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Kultur: Zeit der Schamlosigkeit

Von Clemens Wergin Man muss weit zurückgehen in Europas Geschichte, um eine Epoche zu finden, in der der reichste Mann des Landes auch dessen Herrscher war. Am ehesten ist noch die Macht der Medici im Stadtstaat Florenz mit dem Aufstieg Berlusconis vergleichbar.

Von Clemens Wergin

Man muss weit zurückgehen in Europas Geschichte, um eine Epoche zu finden, in der der reichste Mann des Landes auch dessen Herrscher war. Am ehesten ist noch die Macht der Medici im Stadtstaat Florenz mit dem Aufstieg Berlusconis vergleichbar. Wie der Medienzar entstammten auch die Medici keiner alteingesessenen Familie. Sie waren „uomini nuovi", die sich ihren Wohlstand mit Bankgeschäften erarbeitet hatten und es vorzogen, die Politik aus dem Hintergrund zu bestimmen. Seine Söhne hat Giovanni de Medici 1429 zur Zurückhaltung gemahnt: „Wartet, bis man euch ruft."

Auch Berlusconi hätte es Anfang der 90er Jahre wohl vorgezogen, seine wirtschaftlichen Interessen weiter von seinen politischen Vasallen vertreten zu lassen, allen voran vom primus inter corruptos, seinem Freund Bettino Craxi. Allein, sein schönes Beziehungsnetz zerriss mit dem Auseinanderbrechen der Democrazia Cristiana und Craxis Sozialisten im Zuge der Schmiergeldermittlungen. Und das bürgerliche Lager schien sich nicht schnell genug re-formieren zu lassen, um gegen die ehemaligen Kommunisten bestehen zu können. Wie im Handbuch der Medici und in Machiavellis „Principe" erschallte der Ruf nach dem (bürgerlichen) Retter des Vaterlandes. Ein Ruf, den Berlusconi über die eigenen Medien selbst orchestrierte. Und so gewann er die Wahl 1994 mit einer Partei von „uomini nuovi", meist aus den eigenen PR-Abteilungen.

Ein Kartell ns Staat

Nach einer ersten, chaotischen Regierungszeit von nur acht Monaten musste sich Berlusconi wieder von der Macht verabschieden. Eine Entzauberung, die vielleicht einer der Gründe ist, warum seine Wiederwahl vor einem Jahr weit weniger Besorgnis in Europa erregte als 1994. Jetzt, nach dem Siegeszug der Rechtspopulisten in Europa, ist es angebracht, einen genaueren Blick auf Italien zu werfen. Das Bel Paese ist das einzige Land Europas, in dem mit Fini, Bossi und Berlusconi gleich drei Rechtspopulisten an der Macht sind. Das einzige Land auch, in dem sie die Mehrheit in der Regierungskoalition stellen. Wird Italien also – wie schon Anfang der 20er Jahre mit der Geburt des italienischen Faschismus – zum europäischen Vorreiter in Sachen Rechtspopulismus? Der Holländer Pim Fortuyn formte seine Bewegung ja ausdrücklich nach italienischem Vorbild. Und die Mitte-Rechts-Koalition versteht ihren beeindruckenden Sieg bei den letzten Parlamentswahlen als Ermächtigung, sich wenn nötig über die etablierten Regeln der Demokratie hinwegzusetzen. Errichtet Berlusconi gerade eine „Diktatur der Mehrheit"?

Das spezifisch Neue des Phänomens Berlusconi ist vor allem die Verquickung von privaten Interessen und politischer Macht. Mit einer Steuerreform hat Berlusconi schon 1994 sein damals hoch verschuldetes Unternehmen zu einem der heute profitabelsten Medienkonzerne der Welt gemacht. Die Abschaffung der Schenkungssteuer soll nun die kostengünstige Übergabe der Unternehmen an seine Kinder ermöglichen. Überall in den Ministerien hat Berlusconi Vertraute platziert, die hier und da ein Rädchen zu Gunsten seiner Konzerne drehen. Neben den Eingriffen in die journalistische Unabhängigkeit des staatlichen Rundfunks zielt etwa der Versuch, die Werbeeinnahmen der Rai zu senken, darauf ab, den Werbemarkt für Berlusconis Sender zu vergrößern.

