultes, dessen Räume sich in demselben Gebäude wie die Galerie Poll befinden. Umgesetzt wurden bisher die Entwürfe vom Berliner Büro s+k Architekten. Deren mobile Arbeitsstätte bietet Schutz vor Sonne und Regen und dient gleichzeitig als Lager. Vor allem aber kehren die Pavillons die Arbeitssituation um: Nicht mehr der Dienstleister folgt dem Kunden und hockt sich danach in den Staub, sondern wer schmutzige Schuhe trägt, steuert eine Schuhputzstation an, die sich ganz selbstverständlich ins Stadtbild integriert. Elf dieser Stadtmöbel mit jeweils mehreren Arbeitsplätzen stehen bereits in Addis Ababa.

Mit Hilfe von Sponsoren konnte nun für die fünfte Listros-Ausstellung die vier Meter hohe Schuhputzersäule des äthiopischen Architekten Yadegar Asisi realisiert werden, die am Lützowplatz auch genutzt werden soll. Mit blitzsauberen Schuhen kann man anschließend in der Ausstellung höchst unterschiedliche künstlerische Umsetzungen des Themas finden: eine kleine, hockende Holzfigur von Hans Scheib etwa oder ein farbexplosives, abstraktes Gemälde von Ina Lindemann mit dem schönen Titel „Durchlauferhitzer“. Robert Weber schlägt mit seinem Gemälde den Bogen zur Fußwaschung in der Bibel, Reinhard Stangl malt die Listros in warmen Gelbtönen und Paul McLovia porträtierte einen Schuhputzer, der seit 23 Jahren im Berliner Europacenter arbeitet.

Denn es liegt nicht nur an dem Vormarsch des Turnschuhs, dass Schuhputzer in Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland kaum Ansehen genießen. Dass sich jemand auf offener Straße knieend über das Schuhwerk fremder Leute hermacht, verletzt das moralische Gleichgewicht. Die vermeintliche Demutsgeste passt nicht zu Dienstverhältnissen, in denen man sich „auf Augenhöhe“ begegnet. „Ansehen statt Übersehen“ lautet denn auch das Motto der Listros-Projekte.

Sieben Hotels in Addis Abeba haben bereits Interesse an den Schuhputzstationen signalisiert und im nächsten Jahr soll die immer weiter wachsende Ausstellung im Rathaus der Stadt gezeigt werden. 21 äthiopische Künstler hat Shanko-Stolze bereits zusätzlich eingeladen, eine Vortragsreihe an der Architektenkammer und Workshops werden geplant, vor allem aber hofft er, dass die Listros kommen. Und stolz sind auf ihre Arbeit, mit deren Resultat man sich sehen lassen kann – zumal in Deutschland, dem Land der glanzlosen Füße.

Bis 28. August, Galerie Poll (Lützowplatz 7, Tiergarten), täglich 10 bis 20 Uhr, Sonntag, 28.08.: 15 bis 24 Uhr.

Katrin Wittneven

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