Ein anderes Beispiel für einen Interessenkonflikt: Die Firma des Infrastrukturministers realisiert einen guten Teil der großen Investitionsprojekte der Regierung: eine radikale Privatisierung des Staates. Und ein System, das eleganter ist als die Ausplünderung des Staates, wie sie die Schmiergeldprozesse an den Tag brachten. Denn was vom Parlament abgesegnet wurde, ist schließlich legal.

Wirtschaftstheoretiker sehen den Staat schon länger als eine Art Kartell, das freie Marktprozesse verhindert. Als pragmatischer Unternehmer weiß Berlusconi, dass ein Kartell nur ein Problem ist für den, der ihm nicht angehört. In seinem Kartell namens Staat gibt es allerdings eine Abteilung, die seinem Zugriff entzogen ist: die Justiz.

Ein paar Probleme hat er sich im letzten Jahr vom Hals geschafft: Seine Koalition stimmte für die Herabsetzung des Strafmaßes bei Delikten wie etwa Bilanzfälschung. Da in Italien Strafmaß und Verjährungsfristen gekoppelt sind, entledigte sich Berlusconi so einiger der gegen ihn anhängigen Prozesse. Ein Verfahren läuft noch, das ihm und seiner rechten Hand Cesare Previti gefährlich werden kann: der Sme-Ariosto-Prozess in Mailand, bei dem Berlusconi die Richterbestechung vorgeworfen wird. Dabei hat er den Vorwurf, er werde von kommunistischen Richtern verfolgt, so oft und so lange gegen die Mailänder Staatsanwälte und Richter wiederholt, dass inzwischen viele Wähler glauben, er sei tatsächlich das Opfer politischer Prozesse. Nun wird aus dem schmutzigen Medienkrieg ein offener Konflikt der Staatsgewalten. Mit allen Mitteln versuchen Parlamentsmehrheit und Exekutive, den Prozess zu hintertreiben. Da verabschiedet die Koalition ein Gesetz, das eine besondere Authentisierung von Beweismaterial aus dem Ausland verlangt. Aber weil das neue Gesetz gegen internationale Rechtshilfeabkommen verstößt, wird es bislang nicht angewandt. Daraufhin versuchte es der Innenminister mit einer Einschüchterungstaktik: Er entzog den Mailänder Juristen die Eskorte, obwohl einige von ihnen wegen früherer Prozesse gegen die Mafia gefährdet sind. Als auch das nichts half, wurde dem Versetzungsgesuch einer Richterin schon vor Ende des Prozesses - entgegen der sonst üblichen Vorgehensweise - stattgegeben. Der Prozess hätte eigentlich neu beginnen müssen und würde damit verjähren. Die Versetzung wurde von der Selbstverwaltung der Richterschaft allerdings rückgängig gemacht – woraufhin Previti und Berlusconi eine Verlegung dieses und anderer Prozesses beantragten, weil die öffentliche Ordnung sonst in Gefahr sei.

Es gibt also eindeutige Versuche von Seiten der Exekutive, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu beeinträchtigen. Nach Protesten der Richterschaft und Bürgerprotesten schickte die UN einen Beobachter nach Italien. Dessen Vorwürfe richten sich insbesondere gegen eine Resolution des Parlamentes, in der es heißt, die Mailänder Richter würden ihr „Amt benutzen, um in das politische Leben des Landes einzugreifen“.

Während es der Mitte-Rechts-Koalition bisher noch nicht gelungen ist, die Richter auf Linie zu bringen, darf ein anderer Prozess als abgeschlossen gelten: die Gleichschaltung des italienischen Fernsehens. Ein wichtiges Instrument der Methode Berlusconi besteht nämlich darin, das ooffesnicicFalsche zu behaupten und zu verbreiten- und keiner traut sich zu lachen. So hat der Premier immer wieder betont, dass die Medienlandschaft verzerrt sei – zu seinen Ungunsten. Beweis: Die letzten drei noch offen kritischen Journalisten im staatlichen Fernsehen, Enzo Biagi, Daniele Luttazzi und Michele Santoro.

Schere im Kopf

Berlusconi und seine Familie besitzen die drei großen Privatsender Italiens, 40 Prozent des Buchmarktes, etliche Zeitungen und über 30 Magazintitel. Dennoch war die Wut der Koalition enorm, als der Verwaltungsrat der drei staatlichen Sender nicht sofort nach der Wahl zurücktrat. Es folgte eine beispiellose Kampagne mit dem Ziel, den wenigen noch kritischen Journalisten in der Rai den Schneid abzukaufen. Dabei tat sich besonders Kommunikationsminister Maurizio Gasparri hervor, der sich live in Sendungen einschaltete, wenn ihm der Inhalt nicht passte.

Nachdem die Regierung vor einigen Wochen die Mehrheit in der Rai übernehmen konnte, meldete sich Berlusconi prompt vom Staatsbesuch in Sofia und verlangte den Rausschmiss der drei Journalisten. Zurzeit wird versucht, die drei mit Disziplinarverfahren oder Programmumstellungen mundtot zu machen. So oder so: Die vorauseilende Selbstzensur greift längst. Jeder Journalist weiß, dass er auch bei den privaten Sendern keinen Job bekommen wird - die sind schließlich ebenfalls in Berlusconis Hand.

Berlusconis Regierungsmehrheit verfolgt eine kaum verschleierte Theorie des totalen Wahlsiegs. „The winner takes it all" lautet die Devise. Es gibt keinen Sektor der italienischen Gesellschaft, der sich dem Machtanspruch der Koalition entziehen kann, wenn denn staatliche Gelder fließen. Das gilt auch für den traditionell linksliberalen Kultursektor. Zwar wurden die wichtigsten Kulturposten in Italien schon immer nach politischem Proporz vergeben. Aber jetzt veranstalten die regierungsnahen Medien eine richtiggehende Hetzkampagne gegen alles, was von Kulturinstituten an kritischer Gegenkultur (mit-)finanziert wird. Jüngstes Beispiel ist ein italienisches Ensemble, da eine Persiflage auf Berlusconi inszenieren wollte. Daraufhin wurden schon zugesagte Gelder des Italienischen Kulturinstituts wieder zurückgezogen. Ein Beispiel von vielen.

Keine Renaissance

Das Problem des konservativen Lagers besteht darin, dass sich die maßgeblichen Parteien nie von ihrem Charakter der politischen Bewegung befreit haben. Alle drei populistischen Koalitionsparteien verfolgen weiter ein aktivistisches Politikkonzept – sie sind nie bürgerlich geworden. So wird diese Koalition weiter das tun, womit sie sich im vergangenen Jahr fast ausschließlich beschäftigt hat: Sie wird versuchen, den Widerstand in der Gerichtsbarkeit, in den Institutionen und im staatlichen Rundfunk zu brechen.

Als die Medici von den Florentinern zum Retter des Stadtstaates berufen wurden und die Macht über die Arnostadt übernahmen, ging die politische Renaissance fast überall in Italien zu Ende: die Zeit der stolzen, demokratischen Selbstverwaltung der „comuni". Das Mäzenatentum der Fürsten brachte dann die künstlerische Renaissance zur vollen Blüte. Das ist heute anders: Die demokratischen Institutionen werden, wenn auch angeschlagen, Berlusconi überleben. Weitgehend zerstört ist aber das Herzstück jeder demokratischen Gesellschaft: die demokratische Kultur.

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